Soziologie der Wissensgesellschaft

Text I - New Economy - Volltext

Start

Texte

Links

Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät III
Institut für Sozialwissenschaften







Diplomarbeit
im Fach Sozialwissenschaften




New Economy -
veränderte sozio-ökonomische Rahmenbedingungen der Arbeit in der informationalen Wirtschaft


Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz (ehemals Open Content)






Autor:

Gutachter:

Thomas Zimmermann

1. Gutachter: Dr. sc. Karin Lohr
2. Gutachter: Prof. Dr. Helmut Wiesenthal

Berlin, den 04.02.2002



Lizenz/License

Alle Rechte an diesem Dokument liegen bei Thomas Zimmermann 2002. Dieser Text wird unter den Bedingungen der Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike Lizenz veröffentlicht. Der genauen Lizenztext ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/de/ nachzulesen oder kann per Post von Creative Commons, 559 Nathan Abbott Way, Stanford, California 94305, USA angefordert werden.

Copyright (c) 2002 by Thomas Zimmermann. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike License. To view a copy of this license, visit http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/de/ or send a letter to Creative Commons, 559 Nathan Abbott Way, Stanford, California 94305, USA.


Inhaltsverzeichnis



1. Einleitung - Erneuerung des Kapitalismus ?

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den makrostrukturellen Bedingungen menschlicher Arbeit in einem überwiegend sozio/polit-ökonomischen Kontext. Es soll demnach weniger die konkrete Situation von Menschen am Arbeitsplatz diskutiert werden. Vielmehr sollen wichtige Einflussfaktoren unternehmerischen Handelns betrachtet werden, welches die Grundlage der Erwerbsarbeit in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem darstellt. Die Anreize und Zwänge, die wirtschaftliche Tätigkeiten (die optimale Nutzung knapper Mittel zur Erzeugung von Profit) anregen und begrenzen, sind in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ausschlaggebend für den Umfang und die Art und Weise wie Menschen arbeiten und damit ein gewichtiger Faktor in der Gestaltung des Lebensalltags derer, die aus Erwerbsarbeit ihr Einkommen beziehen.

Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist eine, seit den 1990er Jahren zunehmend hervortretende, mögliche Ursache der Veränderungen dieser Einflussfaktoren: Die Diffusion von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien (IuKT) in viele Ebenen der Gesellschaft.

Die zentrale Frage bei der Betrachtung ist, welche Bedeutung diese IuKT-Diffusion für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung hat und wie weitreichend damit deren Folgen für das unternehmerische Handeln und die Arbeitsgesellschaften des spätindustriellen Kapitalismus auf der Makroebene sind.

Es erscheinen zwei grundlegende Interpretationen möglich:

  1. Es ist eine informations-technische Revolution zu beobachten, die in Ausmaß und Konsequenzen der industriellen Revolution des 19.Jh. ebenbürtig ist

  2. Es ist die Entwicklung eines weiteren, spät-industriellen Marktsegmentes zu beobachten, das jedoch keine entscheidende Auswirkung auf die konstante, periodische und krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus seit der Industrialisierung haben wird

Aus dem Gegensatz dieser Interpretationen ergibt sich die Zielsetzung dieser Arbeit:

Es soll zum einen beurteilt werden, in welchem Umfang die IuKT-Entwicklung den ökonomischen Rahmen der Erwerbsarbeit beeinflussen und verändern wird bzw. bereits hat. Zum anderen soll untersucht werden, ob ein Wandel gesellschaftlicher Formationen zu beobachten ist, der durch eine solche Entwicklung forciert wird bzw. inkompatibel zu ihr ist. Dazu werden veränderte und neue Strukturen aufgezeigt und makro-ökonomische Zusammenhänge dargestellt und diskutiert.

Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass am Ende der Untersuchungen ein definiertes Modell einer neuen Wirtschaftsweise präsentiert werden kann. Die betrachtete Entwicklung befindet sich in einem frühen Anfangsstadium, und kann sich durchaus in eine Richtung entwickeln, die momentan nicht absehbar ist. Der damit zu einem bestimmten Teil unsichere Charakter einer solchen Untersuchung sollte jedoch das Bestreben, diese Entwicklung zu analysieren und einzuschätzen nicht verbieten, sondern dazu anhalten, das in der Sozialwissenschaft naturgemäß auftretende Phänomen der Unschärfe gesellschaftlicher Modellbildung im Laufe der angestellten Betrachtungen im Blickfeld zu behalten. Es kann mithin nur versucht werden, generische Elemente neuer Entwicklungen zu identifizieren und diese im Kontext sich verändernder sozio-ökonomischer Strukturen auf ihre systemfunktionale und historische Stimmigkeit zu prüfen.

Die beiden Begriffspaare aus dem Titel der Arbeit geben die grobe Struktur der Betrachtungen wieder, deren Hauptelemente zur Veranschaulichung im Folgenden umrissen werden sollen:

New Economy“ und „informationale Wirtschaft“.

Schon der erste Begriff erzeugt alles andere als eine präzise Vorstellung vom Inhalt der Arbeit, handelt es sich doch mit der New Economy (NE) um einen Gummibegriff, dessen Inhalt in der allgemeinen Verwendung1 keinen definierten Umriss aufzeigt. Weitere Unsicherheit erzeugt der tagesaktuelle wirtschaftliche Kontext, der nach den dramatischen ‚Marktkorrekturen’ seit 2000 und der rezessiven Entwicklung der Weltwirtschaft seit 2001 den Begriff wohl negativ belegt.

Die NE ist im öffentlichen Diskurs direkt mit den sich seit Mitte der 1990er Jahre entwickelnden neuen Segmenten der internationalen Aktienmärkte2 verbunden, auf denen, abgetrennt vom Aktienmarkt der „Old Economy“, Unternehmensanteile IuKT-orientierter Unternehmen gehandelt werden. Die Börsen prägen die Wirtschaftssegmente, die unter NE im allgemeinen subsumiert werden: dot.com´s (Internetfirmen, E-Business, E-Commerce etc.), Software- und Bio-Tech-Werte. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Gleichsetzung von NE-Unternehmen mit dot.com´s dominant.

Die Reduzierung der NE auf Internetfirmen ist jedoch für das Betrachtungsziel zu begrenzt. Im Definitionsabschnitt 2 wird deshalb der Begriff der informationalen Wirtschaft eingeführt, der auf einer umfassenderen Definition wissensbasierter Wirtschaft gründet. Im Diskursabschnitt 3 werden auf dieser Definitionsbasis mögliche neue Qualitäten der informationalen Wirtschaft diskutiert. Nach einigen Argumentationen weist der virtuelle Rohstoff Wissen gegenüber physischer Materie entscheidende Unterschiede auf: Er nutzt sich bei Gebrauch nicht ab, sondern steigert sich sogar, da er durch den Selbstbezug im Prozess der Wertschöpfung neues Wissen generiert. Eine wissensbasierte Produktionsweise wird von einigen Autoren angenommen.

Eine entsprechende Reorientierung der Profitgenerierung wird damit zum Thema ökonomischer Theoriebildung, da nicht nur andere Ressourcen, sondern auch neue Organisationsformen möglich werden. Durch vernetztes Wissensmanagement ist eine Arbeitsteilung am virtuellen Produkt praktikabel, bei der komplizierte Informationen für viele Menschen im Produktionsprozess schnell verfügbar und atomisierte Arbeitsergebnisse direkt und im Aggregat für andere vermittelbar sind. Wirtschaft auf der Basis von Wissen und dessen Management über Netzwerke ermöglicht deshalb, nach der Ansicht einiger Diskursteilnehmer, eine dezentrale und kooperative Arbeitsweise, und damit die bislang effektivste Umsetzung flexibler Arbeit mit anhaltend/gesteigert hoher Arbeitsteiligkeit bei steigender Produkttiefe. Es ist gerade diese Wertschöpfung auf der Basis von Wissen und ihre spezifische, rekursive Akkumulationsschleife von Innovation und Implementation, die für die Vertreter der These einer neuen Wirtschaftslogik folgenreiche Unterschiede des Wirtschaftens und Arbeitens im informationalen Sektor im Vergleich zur industriellen Produktion ausmacht.

Dabei scheint eine informationale Produktionsweise den geltenden Bedingungen globaler Produkt- und Performancekonkurrenz als optimale Wirtschaftsform gerecht zu werden: Flexible und hochproduktive Wertschöpfungsquellen, flexible und dezentrale Organisationsstrukturen, anteilswertorientierte Firmenstrategien (Shareholder Value, FirstToMarket), differenzierte Märkte, selbstbezogene Entwicklung von Wissen (rekursive Produktivität), theoretisch grenzenlose Produktivitätssteigerungen, scheinbar unbegrenzte Renditen über dem Niveau der Finanzmärkte (bis zu 25 % in der Hochphase des Neuen Marktes), andauernd hohe Wachstumsraten (30 % waren zeitweise eine „normale“ Analystenerwartung), Prozessflexibilität usw. werden der informationalen Wirtschaft zugesprochen.

Die Theoriebildung um Wertschöpfung, Kapitalakkumulation und Wertverteilung in einer informationalen Wirtschaft geht zum Teil von diesen Unterschieden zu bisherigen industriellen Formen aus, die genauer zu untersuchen sind. Die erste Teilfrage der Arbeit bezieht sich mithin auf die mögliche Genese eines neuen Wertschöpfungstypus innerhalb eines informationalen Entwicklungsmodus, der im Definitionsabschnitt 2 näher differenziert wird. Der Post-Fordismus wäre dann nicht mehr nur als allgemeiner Globalisierungs- und Restrukturierungsprozess feststellbar. Er würde eine informationale Ausgestaltung seines Produktionssystems zeigen.

Sozio-ökonomische Rahmenbedingungen der Arbeit

Eine derartig neue Qualität des Produktionssystems müsste sich ebenfalls in den Veränderungstrends des sozio-ökonomischen Systems wiederfinden. Ein Beobachter des wirtschaftlichen Geschehens der vergangenen Jahre könnte nun einwerfen: „Ja und? Sieh Dir doch die tolle NE an! Sie liegt am Boden und wird demnächst vom Börsenparkett wieder verschwinden. Sie sind alle Pleite. Die schöne neue Welt der NE spielt keine Rolle im Alltag der Wirklichkeit.“ Der Fokus einer solchen Sichtweise zeigt jedoch schon beispielhaft einen Trend von veränderten sozio-ökonomische Rahmenbedingung auf: Die mittlerweile schon institutionelle Bedeutung der Börse als Signalsystem für den Zustand einer wirtschaftszentrierten Gesellschaft. Die Entwicklung von Dow-Jones, Nasdaq, Nikkai, Dax, Nemax, Dollar, Yen, Euro und DM haben sich in den 1990er Jahren zum Maßstab der Bemessung gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit entwickelt. Die Außenhandelsbilanz3 einer politisch-wirtschaftlichen Einheit spielt im Gegensatz zur Dax- oder Euro-Entwicklung kaum noch eine öffentliche Rolle. Die Entwicklung der Finanzsysteme seit den 1970er Jahren und der Globalisierungsschub der 1990er Jahre haben nicht nur in der Betriebswirtschaft, sondern auch in Politik und Alltag eine Ausrichtung der Wahrnehmung und des Handelns auf die Börsen gefördert.

Gerade diese (Anteils-)Wertorientierung ist ebenfalls ein wichtiges Merkmal in den Theorien zur Ausbildung einer informationalen Wirtschaft, denn ihr Operationsmodus ist wertbasiert und wertanteilsorientiert: Kapitalakquisition über die Finanzmärkte, Übernahmen von Konkurrenten, Schutz vor Fremdübernahmen, Entlohnung der Mitarbeiter und Manager durch Aktienpakete und die Stärkung der Imagefunktion in Hinblick auf Kunden wie Lieferanten sind Bestandteile unternehmensstrategischer Konzeptionen der NE seit ihrer Entstehung, die eine umfassende Ausrichtung von NE-Unternehmungen auf den ‚Shareholder Value’ darstellt. Die Merkmale von Unternehmen im informationalen Sektor scheinen, gegenüber den ebenfalls auf Anteilwertsteigerung ausgerichteten, industriellen Sektoren, bei der Durchsetzung dieser Ziele von Vorteil: Strategische Flexibilität, Projektorientierung, dezentrale Organisationsformen, hohe Rekonfigurierbarkeit und Kooperationsfähigkeit der Unternehmensstrukturen werden den informationalen Unternehmen zugeordnet.

Im sozio-ökonomischen Theoriediskurs wird deshalb von der Ausprägung neuer regulativer Strukturen gesprochen, die teilweise als komplementäre Elemente eines informationalen Entwicklungsmodus betrachtet werden. Besondere Beachtung gilt dabei auch sozialpsychologischen Aspekten, die bei der Preisbildung und Kursentwicklung auf Aktienmärkten eine sehr hohe Bedeutung haben, was die Unsicherheit der Aktienmärkte auf die gesamte Wirtschaftsentwicklung in einem solchen wertbasierten Regime potenziert. Die Wertvernichtung auf den Neuen Märkten kann als Folge solcher Irrationalitäten im vorangehenden ‚Börsen-Hype’, angetrieben durch übermäßig verfügbares Kapital, thematische Unerfahrenheit4 und grenzenlose Wachstumsgläubigkeit, verstanden werden. Aktienkurse geben die Gewinnerwartungen der Anleger wieder. Diese Erwartungen an die Neuen Märkte und an den gesamten Aktienmarkt waren in der jüngeren Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen überzogen und wurden in 2000 deutlich korrigiert.

Die verstärkte Bedeutung der Aktienmärkte im Regulationsmechanismus der Wirtschaft und die daraus resultierende Steigerung des Krisenpotentials sind daher wichtige Momente des Diskurses um die Entstehung eines neuen Wachstumsregimes in der Nachfolge des Fordismus. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs wird daher auf neue, und im Gegensatz zum Fordismus, veränderte Institutionen sozio-ökonomischer Regulation hingewiesen. Die zweite Teilfrage der Arbeit beschäftigt sich folglich mit der möglichen Genese eines informationalen/wertbasierten Wachstumsregimes.

Zur Methode

Aus den beiden Diskurselementen zu Entwicklungsmodus und Wachstumsregime leitet sich die Struktur der Arbeit ab. Im Definitionsabschnitt 2 werden, nach dieser thematische Einführung und der anschließenden Aufstellung der Arbeitshypothesen, die Begrifflichkeiten der beiden Elemente mit den zugehörigen Unterelementen grundlegend definiert. Auf der Basis dieser Definitionen wird im Hauptabschnitt 3 der wissenschaftliche Diskurs zu den Elementen und ihren Teilsaspekten ausgeführt. Dazu wird zuerst ein kurzer, quantitativer Überblick über ökonomische Tendenzen in Bezug auf IuKT gegeben. Darauf folgen in zwei großen Themenblöcken die Ausführungen zu Entwicklungsmodus und Wachstumsregime. Beide Blöcke enthalten einen wirtschaftshistorischen Teil, der die bisherige Entwicklung der jeweiligen Elemente zusammenträgt. Die eigentliche Darstellung des Diskurses erfolgt im Anschluss an die historische Darstellung und konzentriert sich auf die Darstellung der im Diskurs vertretenen Argumentationen. Die Quellenauswahl sollte das vorhandene Meinungsspektrum weitgehend widerspiegeln. Die Rückführung dieser Betrachtungsergebnisse auf die Arbeitshypothesen erfolgt dann in Abschnitt 4. Dabei werden die Hypothesen auf zweierlei Art geprüft: Zum einen werden sie mittels der Ergebnisse aus der Diskursbetrachtung argumentativ veri- oder falsifiziert. Der Bewertungsschwerpunkt liegt dabei auf der logischen und funktionalen Kohärenz der Teilelemente. Zum anderen erfolgt dann eine Überprüfung der dabei festgestellten Zusammenhänge auf ihre wirtschaftshistorische Schlüssigkeit anhand der Ergebnisse der historischen Betrachtungen. In einem letzten Abschnitt 5 wird dann ein Resümee der Untersuchung gezogen und ein kurzer Ausblick auf zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gegeben.

Arbeitshypothesen

An dieser Stelle sollen die Arbeitshypothesen zur Frage der Entstehung einer informationalen Wirtschaft und sozio-ökonomischer Veränderungen in ihrer Folge in Stichpunkten vorgestellt werden:

  • Der zu beobachtende Wandel des Kapitalismus ist als Entstehung einer informationalen Wirtschaft in ihrer Frühphase der Ausbildung von entsprechender Betriebsweise und Wachstumsregime vor effizienter Implementation und Institutionalisierung zu betrachten.
    Dies ist zu erkennen an:

    1. ++ Fluktuation und Unsicherheit in den Teilsystemen

    2. ++ Reorganisationsfrequenz

    3. technische Implementation der neuen Naturwissenschaften ist erst im Ansatz erfolgt. Heute (noch) utopische Aussichten: Quantencomputer, Humangenetik auf Basis eines komplett verfügbaren Genoms, alltagstaugliche Kernfusion usw.

  • Elemente dieser neuen Wirtschaft:

    • Steigende Tendenz zur immateriellen („virtuellen“) Wertschöpfung, da ++ ergiebige Möglichkeiten zur Erfüllung der Kapitalfunktion

    • Materielle Wirtschaft kann/wird nicht verschwinden, verliert jedoch ihre strategische Dominanz im Gesamtprozess -> Die Verwertungsrate bestimmt die strukturelle Dominanz eines Wertschöpfungsprinzips im Kapitalismus

    • Veränderte Entscheidungs- bzw. Machtstrukturen im Gegensatz zur Machtstruktur des Industrialismus :

      • + Fluktuation von Besitz durch + Mobilität/Volumen von Kapital -> steigende Wertausrichtung unternehmerischen Handelns = Performanceorientierung

      • Marktkonkurrenz wird durch Perfomancekonkurrenz im informationalen Wachstumsregime ergänzt

      • -> andauernde und immer schnellere Fluktuation des persönlichen Arbeitsumfeldes (etwa in Form der Projektarbeit in sich ständig ändernden Arbeitgeber- bzw. Auftraggeberkonfigurationen mit unterschiedlichsten Inhalten)

      • -> Die konstante Arbeitswelt des Industrialismus wird in Kernbereichen der Arbeit immer seltener -> Auswirkungen auf Normalbiographie

      • + Kooperation und dessen Formen durch +Kompliziertheit der Vorgänge und Produkte -> weitere Evolution der Unternehmensformen

      • aus genannten, diversen Trends: Verschiebung der Entscheidungs- und Machtzentren in der Gesellschaft:

        • - Macht:

          • Entmachtung des Staates

          • Entmachtung des Management

          • Entmachtung der Lohnabhängigen (und deren kollektiven Vertretern)

        • + Macht:

          • Bedeutung des Anlegers/Anteilsinhabers

          • Bedeutung der Analysten und Finanzexperten

          • Bedeutung des Selbstständigen

        • + Macht erfolgt durch Teilnahme und Positionierung im Informationssystem, als Kapazität zur Signalverarbeitung mittels Netzwerken

        • - Macht durch strukturelle Gebundenheit an altes Hierarchieprinzip

        • allgemeine Steigerung der Bedeutung und der Menge von kommunizierten Signalen für die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung -> + Auftreten oft nur noch (massen-)psychologisch erklärbarer Krisenphänomene (z.B. Zusammenhang zwischen realer Konjunktur, Börsenkursen und Investitions- bzw. Konsumneigung)

  • Die Entstehung der informationalen Wirtschaft ist in einen historischen Kontext der Kontinuität ökonomischer Entwicklung einzugliedern, der eine phasenhafte Form mit folgenden Elementen vermuten lässt:

    • Technologische Basisinnovation + allgemein-wissenschaftlicher Umbruch ->

      • Beginn der Diffusion technologischer und wissenschaftlicher Prinzipien mit grundlegend neuem Charakter über einen längeren Zeitraum; zu Beginn via technisch-wissenschaftlicher Eliten; im Kontext einer historisch spezifischen Anreizstruktur

      • Verzögerte Re-Institutionalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft in Hinsicht auf diese neuen Prinzipien

      • In diesem langfristigen Vorgang der „Suche“ nach effektiver Institutionalisierung der neuen Prinzipien entstehen Krisenphänomene aller Art

      • Erst späte, effiziente Nutzung der neuen Prinzipien nach erfolgreich, effizienter Institutionalisierung in Gesellschaft und Wirtschaft; keine homogene/parallele Ausformung/Umsetzung (geographisch/ im Bezug auf politisch-wirtschaftliche Einheiten/ zeitlich)

      • Kurze, aber sehr intensive Phase des Wachstums und der allgemeinen Wohlstandsmehrung

      • Wertschöpfungspotential der ehemals neuen Prinzipien erschöpft sich (sinkende Profitraten, Überakkumulation, Bevölkerungsdruck) -> Umbruchskrise

    • Erneute technologische Basisinnovation + allgemein-wissenschaftlicher Umbruch erfolgt in einem, vom vorherigen Großzyklus geprägten, Innovationsmillieu -> Beginn einer neuen Phase

  • Mit jeder dieser Phasen steigert sich die Unabhängigkeit der menschlichen Reproduktion von seiner natürlich gegebenen Umwelt. Die, mit der industriellen Produktion weitgehend ausgereizte, physische Unabhängigkeit durch die maschinelle Potenzierung der körperlichen Leistungsfähigkeit, findet im informationalen Entwicklungsmodus durch die erst beginnende informationstechnische Potenzierung der geistigen Leistungsfähigkeit eine weitere Ergänzung.


2. Definitionen


Dieser Abschnitt widmet sich der inhaltlichen Definition der thematischen Strukturelemente. Auf Grund der Breite des Themas und der vielfältigen Positionen, die zur Prüfung der Thesen im Verlauf der Arbeit herangezogen werden, kommt diesem Teil eine besondere Bedeutung zu. Es sollen dabei Begrifflichkeiten definiert werden, um mit ihnen einen Katalog von Verifikationskriterien zu erhalten, anhand derer im Abschnitt 3 die Darstellung des aktuellen Diskurses strukturiert wird. Abschnitt 4 bedient sich dieses Kriterienkataloges wiederum, um eine Überprüfung der Thesen mittels Bindung an die Diskursinhalte zu leisten.

Zwei allgemeine Strukturmerkmale werden dabei das erste, duale Grobraster zur Prüfung der Hauptthese von der Genese einer informationalen Wirtschaftsweise liefern:

  • der Entwicklungsmodus

  • das Wachstumsregime

Als Entwicklungsmodus ist dabei ein technologisch/organisatorisches Arrangement zu verstehen, durch das mittels Arbeit Materie zu einem Produkt gewandelt und somit Qualität und Umfang des Mehrwerts bestimmt werden. Jeder Modus bzw. Typus ist dabei durch eine grundlegende Eigenschaft spezifiziert, die die Quelle der Produktivität im Produktionsprozess bezeichnet und sich aus einem definierten, sozio-technologischen Paradigma ableitet.

Das Wachstumsregime wird hier als Dachbegriff für zwei zusammengehörige Theorieelemente dienen: Die Regulationsweise soll als eine spezifische Konstellation von gesellschaftlichen Institutionen verstanden werden, die kompatibel zu einem gegebenen Entwicklungsmodus den gesellschaftlichen Rahmen der ökonomischen Entwicklung darstellt. Damit einher geht die Formation eines spezifischen Akkumulationsregimes, das in Interdependenz mit der Regulationsweise Anreizstruktur und Logik des Akkumulationsprozesses bezeichnet.

Diese absichtlich allgemein gehaltene Differenzierung wird in den folgenden Abschnitten weiter ausgebaut, um am Ende diese Abschnittes einen nutzbaren Kriterienkatalog aufzustellen.


2.1 Zum Entwicklungsmodus

Um die Hauptthese eines quasi-revolutionären Umbruchs im Reproduktionsprozess durch die informationstechnische Entwicklung und ihrer Folgen zu prüfen, wird hier als erstes Hauptkriterium ein, gegenüber der industriellen Phase veränderter, Entwicklungsmodus definiert. Dieser hat in der Literatur diverse Namen und viele Gestalten. Im allgemeinen wird der wirtschaftliche Bereich, in dem die Genese des neuen Typus zu beobachten ist, als „New Economy“ bezeichnet. Ich möchte von der allgemeinen Definitions- und Bezeichnungspraxis abweichen, um eine unvorbelastete Terminologie zur Überprüfung des Bewertungskriteriums Entwicklungsmodus zu verwenden.

2.1.1 Drei Gründe gegen den Begriff „New Economy“

Der Begriff der New Economy (NE) ist seit der Diffusion des Internets, des .com-Booms und der Hausse der neuen Märkte an den Börsen als Modebegriff der öffentlichen sowie der wissenschaftlichen Diskussion einzustufen. Die wirtschaftliche Öffentlichkeit geriet in den späten 1990er Jahren nahezu in eine Euphorie über die Bedeutung der NE. In der Umkehr dieser Euphorie wird die NE heute nach den Kurskorrekturen in 2000:3 bis 2001:2 und der aktuell rezessiven Konjunktur von Kritikern und ehemaligen Anlegern für tot erklärt.

Dabei wird der Begriff auf fünf Bedeutungsebenen genutzt (vgl. Altvater/Heinrich 2001: S.2):

  1. Als Branchenzuordnung für Internet bezogene IT-Unternehmen = .com´s

  2. Auf der makroökonomischen Ebene als Entwicklungstrend einer kapitalistischen Wirtschaftsweise mit inflationsneutralem Wachstum und dauerhaft steigenden Profitraten

  3. Auf der Ebene der Börsenmärkte in den neuen Segmenten (Nasdaq, Neuer Markt etc.) notierte start-ups

  4. Neue Formen der Arbeit bzw. der Entlohnung

  5. Als Entwicklungstrend hin zu einer auf Wissensgesellschaft

Diese inhaltlich sehr breite und je nach Betrachter akzentuierte ‚Begrifflichkeit’ verhindert eine differenzierte Betrachtung der Thematik. Die NE ist damit als Gummibegriff des öffentlichen Diskurses einzustufen, vergleichbar mit den Begriffen Globalisierung oder nachhaltige Entwicklung. Dies begründet den ersten Einwand gegen eine Verwendung des Ausdrucks.

Darüber hinaus ist die Semantik des Begriffes irreführend. Das „New“ suggeriert nicht nur eine veränderte Qualität der Wirtschaft, es erzeugt gleichzeitig eine Dichotomie zwischen „Neu“ und „Alt“ und damit die Vorstellung eines notwendig vollständigen Substitutionsprozesses des Anachronistischen, Untauglichen durch das Moderne, Nützliche. Alle historischen Erfahrungen zeigen jedoch, dass es einen solchen Substitutionsprozess nicht geben kann und wird, da die fortschreitende Entwicklung stets auf der Basis des bisher Erreichten und Etablierten stattfindet. Auch dieser zweite Punkt spricht gegen die Begriffsverwendung.

In der ökonomischen Diskussion wird die NE auch oft als informationstechnischer Kern des IuKT-Bereiches mit folgenden Feldern verstanden: „1) hardware (PCs, routers, servers etc.); 2) network service providers (e.g. Internet access); 3) software to run the hardware and e-commerce packages; und 4) enabling services (e.g. e-payment, authentication/certification services, advertising, delivery)“ (OECD 1999 zit. nach Bischoff 2001: S.14). Für den Anspruch der Prüfung eines Umbruchs des Produktivkrafttyps erscheint eine solche Eingrenzung auf den IuKT-Bereich jedoch zu beengt. Damit liegen drei Gründe gegen den Ausdruck NE vor.

Um ein sauberes Bewertungskriterium für die Entstehung eines neuen Entwicklungsmodus zu erhalten möchte ich deshalb eine eigene Definition des neuen Wirtschaftstypus erarbeiten.

2.1.2 Deshalb: Die informationale Ökonomie

Zu Beginn der Begriffsdefinition möchte ich den ökonomischen Grundrahmen definieren, in dem eine informationale Ökonomie angesiedelt ist. In einigen Diskursbeiträgen findet sich ein Verständnis von informationaler Wirtschaft, das eine Verdrängung grundlegender Produktionsfaktoren beinhaltet: „Dabei wird Bezug genommen auf Vorstellungen, die die Auswirkungen der IuK-Technologien unter der Perspektive eines epochalen gesellschaftlichen Wandels betrachten, insofern sie Bedingung und Ausdruck einer qualitativ veränderten und dominierenden Rolle von Wissen gegenüber Kapital und/oder Arbeit sei“ (Krömmelbein 2001: S. 250). Einer solchen Vorstellung, die in entwicklungskritischen Quellen zu finden ist, soll mit der folgenden Definition entgegen gewirkt werden.

Im Kontext einer informationalen Ökonomie ist von einer Einbindung qualitativ neuer Elemente in das kapitalistische Ensemble der Produktionsfaktoren auszugehen. Die Verwertungslogik des Kapitals wird zwar erweitert, ihre grundlegende Struktur bleibt jedoch erhalten. Diese bedeutet den rational effektivsten Einsatz knapper Mittel zur Erzielung eines größtmöglichen Mehrwerts. Im Verwertungsprozess werden Inputs (Ressourcen) über die Produktionsmittel und den Einsatz menschlicher Arbeit zu einem Produkt umgewandelt. Im kapitalistischen System ergibt der Produktpreis abzüglich der summierten Kosten für Input, Arbeit und Produktionsmittel je Produkt den Mehrwert. Von einer „Verdrängung“ der Bedeutung von Kapital oder Arbeit kann mithin nicht ausgegangen werden, da sie Grundlage jedes Verwertungsprozesses darstellen, ungeachtet der Art der Mittel. Im Kapitalismus generell, und somit auch in einer informationalen Ökonomie, ist die Profitmaximierung oberstes Ziel und seine erste Kontrollziffer ist die Profitrate. Die Profitrate wird durch die Produktivität eines spezifischen Wandlungsprozesses bestimmt, die sich wiederum aus dem Verhältnis zwischen dem Wert jeder Inputeinheit zu dem jeder Outputeinheit dieses Prozesses ergibt. Der Grad der Produktivität ist von dem Verhältnis (Arrangement) zwischen Arbeit und Mitteln abhängig und damit Funktion der Nutzung der Produktionsmittel durch die Anwendung von Energie und Wissen (= Entwicklungsmodus) (vgl. Castells 2000: S.14). Damit ist auch in einer informationalen Wirtschaft die klassische Produktionsfunktion gegeben:


y = Outputmenge

l = Arbeitsmenge

k = Kapitalmenge

h = Humankapitalmenge

n = Ressourcenmenge

a = variable Technologie

F() = Funktion, die alle Inputs zu einem Output abbildet

--> y = aF(l,k,h,n)

Tabelle 1 - klassische Produktionsfunktion; Quelle: Springer Handbuch der VWL


Auf der Basis dieser Ausführungen bauen sich die spezifischen Eigenschaften einer informationalen Wirtschaft auf:

Sie ist informational im Sinne von wissensbasiert. Produktivität und produktbezogene Wettbewerbsfähigkeit ihrer Akteure hängen bedeutend von ihrer Fähigkeit zur effizienten Erzeugung, Akkumulation, Behandlung, Anwendung und Reproduktion von Wissen in Verbindung mit Fixkapital ab. Eine Eingrenzung im Rahmen des Begriffes der NE ist daher nicht ausreichend. Auch wissensbasierte Branchen, die schon lange vor der Diffusion von IuKT existierten oder in keinem direkten Zusammenhang mit ihr stehen, sind hier einzubeziehen. Zusätzlich zu allen IuKT verbundenen Unternehmungen gelten innerhalb der erbrachten Definition ebenfalls als informational: Finanzunternehmen (consulting, fonds-management etc.), Pharmazeutikunternehmen, Bio-Technikunternehmen(inkl. Gentechnik), alle Ingenieursbereiche und vieles mehr sind darunter zu subsumieren. Die spezifischen Elemente einer informationalen Wirtschaft sind Gegenstand der Betrachtungen in Abschnitt 3.3.2.

2.1.3 Sozio-technologisches Paradigma

Die Wissensorientierung einer solchen Wirtschaftform wird erst durch die Nutzung von IuKT als ‚Wissensmaschinen’ ermöglicht, die damit zu einer Querschnittstechnologie werden. Der Begriff Querschnittstechnologie impliziert ein omni-sektorales Nutzungspotential einer Technologie. Dazu gehört einerseits, dass eine solche Technologie den Anspruch universeller Anwendbarkeit erfüllen muss. Gegenständliche und räumliche Flexibilität sowie quantitative Skalierbarkeit sind Attribute dieser Anwendbarkeit. Andererseits muss eine solche Technologie eine universelle Rationalisierungslogik bieten. Aus ökonomischer Perspektive bedeutet dies die generelle Möglichkeit zur Senkung von Faktorkosten im Wertschöpfungsprozesses. Ein sozio-technologisches Paradigma bezeichnet eine spezifische Konstellation des Verhältnisses der Anwendung von Energie und Wissen im kapitalistischen Verwertungsprozess, die auf den Eigenschaften einer Querschnittstechnologie basieren. „In each new paradigm a particular input or set of inputs may be described as the ‚key factor’ in that paradigm...“(Freeman zit. nach Castells 2000). Ein solches Paradigma repräsentiert demzufolge die Umsetzung technologischer Möglichkeiten in soziale Strukturformen.

Methodologisch ist ein Paradigma als die exemplarische Anwendung einer speziellen Methode definiert. Auch die wissenssoziologische Definition von T.S. Kuhn ist hier, versteht man Technologie als die Vergegenständlichung gesellschaftlichen Wissens, nutzbar: Ein Paradigma ist eine klassisch wissenschaftliche (hier technologische) Leistung, die von Mitgliedern einer Disziplin (die ökonomischen Akteure) als vorbildlich akzeptiert und durch wissenschaftliche Tradition begründet ist. Ein geltendes Paradigma findet seine dauernde Anwendung auf wechselnde Gegenstände.

Für die Gestalt eines sozio-technologischen Paradigmas ist der Diffusionsprozess der Querschnittstechnologie ein wichtiger Punkt. Die Entwicklung einer Technologie ist kein autonomer Prozess. Sie ist in den jeweiligen sozio-ökonomischen Kontext ihrer Entstehung eingebunden. So hat z.B. der Entwicklungstand der Natur- und Kulturwissenschaften mit seiner paradigmatischen Leitfunktion für alle anderen Wissenschaften hier ein starke Bedeutung.

Die Existenz eines informationalen Entwicklungsmodus sollte sich demnach in der Ausgestaltung eines entsprechenden sozio-technologischen, informationalen Paradigmas zeigen, in dem eine informationale Wirtschaft agiert. Bei einer Überprüfung der Existenz eines informationalen Paradigmas ist dementsprechend nicht nur auf die Stimmigkeit der Argumente im Hinblick auf funktionale Zusammenhänge zum Wertschöpfungsprozess, sondern ebenfalls auf die Vergleichbarkeit mit den historischen Vorgängern, vor allem dem industriellen Paradigma, zu achten. Die effektive Gestalt des Wissens- und Informationseinsatzes in einem etwaigen informationalen Paradigma ist Gegenstand der Diskursbetrachtung in Abschnitt 3.2.2 und der Thesenrückführung in Abschnitt 4.1. Qualität und Umfang der veränderten Wertschöpfungsbedingungen sind die Basis für die Beurteilung ob ein neues Paradigma vorliegt. Sie werden damit zu einem Subkriterium der These eines informationalen Entwicklungsmodus.

Die neuen Faktoren informationalen Wirtschaftens lassen eine gesteigerte Produktivität vermuten, die in den makro-ökonomischen Rahmendaten wiederzufinden sein müsste.

Daher beschäftigt sich ein weiterer Teil der Ausführungen zum informationalen Entwicklungsmodus mit der Produktivitätsentwicklung in Abschnitt 3.2.3, die damit zu einem weiteren Subkriterium wird.


2.2 Zum Wachstumsregime

Neben dem Entwicklungsmodus wird als zweites großes Bewertungskriterium das Wachstumsregime (als Verbindung von Regulationsweise mit einem entsprechenden Akkumulationsregime) definiert. „Laut der Regulationstheorie kann ein neues Produktionsparadigma sein Potential nicht entfalten, solange es nicht in ein kompatibles Akkumulationsregime und eine entsprechende Regulationsweise eingebettet ist“ (Aglietta 1979 zit. nach Scherer 2001: S.14).

Die Regulationsschule(RS) bietet einen Rahmen, der flexibel genug ist, um jenseits der starren, klassischen Teilung des Ökonomielagers zwischen Neoliberalen/Neoklassikern und Marxisten eine möglichst tabufreie Betrachtung der aktuellen kapitalistischen Entwicklung zu erbringen. Die bisher aufgestellten Regulationskonzepte dieser Schule basieren auf der Beobachtung des Fordismus und stehen mit der ökonomischen Entwicklung von 1980 bis heute auf dem Prüfstand. Die Stärke der RS besteht darin, ihr Theoriegebäude bis hin zu essentiellen Bestandteilen (Kernelement Arbeitsbeziehungen) in Frage zu stellen und zu rekonfigurieren. Neuere Überlegungen der RS werden daher gemeinsam mit den Auffassungen anderer Autoren in den Abschnitten 3.3 und 4.1 dargestellt bzw. diskutiert.

2.2.1 Die Basiskonzepte der RS: Akkumulationsregime und Regulationsweise

Akkumulationsregime und Regulationsweise sind die beiden Basiskonzepte der RS. Das Akkumulationsregime beschreibt das Produktionssystem in einem dynamischen Prozess, der einem bestimmten Wachstumspfad in Verbindung mit einer gegebenen technologischen Entwicklung folgt. Der Regulationsmodus ist eine Konstellation von Institutionen, die den Akkumulationsprozess leiten und stabilisieren (vgl. Grahl/Teague 2000: S.161).

Das Akkumulationsregime umfasst Logiken, Motivationen und Strukturen der kapitalistischen Wertschöpfung und der Weiterverwertung von generiertem Surplus im Produktionsprozess. Diese Elemente des Regimes sind von der gesellschaftlichen Formation, der natürlichen Umwelt und dem technologischen Paradigma als exogene Faktoren geprägt. Es wird nach Boyer durch fünf grundlegende Kategorien dimensioniert (vgl. Boyer 1986 zit. nach Hübner 1990: S.140):

  1. Den Typus der Produktorganisation und die davon abhängige Form des Lohnverhältnisses

  2. Den zeitlichen Horizont von Kapitalbildung und –verwertung

  3. Den Verteilungsmodus des geschöpften Mehrwertes auf Profit, Löhne und Steuern

  4. Die Struktur der gesellschaftlichen Nachfrage

  5. Der „Artikulationsmodus“ mit nicht-kapitalistischen, aber in der Gesellschaft vorhandenen Formen der Akkumulation

Historisch wurden von der RS zwei idealtypische Regimeformationen ausgemacht (vgl. Lorenzi/Pastré/Toldedano zit. nach Hübner 1990: S.141):

  1. Ein dominant extensives Akkumulationsregime liegt vor wenn:

    1. Die Gesamtarbeitszeit aller Arbeitskräfte eine steigende Tendenz zeigt

    2. Die Arbeitsintensität bei unveränderten Produktionstechniken wächst

    3. Die Reproduktionsbedingungen der Lohnabhängigen nicht mit den, infolge der Akkumulation gesteigerten, Konsumptionsmöglichkeiten gekoppelt sind

Es ist durch folgende Elemente gekennzeichnet:

    1. Produktionsorganisation mit geringer Kooperation und schwachen Volumensteigerungen

    2. Starke Abhängigkeit der Kapitalverwertung und dessen primärer Verteilung von der jeweiligen Marktkonstellation

    3. Die Mehrheit der Bevölkerung steht aufgrund dominant familiärer Subsistenzverhältnisse außerhalb des Verwertungsprozesses. Damit spielt die Konsumption in diesem Akkumulationsregime eine untergeordnete Rolle.

  1. Ein dominant intensives Akkumulationsregime liegt vor wenn:

    1. Die Arbeitsproduktivität durch technologische und arbeitsorganisatorische Innovation dauerhaft und intensiv ansteigt

    2. Die Konsumptionsfunktion der Lohnabhängigen durch ihre massenhafte Einbindung in den Verwertungsprozess eine wichtige Rolle im Akkumulationsprozess spielt.

Ein dominant intensives Akkumulationsregime kann dabei ohne oder mit Massenkonsum auftreten. Eine genauere Ausführung zum historischen Wandel der Akkumulationsregime erfolgt in Abschnitt 3.3.1.

Die Regulationsweise bezeichnet ein den Akkumulationsprozess beeinflussendes/regulierendes Arrangement von Institutionen. Eine Institution ist ein Komplex von gesamtgesellschaftlichen Handlungs- und Beziehungsmustern. Zentrale Attribute der Institution sind ihre schwer planbare Beeinflussung, ihre Überdeterminierung (sie ist unspezifisch) und die Existenz eines zentralen Ordnungssystems als Antriebsstruktur der Mitglieder. Strukturell/funktional dient eine Institution der Selbsterhaltung sozialer Systeme auf drei Ebenen:

  1. relational: Sie übt eine Ordnungsfunktion für Beziehungen, Rollen, materiellen und sozialen Austausch aus.

  2. regulativ: Sie teilt gesellschaftliche Macht zu und verteilt soziale Belohnung.

  3. kulturell: Sie repräsentiert den Sinnzusammenhang eines sozialen Systems über Ideologie und Symbole.

Habitus, Konventionen5 und Organisationen (Machtstrukturen) sind als Typen von Institutionen zu verstehen (vgl. Grahl/Teague 2000: S.173).

Boyer formuliert drei Organisations- und Handlungsprinzipien, die Institutionen der ökonomischen Regulation aufweisen (vgl. Boyer 1986 zit. nach Hübner 1990: S.175):

  1. Allgemeingültige Gesetze, Vorschriften und Regelwerke bewirken einen direkten oder symbolischen Zwang zu einem spezifisch ökonomischen Verhalten.

  2. Diesen Regularien gehen variable, gesellschaftliche Kompromisse voraus, die in der Regel durch Verhandlungen zustande kommen.

  3. Über diese Formen hinaus existieren gesellschaftliche Wertesysteme, die individuelles wie kollektives Verhalten bestimmen und steuern können. Beispiele hierfür sind Religionen, Etiketten und ökonomische Überzeugungen.

Ökonomische Institutionen dienen infolgedessen der Regulation des Reproduktionssystems. „Regulation erfolgt dabei als Kombination von Zwang (Gesetze, Verordnungen), Vertrag (institutionalisierter Kompromiss), diskretionärem staatlichen Handeln und Werten, d.h. als kodifiziertes und nicht-kodifiziertes Handeln gesellschaftlicher Akteure, dem eine zeitliche und inhaltliche Regularität unterliegt“ (Hübner 1990: S.175)6.

Die Regulationsweise entspricht mithin einer spezifischen Konstellation von Akkumulationsregime und Institutionen. Sie ist durch drei allgemeine Eigenschaften gekennzeichnet (vgl. ebd.: S.188):

  1. Sie sichert dauerhaft die Reproduktion der grundlegenden, gesellschaftlichen Beziehungen über alle historischen Formen hinweg.

  2. Sie steuert und gewährleistet das zugehörige Akkumulationsregime.

  3. Das Zusammenwirken von Akkumulationsregime und Institutionen führt zu einer kompatiblen Ausrichtung individuellen und kollektiven Handelns der Akteure, das sich bei Funktionalität der Regulationsweise in einer positiven Dynamik des ökonomischen Systems zeigt.

Die Konzeptelemente von Akkumulationsregime, Institutionen und Regulationsweise werden im Folgenden unter dem Begriff des Wachstumsregimes zusammengefasst.

Diese Basiskonzepte zeigen bereits die Grundannahme der RS auf: Märkte sind nicht perfekt und bedürfen der Beeinflussung durch die Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist die RS als eine Strömung der Kapitalismuskritik einzustufen. Die prinzipiell erkannten, funktionalen Zusammenhänge der Regulationsweise und ihrer Unterbereiche im Fordismus wurden definiert, um die jeweiligen Entwicklungen der Gegenwart daran zu messen und sie gegebenenfalls zu kritisieren. Mit der massiven Auflösung bzw. Dekonstruktion dieser Zusammenhänge entstand die Postfordismusdebatte, in der über einen längeren Zeitraum kein kohärentes Nachfolgeregime des Fordismus zu erkennen war. „It was never entirely clear wether and how coherence could be restored to create another couple of decades of prosperity“ (Williams 2000: S.7). Mit der ökonomischen Entwicklung der späten 1990er hat die Postfordismusdebatte bei einigen Autoren eine neue Richtung bekommen. Aus mehreren Tendenzen leiten sie die Genese eines finanzzentrierten Wachstumsregimes als Nachfolgekonstellation ab.

2.2.2 Finanzregime = informationales Wachstumsregime?

Die Finanzzentrierung eines solchen Regimes ist ebenfalls ein wichtiges Element des aktuellen Diskurses über die Veränderungen der Regulation nach dem Fordismus. Im Zuge der starken Interdependenz von Aktienmärkten und Entwicklung der informationalen Wirtschaft, gehen einige Autoren von der Genese eines Finanzregimes als kompatibler Rahmen des informationalen Entwicklungsmodus aus. Die Stabilität eines solchen Regimes wurde durch die Hausse von Technologiewerten in 2000 damit zu einer Kernfrage der Diskussion. Die aktuelle weltwirtschaftliche Rezession rückt die Kurskorrekturen auf den Neuen Märkten in Hinsicht auf die Stabilitätsdiskussion heute jedoch in ein anderes Licht. In 2000 erfolgte nicht nur die Korrektur eines überhitzten Teilmarktes. Die Börse (insbesondere deren Technikmärkte) wird häufig als Zukunftsbarometer der Realwirtschaft verstanden, womit sich eine Interpretation der Kurseinbrüche als Vorwegnahme der Rezession anbietet. Jedoch auch die gegenläufige Interpretation der Spekulationsblase, deren Platzen die gesamte Weltwirtschaft in die Rezession stürzt, beansprucht Gültigkeit.

Im Zusammenhang mit weiteren Aspekten eines vermögensbasierten Wachstums (strategische Unternehmensführung, Verschuldungstendenzen, Konsumption, Anteilseinkommen etc.) wird sich die Diskussion über die Genese eines informationalen Wachstumsregimes, wie beim Entwicklungsmodus, um den Vergleich mit den Merkmalen der vorangegangenen Periode drehen. „The dynamics of this growth regime are far removed from those of the Fordist growth regime in respect of the macro-economic relationship between demand, supply and income distribution“ (Aglietta 2000: S. 153). Die funktionale Effektivität des Regimes des Fordismus setzt dabei Maßstäbe für die Felder Wachstumsentwicklung, Wohlstandsverteilung, Arbeits- und Wirtschaftssteuerung sowie die notwendige strukturelle Kohärenz eines informationalen Wachstumspfades.

Zur Ausführung und Verifizierung des Bewertungskriteriums vom informationalen Wachstumsregime in den Abschnitten 3.3 und 4.2 gelten somit die Subkriterien von entsprechendem Akkumulationsregime und kompatibler Regulationsweise.


2.3 Zusammenfassung: Der Kriterienkatalog

Um die Hauptthese von der Genese einer informationalen Wirtschaftsweise konsequent zu testen, muss auch die Kompatibilität der Kriterien Entwicklungsmodus und Wachstumsregime diskutiert werden. Wenn beide Elemente ineinander greifen kann von einer neuen Qualität der ökonomischen Entwicklung ausgegangen werden. Dementsprechend werden in Abschnitt 4 zuerst die Kriterien des Entwicklungsmodus, mit den Subkriterien sozio-technologisches Paradigma und Produktivitätsentwicklung, und des Wachstumsregimes, mit den Subkriterien Akkumulationsregime und Regulationsweise, anhand der Ergebnisse der Diskursbetrachtung aus Abschnitt 3 geprüft. Erst wenn das weitere Kriterium ihrer Kompatibilität evaluiert ist, lässt sich eine abschließende Beurteilung der Hauptthese erbringen. Der Kriterienkatalog kann daher folgendermaßen zusammenfasst werden:

Kriterien

Subkriterien

Entwicklungsmodus

Wertschöpfung und sozio-technologisches Paradigma


Produktivitätsentwicklung

Wachstumsregime

Akkumulationsregime


Regulationsweise

Kompatibilität zwischen Entwicklungsmodus und Wachstumsregime

Tabelle 2 - Katalog der Bewertungskriterien


Damit ist der Rahmen für die Evaluation der Arbeitshypothesen definiert, mithilfe dessen die nun folgenden Ausführungen des Diskurses und die Thesenrückbindung erfolgen kann.


3. Informationale Wirtschaft im Diskurs


In diesem Abschnitt erfolgt die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses über die Qualität der Veränderung der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen der Arbeit an Hand des in Abschnitt 2 etablierten Bewertungskataloges zur Verifikation meiner Ausgangsthesen.

Die Strukturierung dieser Darstellung erfolgt demnach in drei Haupteilen zu den Kriterien Umfang, Entwicklungsmodus und Wachstumsregime. Es sollen dabei die relevanten Argumentationslinien aufgezeigt und in ihrem Zusammenhang zueinander dargestellt werden. Dabei werden die jeweiligen Pole der Argumentation mit ihren speziellen Merkmalen ausgeführt, um für die Thesenrückbindung in Abschnitt 4 ein breites Spektrum von Evaluationskriterien zu gewährleisten.

Das relevante Material ist umfangreich und forschungshistorisch gesehen, relativ jung, denn der Großteil der Quellen ist kaum älter als zwei Jahre. Es liegt in der Natur einer solch aktuellen Thematik, dass sich der Gegenstand laufend verändert. Selbst im Zeitraum der Erstellung dieser Arbeit haben und werden sich neue, wichtige Entwicklungen zeigen und bisherige Annahmen revidieren. Das macht das Thema so überaus spannend, ist jedoch für die Ausbreitung eines Theoriegebäudes problematisch. Viele Fragen sind derzeit unzureichend, manchmal auch gar nicht zu klären. Wo dies möglich und sinnvoll ist, wird Datenmaterial aus Primär- als auch aus Sekundärquellen herangezogen, um die Argumentationen zu verbildlichen. Doch bieten unterschiedliche Autoren Zahlenmaterial zum selben Sachverhalt und ziehen gegensätzliche Schlüsse daraus. Der resultierende, unsichere Charakter einer solchen Betrachtung sollte jedoch den Versuch, diese Entwicklung zu analysieren und einzuschätzen nicht verbieten, sondern dazu anhalten, das in der Sozialwissenschaft naturgemäß auftretende Phänomen der Unschärfe gesellschaftlicher Modellbildung im Laufe der angestellten Betrachtungen im Blickfeld zu behalten.

Die Gewichtung und Abwägung der Argumentationen zur Rückbindung an meine Ausgangsthesen erfolgt im Abschnitt 4.


3.1 Der Wandel der Wirtschaft in Zahlen – eine allgemeine Darstellung

Die Diffusion informationsverarbeitender und kommunikationsorientierter Mikroprozessortechnologie seit Mitte der 1970er Jahre verändert das Arbeitsumfeld der Arbeitnehmer in einem großen Teil der industrialisierten Welt. Kaum ein Betätigungsfeld ist davon unberührt geblieben. Der Alltag in Büros, Fertigung und Dienstleistung von Unternehmungen aller Größe wird durch den Einsatz von IuKT geprägt. Diese Entwicklung erfolgte jedoch nicht aus dem Stand. Sie ist das Ergebnis eines charakteristischen Entwicklungsprozesses, der den Zeitpunkt, die Geschwindigkeit und den aktuellen Umfang der ökonomischen Veränderungen geprägt hat.

Dieses Unterkapitel beschreibt kurz die noch junge Entwicklung der IuKT und gibt einen Überblick über den quantitativen Umfang der entsprechenden Marktveränderungen .

3.1.1 Die Diffusion

Vorläufer dieses Diffusionsprozesses der Informationstechnologie war die in den 1950er Jahren einsetzende Nutzung von Großrechnern (Mainframes) in zwei Pionierbereichen: dem Militärwesen (inkl. Raumfahrt) und dem Finanzwesen. Die anfängliche Konzentration der IuKT-Nutzung in diesen Bereichen ist durch die immensen Investitions- und Betriebskosten, sowie die beschränken Einsatzmöglichkeiten der Mainframetechnologie zu erklären.

Diese Technologie basierte auf den ersten automatischen Röhrenrechnern im Binärsystem Z2 und Z3 von Konrad Zuse (1936 bis 1941). (vgl. Friedrichs/Schaff 1982: S.52ff) Die Geräte füllten zu Beginn ganze Turnhallen und bestanden aus Tausenden von einzeln verdrahteten Röhren/Transistoren, deren Herstellung und Wartung besonders aufwendig waren. Die Programmierung und Datenversorgung dieser Geräte erfolgte in Rechenzentren von Spezialisten in Form von Lochkarten. Programmierlogiken waren daher schwer umzusetzen und im Vergleich zu heute sehr wartungsaufwendig. Entsprechend klein war der Arbeitsmarkt für Programmierer mit den entsprechenden Qualifikationen. Die zu verarbeitenden Daten bestanden ausschließlich aus großen Zahlenreihen, die über Algorithmen verrechnet und am Ende in der selben Form wieder ausgegeben wurden. Systeme mit Textanzeigen und Datenbankfunktionalität entstanden erst im Laufe der 1970er Jahre. Die ersten Nutzer einer derartig kostenintensiven Technologie konnten nur aus den zentralen Machtbereichen der Gesellschaft stammen.

Der Staat, allen voran die Weltmacht USA, nutzte die Kapazitäten vor allem für die militärische Ballistikberechnung von Flugkörpern und zur Umsetzung von Raumfahrtprogrammen. Die staatliche Unterstützung der jungen Informationstechnologie ist somit in den Kontext des kalten Krieges und des Systemwettbewerbs einzuordnen. Doch auch die zivile Nutzung im Bereich der Volkszählungen spielte eine Rolle. IBM’s Marktführungsposition in der IuKT-Branche bis in die 1980er Jahre basiert auf einem Auftrag der US Regierung für eine Volkszählungsmaschine: die UNIVAC-1 von 1951 (vgl. Castells 2000: S.42) Staatliche Einrichtungen (Bell Labs, AT&T, NASA etc.) oder Unternehmen mit dem Staat als ausschließlicher Auftraggeber waren der Kern der frühen Entwicklungsphase der IT. Die Regierung erzeugte mit massiven Investitionen im Rahmen des Wettrüstens einen ersten Produkt- und Arbeitsmarkt für die IuKT. Erst infolge diese staatlichen Engagements etablierten sich diverse Innovationen im Fertigungsprozess7, die zu der Ausdehnung von Stückzahlen, Preisreduzierungen und einem erweiterten Nutzungspotential der Informationstechnologie führten. „(...) in only three years between 1959 and 1962, prices of semiconductors fell by 85%, and in the next ten years production increased by 20 times, 50 percent of wich went to military uses“ (Braun/MacDonald in ebd.: S.40).

In der freien Wirtschaft waren es dann ab Mitte der 1960er Jahre die Banken, die IuKT zuerst zur Kontenverwaltung und Finanzkalkulation einsetzten. Neben dem Staat stellte der Finanzsektor, den zweiten Pionierbereich dar, in dem sich die hohen Investitions- und Betriebskosten der neuen Technologie amortisieren konnten. Die allgemeine Ausweitung des Finanzdienstleistungssektors der USA in den 1970ern stellte einen weiteren Schub in der Verbreitung von Informationstechnologien dar. Die Flexibilisierung der internationalen Wechselkurse, die Ausbreitung neuer Finanzinstrumente (Derivate etc.) und die Ausweitung der internationalen Transaktionen auf Finanz- und Handelsmärkten wäre ohne den Einsatz von IuKT nicht möglich gewesen (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.1).

Ebenfalls in den 1970er Jahren erfolgte eine weitere technologische Innovation, die den zentralen Faktor für eine breite gesellschaftliche Diffusion von IuKT darstellt: der Mikroprozessor. Durch die Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen wurde es möglich Computer herzustellen, die auf einem Schreibtisch Platz fanden. Diese PCs (Personal Computer) stellten eine ausreichende Rechenkapazität zur Verfügung um eine textbasierte Benutzerschnittstelle zu realisieren, die auch von geübten Laien genutzt werden konnte. IBM und Apple begründeten diese Produktkategorie und verhalfen dem PC durch niedrige Preise zu seiner Massenhaften Verbreitung. Diese frühe Zweiteilung des PC-Marktes in zwei Systemkategorien hält bis heute an. Die Leistungskapazität der Geräte hat sich bis heute exponentiell gesteigert und eine Umstellung auf graphische Benutzerschnittstellen ermöglicht. Seite den 1990er Jahren ist im Zuge weiterer Miniaturisierung ein anhaltender Trend zur mobilen Nutzung von IuKT in Form von Kleinstgeräten wie Laptops und Mobiltelefonen im Gange.

Bemerkenswert an diesem Diffusionsprozess ist die zu beobachtende Kontinuität abendländischer Wirtschaftsgeschichte im Bezug auf die Bedeutung des Faktors Militärtechnik in der gesellschaftlichen Entwicklung. „Natürliche Beschaffenheit und Naturschätze waren im Verein mit dem Stand der jeweiligen Militärtechnik von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung von Größe und Eigenart des Staates und für die Gestaltung der jeweiligen Wirtschaftsordnung (...)“ (North 1988: S.66) Durch die Kombination von staatlicher Initiative und Zufällen entwickeln sich Innovationsmilieus aus der militärischen Forschung heraus. Die militärischen Märkte formen damit einen Entwicklungspfad für die weitere Nutzung von Technologien in zivilen Unternehmungen. „Sillicon Valley (...) was formed as a milleu of innovation by the convergence on one site of new technological knowledge; a large pool of skilled engineers and scientists from major universities in the area; generous funding from an assured market with the Defense Department; (...) and the institutional leadership of Stanford University“ (Castells 2000: S.62). Die Verbreitung der Atomkraftnutzung zeigt vergleichbare Muster auf.

Ebenso bemerkenswert ist im Gegensatz dazu ein historischen Alleinstellungsmerkmal der Diffusion der IuKT: Die Preisentwicklung. Keine andere Technologie hat in ihrer Geschichte einen derartigen Preisverfall über ihre gesamte (bisherige) Entwicklung gezeigt, bei der nach wie vor kein Ende abzusehen ist: „(...) at the end of 1995 there was an acceleration of the rate of proce change in computer hardware (including peripherals) from an average rate of –14.7 percent during 1987-95 to an average rate of –31.2 percent during 1996-99“ (Gordon 2000: S.50).

Abbildung 1 - Preisratenveränderung von Computern und Peripherie in % ,Quelle: Gordon 2000


Dieses Moment der Diffusion wird in der weiteren Diskussion um Produktivität und Querschnittstechnologie noch eine Rolle spielen.

Damit ist die Darstellung des Diffusionsprozesses abgeschlossen. Im folgenden Abschnitt werden die Marktveränderungen durch die Verbreitung von IuKT näher dargestellt.

3.1.2 Der Umfang

Um das Bild von der eventuellen Ausgestaltung einer informationalen Wirtschaft zu vertiefen, soll nun, nach der Beschreibung des Diffusionsprozesses, der bisher festgestellte quantitative Umfang im ökonomischen Gesamtprozess dargestellt werden. Die präsentierten Zahlen variieren je nach Quelle in ihrem Bezugsrahmen. Nur einige betrachten die informationale Wirtschaft innerhalb der Definition aus Abschnitt 2.1. Der Großteil der Quellen bezieht sich auf die OECD Definition und misst damit die Bedeutung des engeren IuKT-Bereichs. Unternehmungen, deren Profitgenerierung auf einer breiteren Nutzung von Wissen mittels IuKT erfolgt, ohne selber Anbieter zu sein, bleiben hier also unberücksichtigt (vgl. Abschnitt 2.1). Die Werte sind somit als Trendwerte zu interpretieren.

Beschäftigung

Als erster Orientierungswert soll der Beschäftigungsumfang der informationalen Wirtschaft dienen. Castells (vgl. Castells 2000: S.318ff) analysiert die Beschäftigungsstruktur bezogen auf die prozentualen Anteile von Industrie und Dienstleistungen (A), sowie Güterhandhabung und Informationshandhabung (B) in den zwei Zeitintervallen 1920 bis 1970 (Z1) und 1970 bis 1991 (Z2). A und B bilden dabei jeweils das Gesamtvolumen an Beschäftigung ab. Dies erfolgt für die Länder USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada. Die Auflösung der Zeitintervalle variiert dabei mit den verfügbaren Datenquellen der jeweiligen Staaten. Uns interessiert hier vor allem die Entwicklung des Anteils der Informationshandhabung aus B, die von Castells in die Teilbereiche Kommunikation, Finanzen, Versicherungen, Dienstleistung und Regierung gegliedert wird. Die Untersuchungsergebnisse zu A werden hier ausgelassen. Die Informationshandhabung ist dabei als die Menge der Tätigkeiten definiert, die nicht die Herstellung, die Verarbeitung, den Vertrieb oder einen sonstigen Umgang mit physischen Produkten zum Gegenstand haben. Diese Abgrenzung geht über die Definition aus Abschnitt 2.1.2 ein gutes Stück hinaus, da sie aus der logischen Negation der Produkthandhabung erfolgt8.

Im Zeitraum Z1 zeigt sich eine Zweiteilung des Feldes zwischen den angelsächsischen Staaten (USA, CAN und GB) und dem Rest (Japan, I, F, D). Die Extreme der Anteile der Informationshandhabung liegen im angelsächsischen Teil zwischen 23,4% (1921 in GB) und 41,4% (1971 in CAN) mit deutlichen Zuwächsen ab 1960. Der Rest des Feldes liegt im Zeitraum Z1 zwischen 20,2% (1921 in F) und 32,3% (1968 in F). Frankreich zeigt hier die deutlichste Dynamik auf, während die Zuwachsraten in den anderen Nationen eher gering ausfallen Daher wechselt Frankreich für Zeitraum Z2 zur Gruppe der angelsächsischen Länder deren Extrema zwischen 32,2% (1970 in GB) und 48,3% (1991 in USA) liegen. Die Gruppe mit weniger ausgeprägtem Anteil liegt zwischen 23,9% (1971 in I) und 39,2% (1987 in BRD). In beiden Gruppen ist ab 1980 eine beschleunigte Zunahme des Anteils der Informationshandhabung festzustellen.

Zwei Ergebnisse der Betrachtung sind festzuhalten:

  1. Es existiert eine Kluft beim Anteilumfang der Beschäftigten im nicht-produktbezogenen Bereich zwischen den angelsächsischen und den restlichen G7-Staaten von ca. 10 Prozentpunkten.

  2. Es sind zwei Beschleunigungsphasen dieses Anteils von 1960-70 und von 1980-90 zu erkennen.

Eine Betrachtung zur Beschäftigung mit anderem Fokus liefert Welsch (vgl. Welsch 2001). Er fasst die Beschäftigungszahlen und –prognosen unterschiedlicher Institute, Verbände und Unternehmensberatungen mit variierenden Branchenabgrenzungen für Deutschland in einem Artikel zusammen. Die Prognosen zu langfristigen Beschäftigungseffekten durch das Rhein-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung sind als Schätzungen einzustufen. Deshalb sollen hier nur die aktuellen Zahlen und kurzfristigen Prognosen der BITKOM (Dachverband der deutschen IuKT-Wirtschaft) und der OECD präsentiert werden. Beide definieren die Abgrenzung des betrachteten Wirtschaftssektors laut OECD wie in 2.1.1 dargestellt und bleiben somit unterhalb des definierten Rahmens einer informationalen Wirtschaft (vgl. ebd.: S.160).

Die OECD zählte demnach im Jahr 1997 ein Volumen von 974.000 Arbeitsplätzen im deutschen IuKT Bereich. Davon entfielen 38,3% auf Herstellung von IuKT-Produkten, 22,7% auf Telekommunikationsdienste und 39% auf IT-Dienstleistungen. Damit erreichte der Bereich einen Anteil von 3,1% am Gesamtarbeitsplatzvolumen und liegt somit unter dem OECD Durchschnitt der G7-Staaten von 3,8% im beschriebenen Jahr.

Die BITKOM weist für 1999 ein IuKT-Beschäftigungsvolumen von 761.000 und für 2000 von 794.000 Arbeitsplätzen aus. Für 2000 fallen davon 41,5% in den Bereich Software- und IT-Dienstleistungen, 32,4% in den Bereich Fernmeldedienste und 14,5% in den Bereich Büromaschinen und DV-Geräte-Herstellung. Die BITKOM geht von einer Steigerung der Anzahl von IuKT-Arbeitsplätzen im Zeitraum 1997 bis 2000 um 95.000 Stellen (+13,6%) aus. Davon entfallen auf Software und IT-Dienstleistungen 100.000 Stellen (+43%), gefolgt von den Fernmeldediensten mit 36.000 Stellen (+16%). Dagegen steht die negative Entwicklung in den Produktionsbereichen der Branche. Bei der Büromaschinen und DV-Geräte-Herstellung wurden 32.000 Stellen abgebaut (-22%); bei der Herstellung Nachrichtentechnischer Geräte erfolgte ebenfalls ein Abbau von 9.000 Stellen (-9%).

Die Zahlen von BITKOM und OECD demonstrieren trotz ihres schmalen Fokus, einen Wachstumstrend der informationalen Kernbranche in Deutschland. Sie weisen jedoch auch darauf hin, dass ein deutlicher, positiver Beschäftigungseffekt zum Ausgleich des Arbeitsplatzabbau in vielen Produktions- und Dienstleistungssegmenten hier nicht zu erwarten ist.

Ein Vergleich der beiden Statistiken zeigt die Bedeutung der unterschiedlichen Definitionsgrundlagen auf: Castells weist die allgemeine Tendenz des Bedeutungsverlustes produktbezogener (und damit klassisch industrieller) Arbeit mit seiner Statistik nach. OECD und BITKOM konzentrieren sich hingegen auf die konkrete Arbeitsmarktentwicklung des technischen Kerns der IuKT Branche, der diese Entwicklung durch seine Produkte und Dienstleistungen forciert.

Märkte

Ein weiterer allgemeiner Orientierungswert für die Bedeutung der Informationstechnologien sind die strukturellen Veränderungen der Produktmärkte und des Welthandels im Zuge ihrer Verbreitung.

Der erste Blick soll dabei auf eine längerfristige Entwicklung fallen: die Verschiebung von Anteilen im Weltgüterhandel. Die Weltbank zeigte in ihrem „World Development Report 1998“ einen deutlichen Trend zur Technisierung des Güterhandelsvolumens. Von 1976 bis 1996 hat sich der Anteil primärer Produkte um 21 Prozentpunkte auf 13% und der einfacher Technologien um drei Punkte auf 18 % bei einem gleichbleibenden Ressourcenanteil (11%) verringert. Die Anteile mittlerer Technologien stiegen dagegen um 10 Prozentpunkte auf 32% und die der Hochtechnologien um elf Punkte auf 22% an. Ein Trend zur Steigerung der technologischen Intensität des Güterwelthandels ist auch aus den aktuellen Zahlen zum Anteil der Büro- und Telekommunikationsausrüstung am Welthandelvolumen der WTO in Tab.3 zu ersehen.


Tabelle 3 - Büro- und Telekommunikations-ausrüstung Welthandel 1980 bis 2000 in Bill. US$ und %; Quelle: WTO 2001


Abbildung 2 - Welthandelsanteile nach Produkt in Prozent für 1990 und 2000 in %; Quelle: WTO 2001


Diese Folgerung stützt auch die Betrachtung der weltweiten IuKT-Infrastrukturentwicklung. Die Verbreitung informationstechnischer Einrichtungen und Geräte zeigt eine steigende Tendenz und ist damit als ein Indikator für den noch andauernden Entwicklungs- und Diffusionsprozess von Informationstechnologien zu interpretieren.


Abbildung 3 - weltweite IuKT Infrastrukturentwicklung nach Faktoren in Millionen Einheiten 1999-2001; Quelle: BITKOM 2001


Diesem Hochtechnologietrend entspricht die Bruttowertschöpfungsentwicklung des IuKT-Bereichs der führenden Welthandelsnation USA. Nach dem US-Wirtschaftsministerium hat sich der Anteil dieses Sektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von gut 4% in 1977 auf ca. 8,5% in 1999 erhöht (vgl. Castells 2000: S.149). Mit 8,7% in 2000 liegen die USA im internationalen Vergleich der BITKOM zum IuK Anteil am BIP an erster Stelle (vgl. Abb. 4).


Abbildung 4 - Anteil der IuK-Technologie am BIP 2000 in %, Quelle: BITKOM 2001


Ein ähnliches Bild liefert nach dem „UNICE Benchmarkingreport 2000“ der Umfang der IuKT Ausgaben, gemessen durch ihren Anteil am BIP für 1999 (vgl. Bischoff 2001: S.40). Hier führen wieder die USA die Statistik mit 8,6%, gefolgt von der Schweiz mit 7,2 %. Japan liegt mit 6,9 % hier jedoch vor der EU mit 6,1 % und dem Schlusslicht Deutschland mit 5,1 % und das obwohl der Anteil der IuKT Investitionen in Deutschland am Gesamtvolumen der Ausrüstungsinvestitionen von 14,6 % in 1991 auf 22,9 % in 1999 gestiegen ist (vgl. WSI 2001). Die Investitionsneigung in IuKT wird häufig als ein wichtiger Indikator für den Umsetzungsgrad einer „Wissensgesellschaft“ (diese Begrifflichkeit wird weiter unten diskutiert) herangezogen. „Mit der ‚New Economy’ wird ein vor allem auf den rasanten Fortschritten in der Datenverarbeitung und Telekommunikation basierender höherer trendmäßiger Anstieg der Faktorproduktivität in Verbindung gebracht. Ein solcher Wandel in der wirtschaftlichen Struktur zeigt sich auch in den Investitionen, welche Unternehmen in neue Ausrüstungen tätigen.“ (ebd.). Die hier angesprochene, steigende Faktorproduktivität, die sich aus Investitionen in Informationstechnologien ergeben soll, wird bei der Diskussion zur Produktivitätsentwicklung ein entscheidender Faktor sein und deshalb weiter unten ausgeführt.

Die USA werden in Untersuchungen häufig als Leitbild für die Entwicklung einer erfolgreichen Wissensgesellschaft dargestellt, da die positive Produktivitätsentwicklung der USA in den 1990er Jahren auf deren effiziente und breitgefächerte Nutzung der IuKT zurückgeführt wird. Eine ‚Aufholjagd’ der übrigen Wirtschaftsblöcke um die sich nach wie vor entwickelnden Märkte hat begonnen: „Wichtig wird ferner sein, dass Europa den Abstand zu den USA bald verringert, da einen Teil der Gewinne und damit des Wirtschaftswachstums nur das erste Unternehmen am Markt erzielen kann (sog. first mover advantages). Damit fallen dies betriebs- und volkswirtschaftlichen Gewinne vorwiegend in den USA an;“ (Stierle 2001, S.19)

Die Position Deutschlands bei dieser ‚Aufholjagd’ ist trotz der gestiegenen Ausrüstungsinvestitionen nicht die Beste. Der Indikator des Verhältnisses von PCs zur Einwohnerzahl zeigt dies deutlich (vgl. Abb.5).


Abbildung 5 - PCs pro 100 Einwohner in 2000; Quelle: BITKOM 2001


Dem Status der USA als führende informationale Wirtschaftsmacht wird auch die Aufteilung des IuKT-Weltmarktes nach Staaten gerecht. Nach dem „EITO Update 2001“ (European Information Technology Observatory) liegt das Weltmarktvolumen für den IuK Sektor bei 4207 Mrd. DM in 2001. Davon besetzen die USA 36 %, Europa (inkl. Osteuropa) 29 %, Japan 11% und die übrigen Länder 24 %.

Eine Besonderheit der IuKT-Märkte zeigt sich in den Zahlen der WTO zu den Anteilen der Weltregionen an Herstellung und Handel von Büro- und Telekommunikationsausrüstung bei Im- und Export (vgl. Tab.4 und Abb.6). Die USA sind zwar die führende Marktmacht im IuKT-Bereich. Die stark modularisierten und standardisierten Teile, die zur Herstellung von Hardware weltweiten Einsatz finden, werden jedoch zu einem großen Teil in Asien hergestellt. Der aktuelle Marktführer im PC-Segment DELL beispielsweise baut seine Rechner in den USA zusammen. Die Einzelteile aus denen diese Rechner bestehen stammen aber nicht aus eigener Fertigung, sondern werden in einem hochentwickelten Zuliefersystem „just-in-time“ von daher bezogen wo sie günstig zu haben sind. „DELL baut nichts selbst. Alle Komponenten kommen von anderen Herstellern. ‚Es lohnt sich, die Investitionen anderer zu nutzen und sich darauf zu konzentrieren, den Kunden Lösungen und Systeme zu verkaufen’, erklärt Michael Dell in einem Interview (...)“ (Brand Eins 10/2001: S.73).


Tabelle 4 - Anteile der Büro- und Telekommunikationsausrüstung an Welt-handel und -produktion für 2000 nach Regionen in %; Quelle: WTO 2001

Abbildung 6 - Anteile der Regionen am Welthandel mit Büro- und Tele-kommunikationsausrüstung in %; Quelle: WTO 2001


Hier zeigt sich der globale Charakter der IuKT-Märkte. Lokale Preise, Margen und Mengen ändern sich täglich unter dem Einfluss des Wettbewerbs multinationaler Konzerne auf globaler Ebene.

Die bedeutende Position asiatischer Wettbewerber ist jedoch nicht auf allein auf japanische Konzerne zurückzuführen Auch die Tigerstaaten und China nehmen in der Herstellung informationstechnischer Produktkomponenten und Peripherie heute eine wichtige Position ein. Dagegen zeigt sich in den sehr niedrigen Anteilen Latein Amerikas, der post-sozialistischen Staaten, des mittleren Ostens und Afrikas die Übertragung des internationalen Handelsungleichgewichtes von industriellen auf informationstechnische Güter und Dienstleistungen. Auch diese ungleiche Verteilung von Wissen und Technologie zwischen den Ländern und Regionen der Welt wird aus Tab.4 und Abb.6 deutlich. „Thus, the new international division of labour, on the one hand, maintains the trade dominance of OECD countries, particularly in high-value trade, through technological deepening and trade in services. On the other hand, it opens up new channels of integration of newly industrializing economies in the patterns of international trade, but this integration is extremly uneven, and highly selective“ (Castells 2000, S. 110).

Der Wettbewerb um die IuKT Märkte wird sich in der nahen Zukunft noch weiter verschärfen, da diese im Zuge der weltweiten Rezession seit 2001:4 ihre hohen Wachstumsraten der Vergangenheit nicht weiter aufrechterhalten können. Zeigte z.B. der Markt in Westeuropa von 1994 bis 2000 eine stete Wachstumsentwicklung von 7,1% auf 13%, fällt diese für 2001 auf 6,8% zurück (vgl. EITO Update 2001). Dieser Rückfall der Wachstumsrate ist ein internationales Phänomen. Im Gegensatz zu anderen Sektoren ist jedoch kein Stagnation oder gar eine rezessive Marktentwicklung eingetreten. Für 2002 prognostiziert EITO bereits wieder einen Anstieg der Wachstumsrate (vgl. Abb.7).


Abbildung 7 - weltweites Wachstum der IuKT Märkte 2000 bis 2002 in %; Quelle: EITO Update 2001


In ökonomischen Krisenzeiten zeigt sich der IuKT-Bereich relativ wachstumssicher. Er hat, wie die Daten dieses Abschnittes zeigen, bis heute eine gewichtige Position in den Märkten der OECD und der Welt eingenommen.

3.1.3 Zusammenfassung

Zusammenfassend lassen sich neben der charakteristischen Entwicklungs- und Diffusionsphase einige grundlegende Entwicklungstrends aus der Marktbetrachtung feststellen:

  1. Die Bedeutung produktbezogener Arbeit in den OECD Ländern geht langfristig zurück.

  2. Der informationale Kernsektor der IuKT ist selber von Arbeitsplatzrationalisierung in seinen produzierenden Teilen betroffen und zeigt dadurch eine relativ geringe Beschäftigungsdynamik.

  3. Es besteht ein Trend zur Steigerung der technologischen Intensität des Güterwelthandels.

  4. Die angelsächsischen Länder und allen voran die USA sind in der Nutzung von und de Wertschöpfung durch Informationstechnologie weltweit führend. Europa und Asien befinden sich in einem Aufholprozess.

  5. Der internationale Markt für informationstechnische Güter zeigt global-arbeitsteilige Merkmale mit divergierenden Anteilen der Weltregionen.

Diese Ergebnisse zeigen einige Strukturen informationaler Entwicklung und quantitative, makro-ökonomische Veränderungen durch die neuen Technologien auf. Sie sagen jedoch noch recht wenig über die Qualität dieser Entwicklungen aus. Der Umfang und die Art, in dem das unternehmerische Handeln insgesamt beeinflusst wird, ist für diese Beurteilung zentral. Für die Frage, ob sich ein neuer Entwicklungsmodus des Kapitalismus auf der Basis von Informationstechnologien entwickelt, ist die Veränderung grundlegender Zusammenhänge der Wertschöpfung zu betrachten.


3.2 Die IuKT als Basistechnologie für das sozio-ökonomische Paradigma eines informationalen Entwicklungsmodus ?

Mit der Evolution des Personal Computers und weiterführender technischer Innovationen auf mikroelektronischer Basis seit den 80’er Jahren des 20.Jh. hat sich die Sphäre der ökonomischen Wertschöpfung dieser neuen Möglichkeiten angenommen. Die neuen ‚Wissensmaschinen’ sind in vielen Bereichen Hilfsmittel oder sogar Gegenstand der alltäglichen Arbeit geworden.

Es ist eine wissenschaftlicher Diskurs über das Potential dieser Entwicklung entbrannt. Erleben wir einen Wandel der kapitalistischen Produktivkräfte mit der Qualität einer Revolution oder haben wir die Spitze des Entwicklungsschubes bereits hinter uns?
Dies ist die Leitfrage des Bewertungskriteriums Entwicklungsmodus mit der sich dieses Kapitel beschäftigt.

Zu ihrer Untersuchung wurden im vorangegangenen Teil die Qualität und Quantität der Veränderungen in der Wirtschaft dargestellt. Nun folgen die Betrachtungen zur Genese eines neuen sozio-technologischen Paradigmas und die Ausführungen in Hinsicht auf zu erwartende Produktivitätsentwicklungen.

Die Einschätzung, ob mit der Informationstechnologie ein neuer Entwicklungsmodus entsteht, erfolgt in Bezug auf die historische Ausbildung der bisher bekannten Typen. Diesen Typen lagen bestimmte technologische und soziale Entwicklungen zugrunde, die sich in einem breiten Umfang auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt haben und damit ein sozio-technologisches Entwicklungsparadigma für die jeweiligen Epochen darstellen. Bevor ein Vergleich der Auswirkungen der informationalen Entwicklung mit vorangegangenen Modi erfolgen kann, müssen daher die historischen Typen und die Momente ihres Wandels dargestellt werden.

3.2.1 Die Neolithische und die Industrielle Revolution

In der Wirtschaftsgeschichte der Menschheit waren bisher einige Phänomene zu beobachten, die eine starke Veränderung der Verfügbarkeit über Subsistenzmittel (= Mittel zum Lebensunterhalt) zur Folge hatten. Neben Naturereignissen wie Flutkatastrophen, Dürren und Seuchen erfolgten diese Umbrüche stets durch Menschenhand. Sie basierten auf der Erweiterung oder Veränderung von Fähigkeiten des Menschen im Umgang mit seiner Umwelt oder mit sich selbst und bewirkten so eine gesteigerte Unabhängigkeit der biologischen und ökonomischen Reproduktion von natürlichen Beschränkungen. Die beiden wichtigsten Elemente in diesem Prozess waren aus heutiger Sicht die neolithische und die industrielle Revolution:

Die neolithische Revolution bezeichnet die Phase der Entdeckung der gezielten Nutzung von Feuer (auf der Basis fossiler Brennstoffe wie Holz) und die damit verbundene Sesshaftwerdung der Menschen als Bauern mittels der Techniken Brandrodung, Ackerbau und Nutztierhaltung ab 8000 v.Chr. Dies darf man sich jedoch nicht als einen kurzfristigen Prozess vorstellen. Der Ackerbau breitete sich beispielsweise langsam und unstetig mit ca. einem Kilometer pro Jahr über zwei Jahrtausende aus. Populationsgröße, geographische Lage sowie Nachbarschaft bzw. Konkurrenz zu anderen Stämmen spielten ein wichtige Rolle in seiner Diffusion. Mit steigender Größe einer Population fielen die Erträge des Jagens, und damit der vorherigen Lebensform, unter die der neuen Technik des Ackerbaus und es erfolgte eine entsprechende Umverteilung der Arbeitskraft, um den Bestand der Population zu sichern. Nach und nach nahmen die einzelnen Stämme diese Lebensform an und stellten ihre Lebensweise um. Dieser Schritt bedeutete die Entstehung der ersten Konstellation von natürlichem Kapital (hier Boden), menschlicher Arbeit und technischen Mitteln (Feuer, Werkzeuge) zur eigenhändigen Erzeugung von Subsistenzmitteln. Damit entstand die erste, faktorbasierte Arbeitsteilung in einem gesellschaftlichen Kontext. Entlang der Struktur dieser Reproduktionsfaktoren bildeten sich agrarische Eigentumsverhältnisse, Gesellschafts- und Wirtschaftsformen sowie Kulturen aus. Der qualitative Unterschied zur Phase der Jäger und Sammler lag in der Erzeugung von Nahrung und anderen Bedarfsgegenständen zur Lebenssicherung durch die eigene Hand und dem eigenen Ideenreichtum zur Nutzung von Hilfsmitteln in dieser Hand. Die Begrenzung des Reproduktionspotentials des Menschen war damit nicht mehr rein natürlicher Art. Die genannten Reproduktionsfaktoren und ihre strukturelle Beschaffenheit formierte agrarischen Entwicklungsmodus.

Die Produktivität des Faktoreinsatzes von Arbeit und natürlichem Kapital wurde durch die Umwelt, die Arbeitskapazität von Mensch und Tier sowie den Technikeinsatz bestimmt und war damit nur bedingt steigerbar. „The technological stability or stagnation of agrarian society has certain overwhelmingly impotant implications. It means that no radical improvement in output is conceivable: the only increase possible is one based on increasing the use of one of the available factors of production - land and labor- and this inevitably comes up against the Law of Diminishing Returns“ (Gellner 1998: S.17). Eine mit dem industriellen Modus vergleichbare Akkumulationslogik ist für den agrarischen Modus demzufolge nicht festzustellen, da die Erzeugnisse der Eigenversorgung dienten und in der Regel nicht Gegenstand eines Weiterverwertungsprozesses waren. Im Ergebnis erfolgte jedoch eine deutliche Beschleunigung menschlicher Entwicklung mit zunehmender Population, steigender Lebenserwartung und Lebensqualität im Vergleich zur voragrarischen Phase (vgl. North 1988; Altvater/Mahnkopf 1992 u. 1997; Castells 2000).

Die industrielle Revolution hatte im Vergleich zur agrarischen Phase eine deutlich stärkere Beschleunigung und Veränderung von Reproduktionsverhältnissen und Gesellschaft zur Folge. Durch die Entwicklung der Geistes- und Naturwissenschaften (Aufklärung/Physik/Chemie) in Wechselwirkung mit Erfindern und Gebildeten entstanden Innovationen9, welche die Palette bisheriger Produktionsfaktoren erweiterten und damit die abstrakten Ergebnisse von Wissenschaft in den bis dahin entkoppelten Reproduktionsprozess integrierten. Wie bei der Entstehung des agrarischen Entwicklungsmodus vollzog sich auch dieser Prozess nicht umbruchartig. Die Innovationen mussten in einem längeren Anpassungsprozess erst alltagstauglich gemacht und eine entsprechende Anwendungskompetenz entwickelt werden. Die Entstehung (1624 in England) und Fortentwicklung des geistigen Eigentums (= Patentrecht) spielte in dieser Entstehungsphase eine wichtige, institutionelle Anreizrolle. Die Kodifizierung von Eigentumsrechten bewirkte eine Angleichung von privaten und sozialen Erträgen einer Innovation. Mit anderen Worten, durch das Patentrecht wird der individuelle Nutzen bzw. der persönliche Gewinn des Erfinders einer Innovation in ein lohnendes Verhältnis zu dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen seiner Erfindung gesetzt.

Der neue Produktionsfaktor des physischen Kapitals (= vergegenständlichtes Kapital und Wissen) veränderte die Struktur und das Potential des Reproduktionsprozesses. Dieser neue Produktionsfaktorsfaktor gestaltete sich in der Form der industriellen Maschinerie aus. Mit ihm war es dem Menschen möglich, die Unabhängig seiner Reproduktion von den natürlichen Gegebenheiten drastisch zu erweitern. Die Maschine substituiert mechanische, menschliche Arbeit mittels der Nutzung fossiler Energie und wandelt Ressourcen in einem Verarbeitungsprozess um. Die Einschränkung der Verarbeitung von Rohstoffen durch die menschliche oder tierische Leistungsfähigkeit entfällt. „In the agrarian world, most men worked with their muscle. In the industrial society, physical work ist virtually unknown, and their is simly no market for human brawn.“ (Gellner 1998: S.29) Die zentrale Nutzung fossiler Rohstoffe verleiht der industriellen Ressourcenverarbeitung ihr enormes Potential zur Skalensteigerung im Reproduktionsprozess. Die Kapazität dieses Produktionsmittels ist nur noch vom Ressourceninput in Form von Rohstoffen und Energie natürlich begrenzt. Alle anderen Faktoren der Reproduktion sind durch den Menschen bestimmt und damit mittels Innovation und Organisation rationalisierbar. Die Produktivität der Faktornutzung von natürlichem, physischem und humanen Kapital ist dadurch im Gegensatz zu der agrarischen Konstellation sehr weitgehend steigerungsfähig. Das den neuen Produktionsfaktoren eigene Rationalisierungspotenzial erzeugte die Möglichkeiten industriellen Wachstums und Wertschöpfung und verwandelte die menschliche Subsistenzwirtschaft (= Reproduktion) in eine Produktionswirtschaft. Die in 2.1.2 definierte Produktionsfunktion, in der die eingesetzte Technik die Produktivität grundlegend mitbestimmt erlangte ihre Geltung. Es bildete sich der industrielle Entwicklungsmodus aus (vgl. North 1988: S.163-191; Gellner 1991: Kap. 3; Castells 2000).

Seine Produktivkräfte basierten auf der Form einer mechanisch-verarbeitenden Industrie, die mit der Diffusion der Automatisierungstechnik eine breite Durchsetzung der industriellen Massenproduktion bis Ende des 19. Jh. forcierte. Zu Beginn des 20. Jh. ergab sich aus der Arbeitsorganisationslehre von Charles Taylor und der Innovation des Fließbandes eine weitere deutliche Rationalisierung dieses Typus. Der Taylorismus zerlegt den Arbeitsprozess analytisch in seine kleinsten Bestandteile und passt alle Arbeitsschritte an die Bedingungen der genutzten Maschinerie an. Dadurch wird der Arbeitsprozess um das physischen Kapital herum organisiert und die Faktorproduktivität deutlich gesteigert. Das Fließband ergänzte dieses Organisationsprinzip wiederum ideal, da es die gesamte Herstellung eines Produktes nicht nur logisch, sondern auch physisch aufgliedert und damit die Möglichkeit zur Arbeitsteilung im Produktionsprozess drastisch erhöht. Die Folge war eine weitere Erhöhung der Faktorproduktivität durch die mit beiden Praktiken erreichbare, umfassende Kontrolle des Produktionsprozesses. Diese Erweiterungen des Entwicklungsmodus bilden den hochindustriellen Entwicklungsmodus: den Fordismus. Dieser wurde nach dem US-amerikanischen Unternehmer Henry Ford benannt, der seine Automobile auf Fließbändern nach tayloristischen Arbeitsorganisationsprinzipien fertigen ließ. Der Fordismus hat die kapitalistische Entwicklung des 20. Jh. und die heutigen Gesellschaftsformen entscheidend geprägt (vgl. Altvater/Mahnkopf 1992, S. 61ff).

Zusammenfassung

Dieser kurze historische Überblick zeigt einige grundlegende Eigenschaften der beschriebenen Entwicklungsmodi auf, die in der Diskussion über die Genese eines informationalen Entwicklungsmodus als Orientierungspunkte dienen sollen:

  1. Mit jedem dieser Modi entwickelte sich eine veränderte bzw. erweiterte Konstellation von (Re-)Produktionsfaktoren.

  2. Dem agrarischen und industriellen Entwicklungsmodus liegt ein jeweils spezifisches Element zugrunde, das einen Produktivitätsschub im Faktoreinsatz bewirkt. Im agrarischen Modus bestand die Quelle erweiterter Erträge in der quantitativen Ausweitung von Arbeit, natürlichem Kapital (Boden) und der Ressourcennutzung mittels Techniken für Ackerbau und Viehzucht. Im industriellen Modus lag die Hauptquelle der Produktivitätssteigerung in der Nutzung neuer Energiequellen und der technischen Fähigkeit, diese dezentral im Produktions- und Zirkulationsprozess zur Automatisierung und zum Transport zu nutzen (vgl. Castells 2000: S. 16). Diese Produktivitätsquellen sind Kern des jeweiligen sozio-technologischen Paradigmas.

  3. Beide Modi zeichnet eine längere Diffusionsphase bis zu ihrer Breitenanwendung aus. Der agrarische Modus brauchte zwei Jahrtausende, der industrielle noch 150 Jahre bis zu seiner Alltagsumsetzung (vgl. North 1988: S.76ff und S.176ff; Altvater/Mahnkopf 1992, S. 62).

  4. Die beiden als „Revolution“ bezeichneten Ereignisse stellen keine strukturellen Umbrüche des Reproduktionsprozesses dar. Sie waren der jeweilige Höhepunkt einer kontinuierlichen Entwicklung des Menschen hin zu einer immer weiter gesteigerten Unabhängigkeit seiner Reproduktionsbedingungen von der natürlichen Umwelt (vgl. North 1988: Kap. 13ff; Gellner 1991: Kap. 3).

Diese Fokussierung gesellschaftlicher Entwicklung auf Innovation und Ökonomie soll die spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Entwicklungsmodi aufzeigen. Diese sind jedoch in einem weiteren gesellschaftlichen Umfeld entstanden, mit dem sie in starker Wechselwirkung standen. Die ökonomische Entwicklung wurde stets von einem institutionellen Rahmen der Gesellschaft getragen, wie die erwähnte Bedeutung der Eigentumsrechte in der Entwicklung des industriellen Modus schon gezeigt hat. Der institutionelle Wandel, der mit den hier besprochenen Entwicklungsmodi einher ging, wird noch weiter zu betrachten sein. Die Interdependenzen zwischen einem ökonomischen Entwicklungsmodus und dem institutionellen Rahmen der Gesellschaft sind Gegenstand der Ausführungen zum Wachstumsregime in Abschnitt 3.3.

An dieser Stelle soll jedoch der Diskurs um die zu prüfende Entstehung eines weiteren, informationalen Entwicklungsmodus mit einem zugehörigen sozio-technologischen Paradigma am Ende des 20. Jh. fortgesetzt werden. Die hier aufgezeigten Eigenschaften der bisherigen Entwicklungsmodi sind im weiteren als Diskussionsgrundlage zu betrachten.

3.2.2 Eine informationale Revolution - Der nächste Schritt ?

Nachdem die historischen Modi der ökonomischen Entwicklung dargestellt und deren sozio-technologische Paradigmen aufgezeigt wurden, soll in diesem Abschnitt der Diskurs über die Entstehung eines neuen, auf der Anwendung von Informationstechnologien basierenden, Paradigmas dargestellt werden. Ist ein solches Paradigma festzustellen und ergibt sich daraus eine deutliche Rekonfiguration und Erweiterung der Produktivitätsentwicklung, die mit denen des agrarischen und des industriellen Modus vergleichbar ist, würde sich die Entstehung eines informationalen Entwicklungsmodus als evident erweisen.

An dieser Stelle soll noch einmal auf die methodischen Schwierigkeiten der Beobachtung eines noch andauernden Prozesses hingewiesen werden. Die Wahrnehmung der entscheidenden Strukturmerkmale und ihrer Interaktion innerhalb einer Entwicklung ist erst in der historischen Rückschau umfassend zu leisten. Die Einschätzungen der zeitgenössischen Beobachter (z.B. Smith, Ricardo, Marx) der industriellen Revolution bieten für diese Wahrnehmungsproblematik anschauliche Beispiele. Es stellt sich die Frage: „Warum bemerkten die klassischen Ökonomen die Industrielle Revolution nicht, obwohl sie sie durchlebten? Vielleicht deshalb, weil die Bedeutung dieses Jahrhunderts der Veränderungen mehr in den Untersuchungen der Historiker als im eigentlichen Geschehen liegt“ (North 1988: S.165). Es ist nicht die Einführungsphase eines technologischen Paradigmas, sondern dessen langandauernde Nutzungsverbreitung, die erkennbare Prozessstrukturen ausprägen. Das Aufstellen eines kohärenten und evidenten Modells zur Beschreibung einer solchen Entwicklung, oder gar die stimmige Determination ihrer künftigen Folgen, ist aus der zeitgenössischen Perspektive nicht zu leisten. Auf der Basis der Beobachtung der Gegenwart lassen sich Entwicklungstrends und wichtige Prinzipien des aktuellen Prozesses jedoch erkennen und können auf ihre Stimmigkeit innerhalb der Entwicklung und im Hinblick auf bisher festgestellte Typen geprüft werden.

Dazu soll im Folgenden der wissenschaftliche Diskurs um die mögliche Entstehung des sozio-technologischen Paradigmas eines informationalen Entwicklungsmodus anhand ausgewählter Quellen umrissen werden. Die Quellenlage sollte die vorhandene Bandbreite an Positionen vom euphorischen Befürworter bis zum ablehnenden Kritiker widerspiegeln.

Ein Verfechter der These von der Genese eines informationalen Entwicklungsmodus ist Peter Krieg (Krieg 1998). Er leitet die Eigenschaften einer entstehenden „Cyber Economy“ aus der historischen-kulturellen Abgrenzung zum industriellen Entwicklungsmodus ab. Das sich aus wissenschaftlichen Neuerungen des 20. Jh. (Physik, Biologie, Sozialwissenschaft) ergebende Paradigma der Informationsgesellschaft ist eine Weiterentwicklung der Industriegesellschaft und ihrer Denkmuster. In der informationalen Sichtweise werden „Gesellschaften und Systeme als vernetzte, nichtlineare und rückbezügliche (‚feedback’) Systeme“ betracht. Dementsprechend stellt Krieg auch neue ökonomische Entwicklungsmerkmale der Informationsgesellschaft fest. Die „Cyber Economy“ unterscheidet sich vom industriellen Paradigma „dadurch, dass sie ihre primären Motivationen und Metaphern aus der technischen Verstärkung der menschlichen Kognitionsfähigkeit bezieht, also der maschinell verstärkten Fähigkeit, Informationen zu produzieren und erst sekundär aus der maschinell unterstützten menschlichen Kraft und Geschwindigkeit.“ (ebd. S 196) So lässt sich die Intelligenz des Einzelnen und der sozialen Systeme exponentiell steigern. Die innerhalb des neuen Paradigmas agierenden Industrien und Branchen beanspruchen durch ihre ökonomischen Vorteile eine „gesellschaftliche Leitfunktion“. Die „Cybermärkte“ sind auf individuelle Konsumentenanforderungen ausgerichtete „Pull“-Märkte auf denen der passive Konsument der industriellen „Push“-Märkte zum aktiv teilnehmenden Nutzer wird. Das prophylaktische Angebot der industriellen Massenproduktion auf mono- bzw. oligopolistischen Märkten wandelt sich dabei zu einer individualisierten, hoch flexiblen „on demand“ Dienstleistung. Unternehmungen in diesem neuen Paradigma bewegen sich in einem deregulierten und deshalb offenen Weltmarkt unter dem Druck von sich ständig verkürzenden Innovationszyklen, was eine stärkere Instabilität dieser Unternehmungen gegenüber denen des industriellen Paradigmas bedeut. Gerade dieser Umstand ist jedoch der Grund für den schweren Stand der „alten Industriekolosse“ auf den neuen Märkten. Die Restrukturierungsversuche der produzierenden Industrie in den 1990er Jahren sieht Krieg als oft vergeblichen Versuch, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Aus dieser Sicht ergibt sich auch seine kritische Auffassung der ökonomischen Regulation in Europa, die eine Entwicklung dieses Paradigmas behindert. Diese Form der Regulationskritik ist ein Thema in Abschnitt 3.3 weiter unten.

Ähnliche Zustimmung erhält die These vom informationalen Entwicklungsmodus durch Michael Stierle (Stierle 2001). Im Gegensatz zu Krieg verläuft seine Argumentation jedoch weniger prinzipiell, sondern eher produktivitätsorientiert. Er sieht als Kernelement des neuen Paradigmas, das er mit dem Begriff der „New Economy“ umfasst, den „Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktivität durch den technologischen Fortschritt in der Datenverarbeitung (Soft- und Hardware) und Datenvermittlung, welche eng verknüpft ist mit dem Internet und der mobilen Kommunikation“ (ebd.: S.15). Dadurch ergeben sich zwei Effekte: 1. Die Entstehung neuer Güter zur Generierung von Einkommen und Wohlstand und 2. Die Erhöhung der Produktivität in anderen Sektoren durch die Diffusion der neuen Technologien. Es ist demnach ein „Quantensprung“ in der Kapazität und den Möglichkeiten zur Informationshandhabung erfolgt, der sich auch in einer erweiterten Verfügbarkeit von Informationen niederschlägt. Die IuKT stellen damit „Querschnittstechnologien dar, durch welche die Produktionsprozesse in allen Wirtschaftsbereichen effizienter gestaltet werden können“ (ebd.: S.16). Stierle deutet diese Entwicklung als volkswirtschaftliche Veränderung tiefgreifender Natur und sieht eine Parallele zu der Theorie langer, innovationsabhängiger Entwicklungswellen des Kapitalismus nach Kondratieff10. Damit hat das neue Paradigma elementare Auswirkungen auf Wachstum, Konjunktur und Inflation. Der fordistische Konjunkturzyklus von Wachstum hatte bisher die folgende Form:

Fallende Arbeitslosigkeit -> steigende Löhne -> steigende Nachfrage -> abflachender Produktivität -> steigenden Lohnstückkosten -> steigenden Erzeugerpreise -> Inflationstendenz mit Lohn-Preis-Spiralenrisiko -> Leitzinserhöhungen -> gedämpfte Investitionsneigung und Konsumnachfrage.

Diese Logik wird durch veränderte Bedingungen für die Angebotsseite im neuen Paradigma durchbrochen, die eine dauerhafte Steigerung der Produktivität ermöglichen (vgl. ebd.: S.16).

Daraus ergeben sich zwei Effekte:

  1. Konstante oder fallende Lohnstückkosten bei steigenden Löhnen.

  2. Eine starke Steigerung und Flexibilisierung des Produktionspotenzials11.

„Folglich ist das Potentialwachstum und damit jene Wachstumsrate, welche dauerhaft ohne inflationäre Tendenz realisiert werden kann, höher als in den letzten Jahrzehnten“ (ebd.). Dies ermöglicht eine Abflachung und Verlängerung der Konjunkturzyklen.

Stierle definiert aus diesen Betrachtungen sechs „zentrale Indikatoren der New Economy auf gesamtwirtschaftlicher Ebene“:

  1. Hohe Wachstumsraten bei

  2. abnehmender oder geringer Arbeitslosenquote, die

  3. zu Lohnsteigerungen, aber aufgrund von

  4. hohen Produktivitätsfortschritten

  5. nicht zu steigenden Lohnstückkosten bzw. Erzeugerpreisen führen und daher mit

  6. geringen Inflationsraten einhergehen.

Bei der Betrachtung der Wirtschaftsentwicklung der 1990er in den USA und in Europa konstatiert er für die USA eine deutliche Wirksamkeit des informationalen Paradigmas, das jedoch mit dem Jahr 2000 seine Grenzen erreichte, da sich seit dem eine Abkühlung der US-Konjunktur abzeichnet. Die Leitzinserhöhungen der FED (US Notenbank) von Anfang 2001 auf Grund von Inflationsgefahren weisen auf eine Ende der Hochphase an. Die Gefahr einer Rezession in der Folge schließt Stierle aus. In Europa sieht er „aufgrund der geringen Stetigkeit und Höhe“ der Wachstumsraten hingegen keine Auswirkungen des neuen Paradigmas und plädiert ähnlich wie Krieg für eine weitere Deregulierung dieser Märkte, die weiter Unten diskutiert wird. Die Betrachtung der Zusammenhänge von neuem sozio-technischen Paradigma, Produktivität und Konjunktur sind an dieser Stelle ausschlaggebend. Stierle bescheinigt dem neuen Modus auch im historischen Vergleich eine herausragende Rolle: „So dürften die neuen Technologien ebenso einschneidend sein wie seinerzeit die Entwicklung der Dampfmaschinen oder des elektrischen Stroms; sie haben damit eine deutlich größere Bedeutung als Innovationen einzelner Produkte wie Radio oder maschineller Webstuhl.“ (ebd.)

Von einer solch historisch bedeutenden Qualität des neuen Paradigmas, auf der ein informationaler Entwicklungsmodus basiert, geht auch Manuel Castells aus (vgl. Castells 2000: S.69ff). In seiner Konzeption der entstehenden „Netzwerkgesellschaft“ tritt der informationale Entwicklungsmodus die Nachfolge des industriellen Modus an. Seine Quelle der Produktivität liegt demnach in den Technologien der Wissenserzeugung, Informationsverarbeitung und Symbolkommunikation. Spezifisch für den neuen Entwicklungsmodus ist nicht die Wertschöpfung durch Wissen und Information selbst, sondern deren selbstbezogene Nutzung im Wertschöpfungsprozess. Das technologische Paradigma macht Wissen und Informationen sowohl zur Ressource als auch zum Produkt, das an andere Stelle wieder zur Ressource wird. Im Gegensatz zum industriellen Paradigma, dessen Performanzprinzip (= Akkumulationsregime) an der Maximierung der Outputmenge (= quantitatives Wachstum) durch den Verwertungsprozesses orientiert ist, wirkt das informationale Paradigma auf eine gesteigerte Technikentwicklung hin. Es zielt primär auf die Akkumulation von Wissen und einen steigenden Grad der Komplexität in der Informationsverarbeitung. Damit verändert sich der Charakter des Produktionsprozesses und die Möglichkeiten zur Produktivitätsrealisierung innerhalb dieses Prozesses im Vergleich zum Industrialismus. „While higher levels of knowledge may normally result in higher levels of output per unit of input, it is the pursuit of knowledge and information that characterizes the technological production function under informationalism.“ (Castells 2000: S.17) Diese gewandelte und erweiterte Bedeutung von Technologie für die ökonomische Entwicklung durch den informationalen Modus betrachtet Castells als Kontinuität in einem historisch pfadabhängigen Prozess. Dabei wird die Form einer zukünftigen Entwicklungsphase durch den aktuellen Modus im Voraus dimensioniert. Als Beispiel hierfür führt er an, dass die Technik, als Ausdruck spezifischer sozialer Bedingungen, bereits im 19. Jh. einen neuen Pfad des industriellen Modus auf der Basis des agrarischen Modus begründet hat. Auf längere Sicht ergaben sich dadurch positive Auswirkungen auf das ökonomische Wachstum, den Lebensstandard und die Beherrschung der Natur. Die Diffusion dieser neuen Technologien hat in Wechselwirkungen mit dem sozialen Bedingungen der Gesellschaft einen längeren Zeitraum (zw. 100 und 150 Jahren) angedauert, bevor deren allgemeine Verbreitung das „Maschinenzeitalter“ konstituierte, dessen zentrale Innovation in Erzeugung und Verteilung von Energie zur ihrer produktiven Nutzung bestanden. „Cheap, accessible, mobile energy ressources extended and augmented the power of the human body, creating the material basis for the historical continuation of a similar movement toward the expansion of the human mind“ (ebd.: S.38). Diese Erweiterung des menschlichen Geistes erfolgt durch das informationale Paradigma, dass somit einen neuen, pfadabhängigen Entwicklungsmodus begründet. Dem informationalen sozio-technischen Paradigma werden von Castells fünf Eigenschaften zuordnet, die den revolutionären Charakter gegenüber dem industriellen Paradigma ausmachten:

  1. Die neuen Technologien (IuKT) werden zum Umgang mit Informationen genutzt, nicht die Information zum Umgang mit der Technologie wie im industriellen Paradigma.

  2. Die informationalen Technologien zeigen allgegenwärtige Auswirkungen, da Information und deren Kommunikation eine integraler Bestandteil menschlicher Aktivität sind.

  3. Die informationalen Technologien führen in jedes sie nutzende System oder Konstellation von Beziehungen die „Netzwerklogik“ ein. Die Organisationsform des Netzwerkes ist für die Durchführung ansteigend komplexer Interaktionen und die Bewältigung der unvorhersehbaren Ergebnisse solcher Interaktionen optimal geeignet. Wachstum, Kosten und Nutzen seien im Netzwerk bei maximaler Flexibilität realisierbar. „The value of a network increases as the square of the numbers of nodes in the net. The formular is V = n(n – 1) where n is the number of nodes in the network“ (ebd.: S.71).

  4. Die Flexibilität des informationalen Paradigmas basiert nicht nur auf der Netzwerklogik. Ein zentraler Bestandteil von Prozessen, Organisationen und Institutionen dieses Paradigmas ist deren Rekonfigurierbarkeit12, da deren materielle Basis mittels der Technologie umprogrammiert und umfunktioniert werde kann ohne sie zu zerstören.

  5. Als eine weitere Eigenschaft des neuen Paradigmas stellt Castells die steigende Konvergenz spezifischer Technologien zu einem hoch integrierten System fest, in dem die Grenzen zwischen diesen Teiltechnologien verwischen.

Diese Eigenschaften des informationalen Paradigmas bedeuten nach Castells eine generelle Umgestaltung der Informationsnutzung, die es ermöglicht alle Arten menschlicher Aktivität zu verwalten und zu rationalisieren. Das informationale Paradigma ermöglicht sowohl die Verbindung von ökonomischen Domänen unterschiedlichster Art (z.B. Unternehmen, Organisationen etc.), als auch zwischen den Elementen und Akteuren solcher Domänen. Im Ergebnis entsteht eine hoch interdependente Ökonomie, die ihre Fortschritte reflexiv in den Wertschöpfungsprozess einbinden kann. „Such a virtuos circle should lead to greater productivity and efficency, given the right conditions of equally dramatic organisational and institutional changes.“ (ebd.: S.78)

Castells weitere Argumentation führt, wie die der anderen Befürworter der These von einem neuen Produktionsmodus auf die Frage der Produktivitätsentwicklung. Um die analytische Trennung der Elemente eines Entwicklungsmodus in sozio-technologisches Paradigma und resultierende Produktivitätsentwicklung aufrechtzuerhalten, wird dieser Punkt im nachfolgenden Abschnitt (3.2.3) behandelt. An dieser Stelle soll jedoch der Diskurs zum sozio-technologischen Paradigma fortgeführt werden.

Nach den bisher eher zustimmenden Diskursbeiträgen sollen nun die kritischen Stimmen zu Wort kommen, die in der Tradition der Kapitalismuskritik argumentieren.

Als erste Vertreterin dieser Richtung ist Silvia Krömmelbein einzuordnen (Krömmelbein 2001). Sie betrachtet die ökonomischen Auswirkungen von Internet und New Economy aus industrie-soziologischer Perspektive anhand der Frage, ob ein Umbruch zu einer „Informations- oder Wissensgesellschaft“ feststellbar sei, „in der das Internet eine ‚schöne neue’ Arbeitswelt’ konstituiert“ (ebd.: S.250). Krömmelbein bezieht sich dabei auf die Vorstellung im öffentlichen Diskurs, dass die IuKT einen epochalen gesellschaftlichen Wandel „mit einer qualitativ veränderten und dominierenden Rolle von Wissen gegenüber Kapital und/oder Arbeit“ (ebd.) bedeuten. Ihre Argumentation konzentriert sich dabei weitgehend auf die Auswirkungen der Internettechnologie. Diese revolutioniert die Kommunikationsbeziehungen und ist wegen ihrer Dezentralität und universellen Struktur für die Nutzung in unterschiedlichsten Bereichen geeignet. Daher durchdringt sie diverse Ebenen der ökonomischen und sozialen Sphären. Die Auswirkungen der Technologie ist von der konkreten Nutzungsform innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Strukturen abhängig. Zur Prüfung der Entstehung einer Wissensgesellschaft greift sie auf Giddens´ Handlungstheorie zurück, in der sich gesellschaftliche Strukturen als Medium und Resultat sozialer Praktiken fassen lassen, Handlung strukturieren und zugleich Folge situierter Aktivitäten handelnder Menschen in Raum und Zeit sind. Sie bezieht sich bei der Untersuchung daher auf „bewusste Handlungen von Akteuren, die Regelmäßigkeiten des sozialen Lebens produzieren, reproduzieren und verändern“ (ebd.: S.251). Hauptmotiv der Techniknutzung sind kommerzielle Interessen in Produktion, Organisation und Warenzirkulation. Aus der Betrachtung von akteurs- und handlungsbezogenen Nutzungsstrategien will Krömmelbein die Relevanz der Annahme von der veränderten Rolle subjektiven Wissens als gesellschaftliches Organisationsprinzip in einer Wissensgesellschaft prüfen. Bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen wurden die neuen Technologien vor allem im Rahmen der Unternehmensrestrukturierung der 1990er Jahre (vgl. Sauer/Döhl 1996) zu Rationalisierung, Flexibilisierung, Dezentralisierung und Vermarktlichung von Wertschöpfungsketten eingesetzt.

Die Netzwerktechnologien sind Ausdruck der organisatorischen Ausdifferenzierung und des daraus folgenden erhöhten Koordinations-, Integrations- und Kontrollbedarfs. Sie sind ferner ein Management- und Führungsinstrument. Die Vernetzung beschleunigt und koordiniert das Ineinandergreifen verschiedener Funktionsbereiche und die dort zu verrichtenden Teilfunktionen. Sie ermöglicht eine zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilisierung zur umfassenden Kostenreduktion. Folge ist auch eine Beschleunigung des Geschäftsprozesses und des Kapitalumlaufes insgesamt. Dadurch steigt der Anteil des virtuellen Arbeitshandeln und der Prozesssteuerung mittels digitaler Bearbeitung von Symbolen und Programmen.

Trotz dieser Eigenschaften verneint Krömmelbein jedoch eine besondere Rolle der neuen Technologien in der ökonomischen Entwicklung: „Diese Merkmale begründen jedoch keine qualitativ veränderte Stellung von Wissen im Verhältnis zu Kapital und Arbeit innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung“ (ebd.). Diese Aussage stützt sie damit, dass Wissen seit jeher Grundlage zur Bearbeitung der Natur gewesen ist. Auch die Objektivierung und Verbreitung von Wissen durch ein neues Medium stellt keinen einmalig zu beobachtenden Prozess dar. Die Vorstellung der Substitution von Kapital und Macht durch Wissen innerhalb des Produktionsprozesses bricht sich daran, dass die Bilanz einer Unternehmung nicht an dessen Wissenszuwachs gemessen wird.

Die quantitative Zunahme der Wissensarbeit in der OECD sieht Krömmelbein auf einen Teil der Beschäftigten infolge der Flexibilisierungsentwicklung beschränkt Damit nimmt Wissen jedoch keine neue Rolle im ökonomischen Prozess ein: „Die gegenwärtige Wissensproduktion und –anwendung, die ‚Wissensarbeit’ ist ein Resultat von und eingebundenen in unternehmerische Rationalisierungs- und Flexibilisierungsstrategien, die die Qualifikationsanforderungen an die Subjekte ebenso prägen wie ihre Handlungsspielräume und sozialen beruflichen Beziehungen“ (ebd.: S.252). Der Einsatz neuer Technologien ist für Krömmelbein das Ergebnis des sich verschärfenden Wettbewerbs. Die Konzentration der Kommunikation auf die IuKT in der Wirtschaft bedeutet eine Bewussteinsprägung der Akteure, die diesen eine erneuerte Wachstumsideologie bietet. Die während der 1990er Jahren in den USA entstandene Vision von nachhaltigem Wachstum und positiven Beschäftigungseffekten hält demzufolge einer statistischen und theoretischen Überprüfung nicht Stand. Zur Begründung wird die Produktivitätsentwicklung diskutiert (vgl. Abschnitt 3.2.3) und als wenig aussagekräftig eingestuft.

Darüber hinaus sieht die Autorin das Potential zu nachhaltigem Wachstum durch die Form des Wettbewerbs der Marktökonomie selbst begrenzt. „So wird die Ausweitung einer Geschäftssphäre i.d.R. von einem strukturellen Wandel begleitet, der Kontraktion des Geschäfts in anderen Sphären beinhaltet“ (ebd.: S.254). Für die Art der Verteilung der in der neuen Sphäre erwirtschafteten Gewinne sieht sie ebenfalls keine neuen Entwicklungen bzw. Erweiterungen gegenüber ihrer industriellen Form. Auch der Erwartete Beschäftigungseffekt fällt im Rahmen des Einsatzes der IuKT als Rationalisierungsinstrument eher negativ aus. Eine weitere Polarisierung der Einkommensschichten ist die zu erwartende Folge. Die Bedeutung des Wissens ist in die ökonomischen Prozesse eingebunden und ersetzt deshalb keineswegs Arbeit und Kapital als Strukturierungsprinzipien. Trotz dieses Fazits schließt Krömmelbein ihre Argumentation vorsichtig: „Die Auswirkungen des technisch-ökonomischen Paradigmenwechsels auf die Arbeitswelt und die Prozesse gesellschaftlicher Strukturierung sind bislang nur in Ansätzen analysiert worden. Es liegt noch kein übergreifendes gesellschaftstheoretisches Modell vor, das den gegenwärtigen Wandel erfassen und dessen Relevanzen in den verschiedenen sozialen Kontexten der Lebenswelt rekonstruieren könnte“ (ebd.: S.255).

Mit ähnlichem Tenor, jedoch aus polit-ökonomischer Perspektive, diskutieren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf Qualität und Auswirkungen des neuen sozio-technologischen Paradigmas (Altvater/Mahnkopf 2000). Sie definieren die kennzeichnenden Merkmale der New Economy mit dem Einsatz neuer Medien zur Eroberung schnell expandierender Märkte, einem speziellen Modus der Unternehmensführung (= shareholder value Regime) und der Etablierung neuer technischer, organisatorischer und finanzieller Standards in der globalisierten Wirtschaft13. Die Produktivitätssteigerungen durch IuKT innerhalb des neuen Paradigmas werden dabei im Angesicht deregulierter Arbeitsmärkte und geschwächter Gewerkschaften realisiert. „Das neue technologische Paradigma zusammen mit einer Flexibilisierung der sozialen Beziehungen erlaubt kurzfristige hohe, bis dato unübliche Gewinnsteigerungen“ (ebd.: S.770). Die hier realisierten Gewinne werden durch das Management zu einem großen Teil in globale Finanzanlagen investiert, um im Rahmen der „shareholder value“ Strategie einen möglichst hohen Grad an Liquidität und Rendite des Unternehmenskapitals zu erreichen.

Dieser Trend zur Erzeugung von unternehmensinternen Erträgen an den Finanzmärkten ist auch auf der Seite der Arbeitnehmer beobachtbar, die zunehmend mit Optionspaketen auf Anteile des eigenen Unternehmens als Teil ihres Einkommens entlohnt werden. Das bedeutet eine Übertragung eines Teils der Finanzmarktrisiken des unternehmerischen Handelns auf diese Angestellten. Solche Konzepte der innerhalb des neuen Paradigma agierenden Unternehmen sind nach Altvater/Mahnkopf keine Neuheiten, sondern eine Steigerung schon länger propagierter marktliberaler Konzeptionen und damit Ausdruck des Fetischismus des triumphierenden Wachstums. „Und da Wachstum nur durch Akkumulation und Akkumulation nur durch Gewinne, hohes Wachstum also durch hohe Gewinne erreicht werden kann, ist die ‚new economy’ vor allem ein fantastischer, aber doch sehr traditioneller Mechanismus der Gewinnsteigerung; im ‚newspeech’ (George Orwell) der ‚new economy’ wird dazu ‚shareholder value’ gesagt“ (ebd.: S.771).

Die Autoren grenzen die Qualität des neuen sozio-technologischen Paradigmas auf die Radikalisierung neoliberaler Marktsteuerung ein. Die Inhalte der von ihnen kritisierten „shareholder value“ Strategie werden im Abschnitt 3.3.2 intensiver betrachtet.

In den hier diskutierten Rahmen fällt ihre Diskussion der Entwicklung des Konjunkturzyklus in Verbindung mit dem neuen Paradigma. Der ökonomische Boom der 1990er Jahre, vor allem in den USA, wird demnach von Ökonomen auf die Theorie langer Wellen von Joseph Schumpeter zurückgeführt, die eine Strukturierung langfristiger Konjunkturentwicklung durch die Einführung zentraler Innovationen wie Eisenbahn oder Automobil annimmt. Die z.B. auch von Stierle (s.o.) vertretene Auffassung von einer Durchbrechung des industriellen Konjunkturzyklus durch das neue Paradigma suchen Altvater/Mahnkopf durch einen Rekurs auf Schumpeter in zwei Punkten zu widerlegen: Erstens hat Schumpter immer betont, dass innerhalb einer Langen Welle konjunkturelle Abschwünge und Krisen nicht ausbleiben. Zweitens sind die IuKT lediglich neue Anlagesphären (wie die Eisenbahn im 19. Jh.) für Kapital, die den eigentlichen Aufschwung nur initiieren können. Mit ihrer Installation muss für diese Technologien erst eine Anwendung in der physischen Produktion oder der immateriellen Dienstleistung generiert werden, um die notwendigen Gewinne zu ermöglichen. Dies gilt unabhängig von der Innovationsart. Damit können die Veränderungen durch ein neues Paradigma nach Meinung der Autoren nicht nur auf die neuen Unternehmungen begrenzt sein. Nicht in der Produktion der Elemente der neuen Technologie, sondern bei deren Einsatz in der Herstellung klassischer Industriegüter (wie Autos, Maschinen, Chemie) mit gesteigerter Komplexität findet die relevante Ertragsrealisierung statt. Damit sind Zweifel an der Rückführung der langanhaltenden Konjunkturphase in den USA auf die IuKT angebracht, welche die Autoren mit fünf Überlegungen untermauern (vgl. ebd.: S.772):

  1. Die im starken Maße erfolgte Deregulierung und Umlenkung von Beschäftigung auf den tertiären Niedriglohnsektor der USA haben fatalen soziale Konsequenzen für deren „Kreditkartengesellschaft“ (vgl. ebd.).

  2. Der Arbeitsplatzabbau wird durch die breite Beschäftigung im prekären, nicht standardisierten Niedriglohnsektor nur quantitativ, jedoch nicht in Hinsicht auf Sicherheit, Bezahlung und soziale Leistungen kompensiert. Die „new economy“ der USA ist in beträchtlichem Umfang eine „informelle Ökonomie“ (zu diesem Begriff vgl. auch Altvater/Mahnkopf 1997: S297ff, 1993: S.131ff). Dies ist auch die Erklärung für das „ökonomische Wunder“ eines Produktivitätswachstums über dem Bruttosozialproduktwachstum bei steigender Arbeitsplatzzahl (vgl. Altvater/Mahnkopf 2000: S.773).

  3. Die verstärkte Einwanderungsorientierung spielt bei dieser Arbeitsmarktentwicklung eine stützende Rolle (vgl. ebd.).

  4. Diese Arbeitsmarktsituation ist zugleich Erklärung für die Inflationsneutralität des Aufschwungs der 1990er. Der fehlende gewerkschaftliche Druck auf die Reallohnentwicklung an die Produktivitätsentwicklung fehlt und zeigt auf, warum die Arbeitsproduktivität außerhalb des Agrarsektors in diesem Zeitraum um 2,2% im Schnitt angestiegen ist, das mittlere Familieneinkommen in 1997 jedoch gerade auf dem Niveau von 1989 lag (vgl. ebd.).

  5. Außerdem funktionieren stagnierende Löhne und konsumgetragenes Wachstum nur zusammen, wenn der Konsum auf „Pump“ erfolgt. Die private Verschuldung von Haushalten fungierten als Motor des Aufschwunges, was die US-Wirtschaft verwundbar gemacht hat (vgl. ebd.).

Diese Argumente ergeben ein Bild, in dem die Prosperitätsphase nicht auf den Wandel des sozio-technologischen Paradigmas, sondern auf die Einbettung der Produktivitätsentwicklung in die dargestellte deregulierte Umgebung zurückzuführen ist (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2).

Diese kann jedoch nicht auf Dauer Träger des Fortschrittes bleiben. Es existieren immanente Produktivitätsgrenzen der IuKT die dies verhindern. Die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf die Produktivitätsuntersuchungen von R.J. Gordon, dessen Betrachtungen im Abschnitt zur Produktivität detailliert dargestellt werden. Die Innovationen der IuKT folgen in ihrer Bedeutung denen des industriellen Paradigmas weit nach.

Trotzdem lassen sich durch diese Technologien „Rationalisierungspotentiale erschließen, die in der ‚alten Ökonomie’ unvorstellbar waren“ (ebd.: S.775). Die „aus dem Ruder“ laufende Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeits- und Finanzmärkte liefert deshalb eine unabdingbare Begründung zur Re-regulierung. Vor allem auch da die Ausgaben der Haushalte umgeschichtet werden: Privater Konsum und der Handel zwischen Unternehmen sind durch das „phänomenal“ hohe Rationalisierungspotential der Technologie stark betroffen. Das höchste Rationalisierungspotenzial bietet die „new economy“ jedoch selber. Dies liegt an der extremen Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich. Hier stehen der ausgeprägten Unsicherheit eines Großteils der Arbeitsplätze die extrem gut bezahlten und an Dauerüberlastung leidenden „high potentials“ gegenüber, denen diese Flexibilität zugute kommt. „Im Gegensatz zu den ‚Job-Nomaden der Edelklasse’, die rastlos und erfolgsgetrieben den Auftraggeber aus freien Stücken so häufig wie möglich wechseln – weil dies ihren Marktwert steigert und zu höheren Honorarförderung berechtigt – ist die sozioökonomische Unsicherheit bei der sehr viel größeren Gruppe der ‚flexiblen Fachkräfte’ mit der Angst vor dem finanziellen Absturz gepaart“ (ebd.: S.776). Altvater/Mahnkopf sehen darin die Entstehung einer dritten Klasse von Arbeitskräften im „low tech underbelly“, deren Situation sich nur in der genutzten Technologie von der industriellen Fabrikarbeiterschaft unterscheidet und ansonsten dem gleichen tayloristischen Fundament, mit extrem repetitiver, körperlich belastender und überaus langweiliger Arbeit, unterliegt (vgl. ebd.: S.777).

Altvater/Mahnkopf’s Argumentation gegen eine bedeutende Qualität des informationalen sozio-technologischen Paradigmas, gerade im Vergleich mit dessen historischen Vorgängern, beruht auf der Betrachtung hauptsächlich institutioneller aber auch produktionsspezifischer Faktoren. Da die Veränderungen der Regulationsweise jedoch den Kern der Ausführungen bilden, wurden diese hier mit ausgeführt.

Mit einer letzten kritischen Position soll die Darstellung der allgemeinen Debatte um das informationale Paradigma abgeschlossen werden. Diese vertritt Joachim Bischoff, der aus einer neo-marxistischen Perspektive heraus die polit-ökonomischen Auswirkungen und bleibende Bedeutung der Informationstechnologien für die „Wissensgesellschaft“ nach dem Zusammenbruch der neuen Märkte untersucht (Bischoff 2001). Er beschäftig sich vor allem mit der These einer erhöhten Faktorproduktivität und veränderter Wertschöpfungsbedingungen durch das neue Paradigma.

Auch Bischoff benutzt den Begriff der „New Economy“ und versteht darunter den IuKT bezogenen Wirtschaftssektor nach OECD Definition (vgl. Abschnitt 2.1), der das eigentliche Zentrum der Digitalisierung bildet. Dieser Bereich mit steilen Wachstumsraten macht zwar momentan nur einen geringen Teil der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung und Erwerbsarbeit aus (vgl. Abschnitt 3.1.2), gibt jedoch verstärkte Impulse für einen Strukturwandel aller Wirtschaftssektoren vor (vgl. ebd.: S.14ff). Die Funktion als „Wachstumsmotor“ zeigt sich sowohl in dem überdurchschnittlichen Markt- und Wertschöpfungswachstum dieses Sektors, als auch in der starken Beeinflussung des Konsumverhaltens durch neue Produkte und Möglichkeiten. Dieses Potential war auch die Basis für den immensen Erfolg des Sektors an den Finanzmärkten. Die globalisierten und wettbewerbsverschärften Marktstrukturen haben diese Entwicklung stark befördert: „Auch die Deregulierung und Vertiefung der Finanzmärkte ist für den Kapitalhunger der High-Tech-Branche und die Veränderungen der technologischen und organisatorischen Strukturen der nationalen Ökonomien verantwortlich“ (ebd.: S.20). Trotzdem weist Bischoff einen Bedeutungsverlust der industriellen Produktion zurück. Deren Anteilsrückgang an der Wertschöpfung von 40% in den 1970er Jahren auf 28% in den 1990er Jahren ist demnach eine Folge der Unternehmensrestrukturierung und der damit einhergehenden Zunahme unternehmensnaher Dienstleistungen. Auch die Entgegensetzung von neuer und alter Ökonomie hält er für falsch. Alle Wertschöpfungsketten sind von der Beschleunigung des Wirtschaftens durch den Einsatz der IuKT betroffen und geben Anlass zu der Bezeichnung des „Turbokapitalismus“. Die steigende Vernetzung ermöglicht höhere Markttransparenz, die bisherige Asymmetrien in der Informationsverteilung für viele Konsumenten aufhebt. Durch die Erweiterung des Konkurrenzfeldes ist eine stärkere Kosten- und Renditeorientierung der Unternehmen möglich, die sich auch auf das Preisniveau auswirkt. Das neue technologische Paradigma spielt somit eine zentrale Rolle im aktuellen Wandel, der jedoch nicht jenseits, sondern innerhalb der überlieferten Strukturen der Kapitalverwertung stattfindet (vgl. ebd.: S.21f).

Im Rekurs auf Marx kennzeichnet Bischoff die Eigenschaften des Wechsels kapitalistischer Produktionsweisen, um die „Neue Ökonomie“ als Quelle und Idealform des aktuellen Wandels auszuschließen, da die Form des Produktionsprozesses nie als definitiv zu betrachten ist. Die technische Basis ist im Gegensatz zu frühren Produktionsweisen stets revolutionär und bestimmt durch ihre Umsetzung im Wertschöpfungsprozess beständig die Form der Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Die Umwandlung der Betriebsweise, als notwendiges Ergebnis der Umwandlung der Produktionsmittel, erfolgt dabei in einem bunten Wirrwarr von Übergangsformen, die auch durch die Verteilung von menschlichen Fähigkeiten zur Arbeit mit der neuen Technologie beeinflusst werden.

Um die Bedeutung der „Neuen Ökonomie“ in diesem Kontext weiter zu betrachten hinterfragt der Autor die These vom Rückgang der Transaktionskosten und dem Anstieg der Produktivität in Folge von technischem Fortschritt und Vernetzung. Diese wird von den Verfechtern der „New Economy“ als die Annäherung an das klassische Ideal des perfekten Wettbewerbs ohne krisenhafte Inflationstendenzen betrachtet. Darüber hinaus will Bischoff die These der Ausbildung einer Wissensgesellschaft evaluieren, in der die Bedeutung geistig-wissenschaftlicher oder immaterieller Arbeit die Bedeutung der „Verausgabung gesellschaftlicher Arbeit“ im Wertschöpfungsprozess verdrängt und Wissen zu dem Rohstoff wird, der das Wohlstandsniveau der Zukunft entscheidend bestimmt (vgl. ebd.: S45ff).

Zur Überprüfung dieser Thesen diskutiert Bischoff die Veränderungen in der Wirtschaft durch die IuKT Technologie. Er konstatiert eine offenkundige Mythologisierung dieser neuen Technologie. Um dies zu belegen untersucht er zuerst die Transaktionskostenentwicklung. Transaktionskosten (TK) umfassen alle Kostenarten, die jenseits von Lohn- und Anlagekosten für die Unterhaltung einer Wertschöpfungskette notwendig sind. Deren Anteil an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung hat sich zwischen 1870 bis 2001 von 25% auf 60% gesteigert. Damit liegen die innerbetriebliche TK im Durchschnitt bei 50% der unternehmerischen Gesamtkosten. Dies ergibt ein starkes Rationalisierungspotential durch den Einsatz von IuKT zwischen 5 und 20% (vgl. ebd.: S.48). Gerade im Handel zwischen Unternehmen (B2B z.B. via Zulieferplattformen im Internet) wird dabei das Potential zur TK Senkung deutlich. Trotzdem das Rationalisierungspotential der TK je nach Branche und Unternehmen variiere, ergibt sich generell eine vertiefte Arbeitsteilung durch den Einsatz der Innovationen auf sämtlichen Stufen der Wertschöpfungskette. Die Integration der IuKT in die industriellen Produktionsformen spielt damit ein wichtige Rolle im Wandlungsprozess der Wirtschaft: „Digitalisierung und Automatisierung (Robotisierung) von Information, Transport, Kommunikation bewirkt eine erhebliche Steigerung der Produktivität und damit Senkung von Zirkulationszeit und –kosten des Kapitals“ (ebd.: S.50). Trotz aller Überschätzungen der IuKT an den Finanzmärkten sind also nachhaltige Effekte der IuKT in den Bereichen des Verkehrs zwischen Unternehmen, der Produktionsoptimierung und -vertiefung sowie der allgemeinen Zirkulation (Transport und ökonomische Zirkulation) feststellbar. Die IuKT senken also effektiv die TK und machen die Fertigung durch eine genauere Steuerung effizienter. Dies hat einen Flexibilisierungseffekt auf die Preisstruktur und eine tendenzielle Verringerung der Inflation zur Folge.

„Allerdings wird die chronische Überakkumulation in einem Großteil der Industrien durch diese Modernisierung weiter gesteigert, so dass die Hochtechnologie an deutliche Schranken stößt“ (ebd.: S.52). Absatzmärkte und Konsumverhalten bleiben von der Ertragssteigerungsentwicklung unberücksichtigt und begrenzen dadurch die Inflationsneutralität des Prozesses. Ein perfekter Wettbewerb wird also durch die IuKT nicht erzeugt und die charakteristische Überproduktion in bestimmten Zyklusphasen der Wirtschaft nicht ausgeschaltet. Darüber hinaus sieht Bischoff in der industriellen Organisationsstruktur der bürokratischen Hierarchie und den durch sie etablierten Akteursstrukturen eine strukturelle Barriere für die Ausbreitung der neuen Arbeitsformen.

Neben der im folgenden Abschnitt tiefer diskutierten Produktivitätsfrage, betrachtet Bischoff über die Veränderungen der Produktionszusammenhänge die weitere Frage nach der steigenden Bedeutung von Wissen zur Konstituierung einer „Wissensgesellschaft“. Wissenschaft, Ausbildung und Dienstleistungen gewinnen eine steigende wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung im aktuellen Wandlungsprozess. Die sich abzeichnende Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise durch die IuKT wird jedoch von der Mehrheit der Betrachter sehr eng nach dem Muster der Verallgemeinerung der Maschinerie interpretiert. Diese Interpretation bedeutet eine „verdinglichte Vorstellung von Produktionsmitteln“ in der die gesellschaftlichen Veränderungsbedingungen von der technologischen Basis der Produktionsmittel abgeleitet werden. „Aber schon das Maschinensystem ist Konsequenz einer Verwissenschaftlichung der gesellschaftlichen Produktion“ (ebd.: S.59). Bei der Betrachtung der sich wandelnden Betriebsweise und der Produktionsmittel ist, in der Berufung auf Marx, die Verkehrung von Wissen in vergegenständlichte Arbeit und die von Produktivkräften in eine Kapitaleigenschaft (= fixes Kapital) zu vermeiden (vgl. ebd.). Der Mensch wandelt mittels seines Wissens natürliches Material in Produkte und Produktionsmittel (Maschinen, Eisenbahnen etc.) um. Diese entsprechen damit vergegenständlichter Wissenschaft. Die Entwicklung des Fixkapitals zeigt auf, wie weit der Mensch das gesellschaftliche Wissen zur Produktivkraft gemacht hat und damit die vergegenständlichte Wissenschaft zum Produktionsmittel geworden ist. Auf diese Weise wird der „gesellschaftliche Lebensprozess“ selbst unter die Kontrolle des allgemeinen Wissen gebracht. Das vergegenständlichte Wissen als Produktionsmittel kann schon selbst eine Entfremdung gegenüber lebendiger Produktivkraft und Wissen aufweisen. Da es in der kapitalistischen Produktionsweise in der Gestalt des fixen Kapitals fungiert, erfolgt seine Mystifikation, mit deren Hilfe die „Kräfte und Qualitäten der gesellschaftlichen Arbeit (...) in die Kräfte des Kapitals transportiert“ (ebd.) werden. In der Abfolge des Übergangs von der agrarischen zur industriellen Betriebsweise stellt die Entwicklung der agrarischen Arbeitsmittel zur industriellen Maschinerie eine adäquate Anpassung an das entstandene Kapital dar. Mit dem Eintritt des vergegenständlichten Wissens in den Produktionsprozess als Produktionsmittel erscheint es daher als Eigenschaft des Fixkapitals, da die allgemeinen Produktivkräfte des „gesellschaftlichen Hirns“ (allgemeines Wissen) durch ihre Akkumulation in Gegenständen gegenüber der Arbeit absorbiert werden.

Diese Mystifikation von Wissen durch die Einbindung in die Kapitalverhältnisse erfolgt nach Bischoff genauso bei der Nutzung von IuKT und basiert auf einem groben Materialismus der Gegenständen Eigenschaften zuordnet, die eigentlich aus den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen und der Sinnzuweisung dieser Gegenstände durch die Gesellschaft erfolgen. Der Fetisch des Materialismus schreibt den Dingen also gesellschaftliche Beziehungen als immanente Bestimmungen zu und mystifiziert sie somit. Es ist also nicht die informationale Technologie, sondern die entwickelte Form des gesellschaftlichen Wissens und die Erfahrungen bei der realen Vergesellschaftung der Arbeit, die in der Veränderung der gesellschaftlichen Betriebsweise die zentrale Rolle spielt (ebd.: S.60). Die IuKT stellen in diesem Prozess mithin keine veränderte Qualität im kapitalistischen Produktivkrafttyp dar. Und eben die Vergesellschaftung der neuen Technologie erzeugt durch ihr Rationalisierungspotential nicht nur eine durch die Maschinerie determinierte Arbeitsform, sondern schließt viele Menschen von der Prozessteilnahme gänzlich aus. „Stärker als je zuvor dürfte damit auch der Zugang und die Verfügbarkeit zum akkumulierten Wissen der Gesellschaft ein Faktor der sozialen Abstufung und Diskriminierung sein“ (ebd.).

Die von den Vertretern der Wissensgesellschaft vorgetragene Argumentation, dass Wissen eine Ressource sei die durch ihren Gebrauch nicht abgenutzt sonder vermehrt werde und sich darauf eine Beschleunigung der Produktivitätsentwicklung bei Verminderung der Investitionskosten ergeben würde ist darüber hinaus nicht haltbar. Die „Forschungslandschaft“ von Unternehmen und hochentwickelten Staaten zeigt nach Bischoff, dass weitere Produktivitätsforschritte nur unter enormer Steigerung der investierten Ressourcen zu erreichen sind. Ein gesamtgesellschaftlich verfügbarer Mehrwert außerhalb der bekannten Kapitallogik ist also nicht durch das neue Paradigma zu erwarten. Trotz des Übergangs zu einer „flexiblen Massenproduktion“ werden Verteilungs- und damit auch Absatz- und Sättigungsprobleme nicht vermindert.

Die steigende Tendenz zur Arbeitsteilung und zur Verwissenschaftlichung der Produktion sieht der Autor als eine grundlegende Eigenschaft der kapitalistischen Produktions- und Akkumulationsweise, die stets neue Bedürfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung schafft. Nach wie vor prägt die Herrschaft der vergegenständlichten Arbeit (Kapital) über das lebendige Arbeitsvermögen (Arbeit) die Entwicklung des Wohlstandes und seiner Verteilung. Eine tragende, die Widersprüche der Kapitallogik überwindende Vergesellschaftungsform der Ökonomie und der Entwicklung des Wissens muss der gesellschaftlichen Kontrolle und Steuerung unterworfen sein und kann nicht aus einer neuen Technologie entstehen (vgl. ebd.: S.63).

Mit dieser letzten Argumentationskette sollte das Diskursspektrum zur Frage der allgemeinen Qualität des informationalen sozio-technischen Paradigmas ausreichend dargestellt sein. Auf Grund der ohnehin vielschichtigen Argumentation wurde in der Darstellung aller Argumentationen auf eine tiefere Betrachtung der Produktivitätsentwicklung in Auswirkung des neuen Paradigmas verzichtet. Der folgende Abschnitt betrachtet daher diese Zusammenhänge genauer.

3.2.3 Die Produktivitätsdiskussion

Alle bisher dargestellten Argumentationen zum sozio-technologischen Paradigma gehen von einem hohen Rationalisierungspotential durch die neuen Technologien aus. Dies müsste sich in einer gesteigerten Produktivität des Wertschöpfungsprozesses niederschlagen. Diese Frage wird bei den Befürwortern und Gegnern der These vom informationalen Paradigma jeweils auf der selben Datenlage beurteilt. Demnach erfolgt die Darstellung dieses Aspektes hier zusammengefasst. Der Ökonom Robert J. Gordon hat sich in mehreren Veröffentlichungen intensiv mit den Auswirkungen der neuen Technologien auf die Produktivitätsentwicklung in den USA auseinandergesetzt und wird einigen der oben genanten Autoren zu dieser Frage zitiert. Die Resultate seiner Untersuchung bilden deshalb den Kern der folgenden Ausführungen.

Das Produktivitätsparadoxon: Wo ist der „Spill-Over“ Effekt ?

Der Rekurs auf die historischen Typen in Abschnitt 3.2.1 hat gezeigt, dass sich mit dem jeweiligen sozio-ökonomischen Paradigma grundlegende Veränderungen des Produktivitätspotentials ergeben haben. Auch die klassische Produktionsfunktion (vgl. Abschnitt 2.1.2) weist auf die zentrale Stellung hin, die der Technologie in der klassischen Ökonomie zugeordnet wird. Die Produktivität wird dort als Funktion des technologischen Fortschritts interpretiert. Die klassische Arbeitsproduktivität ergibt sich aus (Y/L), die Kapitalproduktivität aus (Y/K). (vgl. Altvater/Mahnkopf 1992: S.52ff) Ein informationaler Entwicklungsmodus mit neuem sozio-technologischen Paradigma müsste sich sowohl aus historischer als auch aus ökonomischer Sicht in der Entwicklung beider Produktivitätsraten der vergangenen Jahre zeigen. Die statistischen Daten scheinen dies jedoch nicht in der erwarteten Deutlichkeit zu unterstützen. Zwar haben die 1990er Jahre eine Trendwende der seit den 1970er fallenden Produktivitätsraten gezeigt, der Umfang der Produktivitätssteigerung tritt jedoch im Vergleich mit der Hochphase des Fordismus nicht deutlich hervor.

Die Tabelle 5 zeigt die Wachstumsraten von Input, Output und Multifaktorproduktivität für die nicht-agrarische Privatwirtschaft in ausgewählten Zeiträumen.


Tabelle 5 - Wachstumsraten von Input, Output und Multifaktorproduktivität in Intervallen 1870 bis 1999; Quelle: Gordon 2000


Die Multifaktorproduktivität14 (MFP) ist in diesem Zusammenhang von besonderen Interesse, da sie eine Produktivitätsrate darstellt, die auf den Inputarten Arbeit und Kapital beruht, welche nach ihrem jeweiligen Anteil am Gesamteinkommen des gegebenen Zeitraumes gewichtet sind. Diese ist in den Zeilen 6 und 11 abzulesen. Die Daten ab Zeile 7 basieren auf einer alternativen Form der Faktorerhebung, die strukturellen Veränderungen bei den Inputs Arbeit und Kapital15 berücksichtigt (vgl. Gordon 2000: S.52). Das MFP Wachstum der fordistischen Hochphase 1913 bis 1973 wird zwar von der Rate im Zeitraum 1995 bis 1999, die dem informationalen Paradigma zugerechnet wird, übertroffen. Jedoch hinterfragen Gordon und andere Kritiker diesen Trend. Eine tiefergehende Untersuchung des Produktivitätsanstiegs der 1990er Jahre ergibt demnach, dass die neue Performanz hauptsächlich auf die Entwicklung innerhalb des IuKT-Bereiches selbst zurückzuführen zu sei.


Tabelle 6 - Aufschlüsselung des Wachstums von Outputs pro Stunde 1995:4 bis 1999:4 in Anteilen von zyklischen Effekten und Strukturellen Veränderungen des Trendwachstums16;Quelle: Gordon 2000


Tabelle 6 gibt Aufschluss über die Anteile verschiedener Faktoren an dem Wachstum der Arbeitsproduktivität für den Zeitraum 1995:4 bis 1999:4. Die erste Spalte zeigt das Wachstum des Outputs pro Stunde der nicht-agrarischen Privatwirtschaft. Diese weist ein Trendwachstum von 0,83 Prozentpunkten (Zeile 5.) auf, wovon 0,19 Prozentpunkte (Zeilen 6. + 7.) auf Veränderungen der Preismessungsmethoden und einen leichten Anstieg der Arbeitsqualität zurückzuführen sind17. Die übrigen 0,64 Punkte (Zeile 8. = 5. – 6. – 7.) entsprechen der Beschleunigung des Wachstums der Arbeitsproduktivität und lassen sich nach Gordon direkt auf die Auswirkungen des Computersektors zurückführen. Davon sind wiederum 0,33 Punkte (Zeile 9.) auf die Kapitalvertiefung (schnelleres Wachstum des Kapitals im Verhältnis zur Arbeit in der Gesamtwirtschaft) durch gesteigerte IuKT Investitionen und fast der gesamte Rest von 0,29 Punkten (Zeile 10.) auf die Beschleunigung des MFP Wachstums in der Herstellung von IuKT zurückzuführen. Der Rest von 0,02 Punkten (Zeile 11. = 8. – 9. – 10.) entspricht dem reinen, strukturellen MFP-Wachstum ohne die direkte Einbeziehung des IuKT Bereichs. Die zweite Spalte zeigt dieselbe Aufschlüsselung ohne die Anteile (Output und Stunden) der Computer produzierenden Industrien jedoch inklusive aller anderen halbleiterbasierten Bereiche. Hier ergibt sich für das bereinigte, strukturelle MFP Wachstum sogar ein leicht negativer Wert von –0,10 Punkten. Der von den Theoretikern erwartete „spill-over“ Effekt (= Auswirkungen durch ein Systemteil auf andere Teile) auf die allgemeine Wirtschaft ist nicht zu beobachten oder sogar negativ. Noch deutlicher wird diese Aussage in der dritten Spalte. Hier wird die Produktion von Gütern mit längerer Lebenszeit (= physisch länger existierende Produkte) ausgeschlossen. Da zyklische Effekte nach Gordon im betrachteten Zeitraum ausschließlich außerhalb der Produktion zu beobachten waren, spielen diese hier ein gewichtigere Rolle als in den ersten beiden Spalten. Das bereinigte strukturelle MFP-Wachstum zeigt auch deshalb in diesem Bereich sogar einen substantiellen Rückgang von 0,29 Punkten. (vgl. Gordon 2000: S.55ff; auch Gordon 1999)

Nach Gordons Untersuchungen haben Investitionen in IuKT außerhalb der Produktion nachhaltiger Güter demnach einen Ertrag, der gegen Null tendiert. „This is surprising, because 76.6 percent of all computers are used in the industries of wholesale and retail trade, finance, insurance, real estate, and other services, while just 11.9 percent of computers are used in five computer-intensive industries within manufacturing, and only 11.5 percent in the rest of the economy“ (McGuckin and Stiroh 1998 zit. nach Gordon 2000: S.57). Damit widersprechen sich die starken mikroökonomischen Rationalisierungseffekte der neuen Technologien mit der makroökonomischen Datenlage und rechtfertigen die Fortsetzung der auf Robert Solow zurückgehenden These vom „Computerparadoxon“ (vgl. ebd.; Bischoff 2001: S.53ff). Gordon (und mit ihm Krömmelbein und Altvater/Mahnkopf) sehen darin die Begründung für die Zurückweisung der These der bedeutenden Wirksamkeit eines neuen sozio-technologischen Paradigmas im Vergleich mit den Innovationen der industriellen Revolution (vgl. Gordon 2000: S.60; Krömmelbein 2001: S.254; Altvater/Mahnkopf 2000: S.774).

Einige Vertreter dieser These sind sich dieser Widersprüchlichkeit durchaus bewusst. Der Effekt, dass die erwarteten Produktivitätsgewinne hauptsächlich im IuKT Sektor selber zu beobachten sind, dient ihnen als Argumentationsgrundlage. Castells verweist auf eine Untersuchung von Brynjolfsson aus 1997, die eine deutliche Korrelation zwischen den Produktivitätssteigerungen durch IuKT und der Organisationsstruktur eines Unternehmens aufzeigt, in dem diese Technologien eingesetzt werden. „Strikingly, the most productive users of IT tend to employ a synergistic combination of a customer-focused business strategy and a decentralized organisational structure. In contrast, firms that simply graft new technologies onto old structures (or vice versa) are significantly less productive“ (Brynjolfsson 1997 zit. nach Castells 2000: S. 90). Produktivitätssteigerungen können also nur unter den Bedingungen von organisatorischer Anpassung und bei Anwendung adäquater, statistischer Kategorien beobachtet werden. Der Boom der US Konjunktur zwischen 1994 und 1999 ist nach Castells trotz statistischer Widersprüche nur durch substantielle Steigerungen der Produktivität zu erklären. Die Schlussfolgerung Gordon´s, dass der IuKT-Bereich einen isolierten Teil der Produktivitätssteigerung repräsentiert, der keine Auswirkung auf die Entwicklung der anderen Sektoren hat und damit kein grundlegend neues sozio-technologisches Paradigma eines informationalen Entwicklungsmodus darstellt, stellt für Castells eine statische Vision von ökonomischem Wachstum dar. Die Betrachtung der ökonomischen Geschichte und Fallstudien der 1990er zeigt jedoch, dass der Nutzen technologischer Innovationen erst in deren Quellindustrien realisiert werde, bevor sich diese in andere Industriebereiche ausbreiten (Castells 2000: S. 92ff). Die Realisierung des Nutzens durch das neue Paradigma steht aktuell noch an ihrem Anfang und wird sich zeitlich und räumlich unstetig ausbreiten. Dies gelingt jedoch erfolgreich nur innerhalb von Organisations- und Institutionsstrukturen, die diese Nutzenrealisierung zulässt. Durch den globalen und lokalen Wettbewerb werden, nach Castells Auffassung, die zu solchen Anpassungen unfähigen wirtschaftlichen Agenten mittelfristig vom Markt verschwinden bzw. dramatisch an Bedeutung verlieren. Durch diese Argumentation begründet er die Auffassung. dass die Entwicklung der Produktivität nicht von den Bedingungen des Wettbewerbs zu trennen ist (vgl. ebd.: S.94).

Diese Interdependenzen zwischen Paradigma, Entwicklungsmodus und der Regulation innerhalb einer Betriebsweise sowie ihre Bedeutung für die Gesamtentwicklung werden im folgenden Abschnitt 3.3 detailliert dargestellt. Die Diskussion um die Produktivität ist jedoch noch nicht ganz abgeschlossen, denn die Kritiker des informationalen Paradigmas weisen neben dem Produktivitätsparadoxon auf tiefergehende Gründe für die begrenzte Bedeutung der IuKT in der Wirtschaftsentwicklung hin.

Die Tendenz fallender Erträge: Strukturelle Grenze der IuKT !?

Beschaffenheit und Gegenstand der IuKT stellen aus Sicht von Gordon und anderen eine strukturelle Begrenzung der Nachhaltigkeit ihrer Auswirkungen auf die Wachstumsentwicklung dar. Angesichts scheinbar fehlender Erträge der IuKT erklärt Gordon das Phänomen ihrer breiten Nutzung in allen Wirtschaftsbereichen mit den starken Preisverfallraten für Computer und Zubehör (vgl. Abschnitt 3.1.1) bei einer konstanten Nachfragekurve. Zwar weisen die Preisveränderungsraten und die Anzahl von Computermerkmalen seit 1995 eine Beschleunigung auf, das Gefälle zwischen diesen Raten wird jedoch steiler und nicht flacher, was ein qualitativ konstantes Angebot-Nachfrage-Verhältnis bei beschleunigter Technologieentwicklung bedeutet. Die sich aus dem Invers (= mathematische Umkehrung) dieses Gefälles ergebende Preiselastizität der Nachfrage war bis 1987 auf deutlich höherem Niveau (um –2 Punkte) als in der Phase nach 1987 (-1,36 Punkte). Der Rückgang der Preiselastizität ist die Basis für Gordons Schlussfolgerung, dass der Nutzen durch die IuKT seit Mitte der 1980er Jahre bereits vollständig realisiert ist (vgl. Abb. 8).


Abbildung 8 - Reale US Gesamtverkäufe von Computern und Peripherie und jeweiliger Preisdeflator, 1963-99; Quelle: Gordon 2000


Der Zusammenhang von ständig fallenden Preisen, steigender Anzahl von Computermerkmalen und konstanter Nachfrage ist für ihn die Grundlage der These, dass sich bei der Nutzung der Informationstechnologie fallende Erträge schneller einstellten als bei anderen Technologien. Zwar steigt der Konsumentenmehrwert durch den rapiden Preisverfall, der fallende Schnittpunkt von Angebot- und Nachfragekurve18 auf den informationstechnischen Produktmärkten zeigt jedoch die Tendenz zum Fall des marginalen Nutzens der steigenden Computerleistung (vgl. Gordon 2000: S.62). Die Wurzel der fundamentalen Begrenzung der Nutzung exponentiell steigender Computerleistung (Speicher und Geschwindigkeit) zur Erzeugung von Output- und Produktivitätswachstum liegt in dem konstanten Angebot an verfügbarer Zeit des Individuums. „The cost of computing has dropped exponentially, but the cost of thinking is what it alway was“ (ebd.). Der seit Mitte der 1980er fallende marginale Nutzen der zentralen Anwendungen Textverarbeitung und Tabellenkalkulation ergibt sich demnach aus der exponentiell fallenden Output zu Kapital Rate. Der Anwendungsertrag und damit die sich ergebende Produktivität bleibt durch die begrenzte Zeit und die stagnierenden Anwendungsformen konstant, der Kapitalstock zu ihrer Nutzung hat sich jedoch bis heute verdreißigfacht19. Die Tendenz fallender Investitionserträge der Computertechnologie ist für Gordon der Kern zur Erklärung des Produktivitätsparadoxons.

Dadurch ist auch das, u.a. von Castells angeführte, Argument der trägen Diffusion zu Klärung des Computerparadoxon nach Gordons Auffassung widerlegt. Der Vergleich mit der trägen Verbreitung von Innovationen des industriellen Paradigmas, wie elektrischem Licht oder Elektromotor auf Grund hoher Investitionskosten und schlechter Funktionalität, ist wegen der oben aufgezeigten Eigenschaften der Computertechnologie nicht haltbar. „Instead of waiting for the productivity boost to arrive, it is more plausible that the main productivity gains of computers have already been achieved“ (ebd.: S.65).

Einen weiteren Grund für fallende Erträge im Computereinsatz erkennt Gordon in der begrenzten Substituierbarkeit von Menschen durch Computer. Viele Tätigkeiten benötigen menschliche Fähigkeiten (Piloten, Fernfahrer, Automobilbau) oder basieren auf zwischenmenschlichem Kontakt (Ärzte, Krankenschart, Rechtsanwälte, Professoren, Banker, Dienstboten, Friseure etc.) und können deshalb nicht durch die Technologie ersetzt werden. Auch die eigentlichen Anwendungen der Technologie bedürfen stets menschlicher Bedienung und genau diese Notwendigkeit erzeugt fallende Erträge beim produktiven Einsatz von Computern (vgl. ebd.).

Auch die Innovation des Internet Mitte der 1990er hat den Trend der fallenden Erträge nicht gebrochen. Gordon führt dafür in der Zusammenfassung fünf Gründe an (ebd. S.69ff):

  1. Das Internet substituiert nur andere Formen von Unterhaltung und Informationsbeschaffung

  2. Auch die neuen Verkaufsformen verdrängen nur herkömmliche Distributionsarten und werden daher vornehmlich zur Verteidigung von Marktanteilen eingesetzt.

  3. Die Inhalte des Internet sind nicht neu.

  4. Websites begleiten die bisherige Informationsverbreitung nur zusätzlich, was die Transaktionskosten oft über den Umsatz steigert.

  5. Mitarbeiter nutzen das Internet in der Regel unproduktiv zur eigenen Unterhaltung während der Arbeitszeit.

Mit diesem letzten Aspekt ist die Darstellung des Diskurses zu der Frage der Produktivitätsentwicklung abgeschlossen.

3.2.4 Zusammenfassung

Damit sind die Argumentationen zur Entwicklung eines informationalen Entwicklungsmodus für die Hypothesenrückführung ausreichend dargestellt und sollen hier noch einmal kurz zusammengefasst werden.

Soziale Destabilisierung, Produktivitätsparadoxon und strukturelle Grenzen sind für Gordon und die anderen Kritiker20 die Hauptargumente gegen eine bedeutende Qualität der IuKT als Basistechnologien eines neuen Paradigmas in einem informationalen Entwicklungsmodus. Die Elemente des industriellen Reproduktionsprozesses werden ihrer Ansicht nach durch die Informationstechnologien nicht in einem entscheidenden Umfang verändert. Die Nutzung von Wissen mittels IuKT sehen sie lediglich als Restrukturierungselement in einer ungebrochenen kapitalistischen Entwicklung an. Die kritischen Betrachtungen konzentrieren sich mithin auf die Widerlegung der Thesen eines technologisch induzierten Wachstums und einer neuartigen Stellung von Wissen im Wertschöpfungsprozess. Das Computerparadoxon und die Einbindung der wissensbasierten Produktion in die unveränderte Logik der Kapitalverwertung sind dabei ihre Gegenargumente. Die seit den 1970er Jahren zu beobachtenden institutionellen Veränderungen in der gesellschaftlichen Regulation der Ökonomie werden von den Kritikern als Ergebnis eines gesteigerten Rationalisierungsdrucks innerhalb des globalen industriellen Wettbewerbs interpretiert. Diese Entwicklung treibt die inhärenten Widersprüche und Krisenphänomene des Kapitalismus weiter voran und verlangt deshalb nach einer erneuten Vergesellschaftlichung der Regulationsmechanismen. Die Autoren sehen sich mit dieser sozio-ökonomischen Argumentation in ihrer grundlegenden Kapitalismuskritik bestätigt.

Die Befürworter eines informationalen Paradigmas argumentieren hingegen hauptsächlich auf einer sozio-technologischen Ebene. Zwar spekuliert Stierle über eine mögliche Durchbrechung klassisch kapitalistischer Konjunkturbewegungen durch den Einsatz von IuKT, welche eine bedeutende Veränderung bei Akkumulation und Verteilung des gesellschaftlichen Produktes bewirken könnte. Der Großteil der positiven Argumentation beschäftigt sich jedoch mit den neuen strukturellen Elementen, die eine Nutzung von IuKT in den Wirtschaftsprozess einbringt. Die selbstbezogene und dynamische Qualität der Nutzung von Wissen mittels IuKT innerhalb neuer Organisationsstrukturen stellt dabei den Hauptaspekt dar. Wissen wird demnach durch die Technologie zu seinem eigenen Verwertungsgegenstand und setzt sich daher von der physisch gebundenen, industriellen Entwicklungsform ab. Bei der Problematik des Computerparadoxon verweisen die Autoren auf eine frühe Phase des Diffusionsprozesses und gehen von einem längerfristigen Anpassungsprozess des Handelns der ökonomischen Akteure und gesellschaftlicher Institutionen aus, bevor die bandbreite der Auswirkungen durch das informationale Paradigma auf der Makroebene wirksam deutlich werden. Die Befürworter betrachten die institutionellen Veränderungen als den Beginn eines Anpassungsprozesses der sozio-ökonomischen Strukturen an den informationalen Entwicklungsmodus und gehen von der Notwendigkeit weiterer Veränderungen im Vergleich zum industriellen Modus aus. Castells Konzeption der Einbettung eines informationalen Paradigmas in die kapitalistische Wachstumsweise wird daher bei der Diskursbetrachtung in Abschnitt 3.3.2 weiter ausgeführt.

Diese scheinbare Gegensätzlichkeit von sozio-ökonomischer und sozio-technologischer Argumentation weist auf die wichtige Interdependenz von technologischer Struktur und gesellschaftlicher Institutionalisierung des Reproduktionsprozesses hin. Um die These von der Entstehung einer informationalen Ökonomie hinreichend zu evaluieren, müssen also die Aspekte gesellschaftlicher Regulation in Interdependenz mit dem wirtschaftlichen Entwicklungsmodus genauer dargestellt werden. Dies geschieht im folgenden Abschnitt innerhalb der Diskursbetrachtung zum Wachstumsregime.


3.3 Das Finanzregime als Ausgangsphase der Entwicklung eines informationalen Wachstumsregimes?

Nach der Darstellung allgemeiner Veränderungstendenzen in der Ökonomie und des Diskurses zum Entwicklungsmodus erfolgt in diesem letzten Abschnitt des Diskursteils 3 die Betrachtung des Diskurses über die Veränderungen des Wachstumsregimes. Sowohl die Definitionen in Abschnitt 2.2 als auch die nähere Betrachtung zum Entwicklungsmodus haben die Bedeutung des gesellschaftlichen Rahmens für die ökonomische Entwicklung aufgezeigt. Die Ausgestaltung der ökonomischen Wertschöpfung erfolgt im Kontext gesellschaftlicher Regulation. Beide Elemente weisen eine hohe Interdependenz auf und entwickeln sich demzufolge bei gegenseitiger Einflussnahme. Eine Prüfung der Ausgangsthese von der Genese einer informationalen Wirtschaft muss also neben den wertschöpfungstheoretischen Bewertungskriterien zum Entwicklungsmodus (vgl. Abschnitt 2.1) auch die regulationstheoretischen Kriterien eines kompatiblen Wachstumsregimes und dessen Subkriterien Akkumulationsregime und Regulationsweise berücksichtigen (vgl. Abschnitt 2.2).

Wie bei der Darstellung des Diskurses über den Entwicklungsmodus wird sich ein großer Teil der Argumentation auf den Vergleich mit den vorangegangenen Konstellationen gesellschaftlicher Regulation beziehen. Deshalb wird auch in diesem Abschnitt zunächst ein detaillierter Überblick über die historischen Typen von Akkumulationsregime und Regulationsweise in Analogie zu den Typen des Entwicklungsmodus gegeben, bevor der Diskurs zu den aktuellen Veränderungen des Wachstumsregimes dargestellt wird. Damit wird der Diskursteil dieser Arbeit abgeschlossen und eine ausreichende theoretische Basis für die Prüfung der Ausgangsthesen in Abschnitt 4 gegeben.

3.3.1 Die historischen Wachstumsregime: Zur Geschichte des institutionellen Wandels

In der (neo-)klassischen, ökonomischen Theorie ist der Markt die einzige Institution, welche die wirtschaftliche Entwicklung im Laufe der Geschichte bestimmt. Er wird in dieser Theorieströmung als geschlossenes, selbstregulierendes System verstanden, in dem die Veränderung eines Faktors (z.B. Bevölkerung) die elastische Anpassung aller anderen Faktoren bis zur Wiederherstellung des Marktgleichgewichtes über das Signalsystem der relativen Preise bewirkt (vgl. Issing 1994: S.255ff). Diese Auffassung entspricht einer „idealen“ Wirtschaftswelt ohne weitere Institutionen, Informationskosten, strukturelle Unsicherheiten und Transaktionskosten. Darin sind nach North vier Annahmen à priori enthalten (vgl. North 1988: S.8ff):

  1. Die privaten Kosten und Erträge ökonomischen Handelns sind immer gleich den sozialen.

  2. Neues Wissen (z.B. durch Innovation) führt stets zu höheren Erträgen, da die Ressourcen des Wertschöpfungsprozesses (Energie, Materie, in Kombination mit Arbeit) „unendlich“ vorhanden und damit zu konstanten Preisen verfügbar sind.

  3. Es erfolgt in jedem Fall eine positive Verzinsung von Ersparnissen.

  4. Die rationale Entscheidung eines Wirtschaftssubjektes wird ohne Effizienzeinbußen in das Handlungsergebnis umgesetzt (= Effizienzdominanz).

Diese Faktoren waren jedoch im Verlauf der Geschichte nie konstant gegeben, sondern unterlagen andauernden Veränderungen im Rahmen der gesellschaftlichen Gegebenheiten, deren Struktur die weiteren Institutionen, und damit die Transaktionskosten im Wirtschaftsprozess, beeinflussen. Der auf Faktoränderungen folgende ökonomische Anpassungsprozess hängt von den Informationskosten der Akteure ab. Der Staat (und andere Institutionen) beeinflusst mit seinen Regelungen das Verhalten von Konsumenten, Anlegern und Beschäftigten. Das reale Ungleichgewicht von sozialen zu privaten Kosten und Erträgen zeigt sich am Beispiel der Bevölkerungsentwicklung: Deren Angleichung im Zuge einer allgemeinen Subsistenzmittelknappheit erfolgt trotzt des Signals der relativen Preise nur sehr verzögert oder bei chronischem Mangel auch gar nicht. Eine direkte, selbstinduzierte Faktoranpassung im Marktsystem hin zum Optimum, ohne äußeren Einfluss, ist damit eine unrealistische Annahme. Auch Form und Bedeutung von technischen Innovationen hängen entscheidend von den durch die Gesellschaft gegebenen Rahmenbedingungen in Form von gewährleisteten Eigentumsrechten auf Ideen und Neuerungen (= Patentrecht) ab. In der Summe lässt sich das kollektive Verhalten der Menschen nicht aus dem Kosten-Nutzen-Verhältnis durch Preisveränderungen ableiten. Alles Handeln außerhalb des Eigeninteresses ist so nicht zu erklären. Auch die marxistische Gegenthese vom Klassenhandeln ist aus historischer Sicht kaum als Erklärung nicht haltbar. „Den besten Beweis dafür, daß dies nicht das Standardverhalten ist, erbringen marxistische Aktivisten selbst, die unter Einsatz ungeheurer Energien versuchen, das Proletariat dahin zu bekommen, sich wie ein Klasse zu verhalten“ (ebd.: S.11). Das ökonomisch relevante Handeln von Menschen ist deutlich komplexer als es beide Theorien suggerieren. Jenseits der individuellen Handlungstheorie basieren Wandel und Stabilität in der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem jeweils geltenden, gesellschaftlichen System von Normen und Regeln, in dem diese ihren Lauf nimmt (vgl. North 1988: S.4ff; Castells 2000: S.15ff und S. 35ff). Dementsprechend lassen sich zu den in Abschnitt 3.2.1 beschriebenen historischen Entwicklungsmodi adäquate gesellschaftliche Formationen ausmachen, die als regulativer Rahmen für die ökonomische Entwicklung fungieren. Diese Modi sollen im Folgenden intensiv dargestellt werden.

Die agrarische Gesellschaftsformation

Auch für die agrarische Phase, in der die Wirtschaftsdynamik im Vergleich zu den folgenden Phasen eher stationären Charakter hatte, sind die Interdependenzen zwischen ökonomischer Entwicklung und institutioneller Konstellation bereits deutlich auszumachen. Mit der ersten Nutzung von Boden als natürlichem Kapital im Zuge der Neolithischen Revolution entwickelte sich die Ausgangskonstellation der agrarischen Gesellschaftsform über einen längeren Zeitraum. Arbeitsteilung, Eigentumszuordnung und Wohlstandsverteilung in dieser Gesellschaftsform wurden von der Religion als ordnende Institution geprägt. Sie definierte den ideologischen Rahmen für die Ausgestaltung von Kultur, Staat und Wirtschaft bis zur Industriellen Revolution. Die Religion war die Basis der Stabilität der agrarischen Wirtschaftsform, aber auch ein wichtiges Element des Umbruchs zur industriellen Wachstumsgesellschaft. Die Bedeutung der Religion für die agrarische Gesellschaft und deren Auflösung ist Gegenstand unzähliger sozialhistorischer Abhandlungen und soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden21. An dieser Stelle sollen in der gegebenen Kürze lediglich die entscheidenden Strukturmerkmale dieser historischen Gesellschaftsformation im Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung zusammengetragen werden.

Neben der ökonomischen Dominanz der Kirche und der weltlichen Herrschaft durch Gottes Gnaden im christlichen Kulturkreis war die soziale Strukturierung der Agrargesellschaft ein wichtiger Faktor ihrer langanhaltenden Stabilität. Sie spiegelte die Begrenzung der menschlichen Reproduktion im agrarischen Entwicklungsmodus durch die Natur wider (vgl. Abschnitt 3.2.1). Eine mit der industriellen Gesellschaft vergleichbare Akkumulationsdynamik war durch die direkte Abhängigkeit der Erträge menschlicher Arbeit von der natürlichen Umgebung nicht möglich. Das Potential zur Aneignung von Werten wurde zwar im Gegensatz zur Jäger-und-Sammler-Phase verbessert, die wirtschaftliche Entwicklung im Sinne einer Steigerung des quantitativen Umfangs der Werte verlief jedoch verhalten. Auf Grund der fehlenden Wachstumsdynamik der agrarischen Wirtschaft ist ein Akkumulationsregime im Sinne der Definition aus 2.2.1 für die Agrargesellschaft nicht festzustellen. Erzeugung und persönlicher Tausch von Subsistenzmitteln zum Lebensunterhalt waren die dominanten wirtschaftlichen Vorgänge. Das im Verhältnis relativ geringe Volumen dieser Transaktionen und ihr individueller, lokaler (im Sinne der Dorfgemeinschaft) Charakter ergaben zwar eine funktional geringe Regelungstiefe, bildeten jedoch durchaus eine erkennbare Regulationsweise „Die Erste Wirtschaftliche Revolution schuf den Staat und die für die Begründung einer Wirtschaftsordnung notwendigen politischen Beschränkungen und bewirkte die Ausdehnung von Spezialisierung und Arbeitsteilung über die primitiven Erfordernisse jagender und sammelnder Stammeseinheiten hinaus“ (North 1988: S.214). Die feudale Herrschaftsform und ihre Verknüpfung mit der Kirche bildeten den Rahmen der wirtschaftlichen Ordnung. In einer Zeit der Kleinstaaten und der kontinuierlichen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen, stellte die Militärtechnik der jeweiligen politisch-wirtschaftlichen Einheiten einen wichtigen Faktor für deren geographische Größe, und damit den Grad an räumlicher Spezialisierung und der Ausdehnung des Tauschhandels, dar. Mit der Größe der Staaten stiegen auch die Militärkosten zu ihrer Absicherung. Deshalb entwickelten die Herrscher staatliche Institutionen zur Besteuerung ihrer Untertanen und etablierten damit die ersten Formen ökonomischer Regulation. Durch die räumlich getrennte Erfahrung der Umwelt entwickelten sich unterschiedliche ideologische Strömungen in den Staaten, die auf spezifischen Sprachen, Religionsformen, Gebräuchen und Überlieferungen basierten. Die sich daraus ergebenden, statischen Strukturen der Vermögensverteilung und deren ideologische Legitimation waren die Ursache für andauernde innere wie äußere Konflikte (vgl. ebd.). Dementsprechend starr und undurchlässig zeigte sich auch der sozialstrukturelle Rahmen, in dem die Menschen agierten. „Agrarian society depends on the maintenance of a complex system of ranks, and is important that these be both visible and felt, that they be both externalised and internalised“ (Gellner 1998: S.20).

Die Ausbildung einer Schriftkunde und eines Gelehrtenstandes waren für die Entwicklung mächtiger Staaten der Agrarphase ein wichtiger Faktor. Die entwickelte Schriftkunde in einer Gesellschaft stellt ein Merkmal der Abgrenzung zur voragrarischen Phase dar, in der ausschließlich religiöse Institutionen dieser Kulturtechnologie mächtig waren. In der Agrargesellschaft markiert die Schriftkunde darüber hinaus die Unterteilung der Staatseinheiten in große/kleine Traditionen/Kulte mit variabler Ausformung. Durch die andauernden Grenzverschiebungen in Folge von Kriegen hatten die Prozesse der politischen Zentralisierung des Staates und der kulturellen Zentralisierung von Sprache und Schrift in der Regel unterschiedliche Verläufe, standen jedoch stets in einer Wechselbeziehung. (vgl. Gellner 1991)

Diese Form der Zentralisierung gliederte nach Gellner die Machstruktur der feudalistischen Herrschaft in wenige horizontal liegende Klassen (Krieger, Priester, Gelehrte, Verwalter, Bürger etc.) die diverse, vertikal (auch räumlich) getrennte agrarische Untertanschichten beherrschten. Die herrschende Minderheit lebte in strikter Trennung von der Mehrheit der Untertanen, wobei die Ungleichheit der Sphären zwischen allen Beteiligten ideologisch stilisiert wurde. Die allgemeine Betonung kultureller Differenzen, auch innerhalb der herrschenden Schichten, diente der horizontalen, kulturellen Abgrenzung zur Statuswahrung. Die vertikale und laterale Abgrenzung zwischen den Untertanen basierte auf der geographisch geschlossenen, nach innen orientierten Lebensweise mit spezifischen Sprachen bzw. Dialekten und Bräuchen. Eine Mobilität zwischen den Sphären dieser Struktur durch ökonomische Aktivität war so gut wie unmöglich. Einmal Bauer, immer Bauer. Einmal Zunft, immer Zunft. Einmal Lehnsherr, immer Lehnsherr. „The basic circle in which agrarian society is locked, is complete, and it is difficult to see how one could break out of it (in fact, this has happened, though no one is quite shure of how it was done). The agrarian situation dictates certain values which inhibit innovation and productive growth; this entails a zero-sum situation which dictates certain values; that in turn... There is no exit from this circle“ (Gellner 1998: S.19). Wegen der geringen Regelungsnotwendigkeit der einfachen Wirtschaftsstruktur und der damit meist rein persönlichen Tauschbeziehungen existierte kein funktionales Interesse der Mächtigen an einer Homogenisierung der Gesellschaft über die Institutionen der Steuererhebung und der Landeverteidigung hinaus. Die soziale Konstruktion der Agrargesellschaft und der regulative Rahmen, den sie für die Ökonomie darstellte, verhinderte eine weitergehende kulturelle und institutionelle Homogenität. Dadurch wurde die geringe Arbeitsteiligkeit und die verhaltene wirtschaftliche Dynamik des agrarischen Entwicklungsmodus über einen längeren Zeitraum befestigt (vgl. ebd.).

Trotz fehlender kapitalistischer Akkumulationsbedingungen lässt sich also durchaus eine Kompatibilität von Entwicklungsmodus und Regulationsweise für die agrarische Phase feststellen. Der Übergang zur industriellen Phase war von starken Veränderungen der gesellschaftlichen Regulation und der Reproduktionsbedingungen geprägt, die erst im Zusammenspiel das Potential des industriellen Kapitalismus entfalteten.

Die industrielle Gesellschaftsformation

Die Entfaltung des industriellen Entwicklungsmodus ab Mitte des 18.Jh. infolge der Innovation der automatisierten Herstellung von Textilien und Eisen in Großbritannien, fand bereits unter sich wandelnden, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen statt. Das Weltbild innerhalb von Geistes- und Naturwissenschaften hatte sich durch die Aufklärung und die newtonschen Gesetzte der Mechanik grundlegend verändert22. Die neue Welt war entdeckt und stellte einen wichtigen Faktor bei der starken Ausweitung des staatsübergreifenden Handels dar. Märkte und Gewinnmöglichkeiten wuchsen rasch und mit ihnen die Konkurrenz der Staaten um ertragreiche Kolonien. „Zwischen 1800 und 1900 weiteten die Europäer (in Eurasien und Übersee) ihre Macht über nichteuropäische Gebiete um das Acht- oder Neunfache aus. Es waren die Ausbeutung dieser Gebiete und der wachsende Handel mit ihnen, die der europäischen Familie einen nie zuvor gekannten Reichtum bescherten“ (Woodruff 1985: S.435). Diese Handelsausweitung infolge der ökonomischen Aktivitäten zwischen Mutterländern und Kolonien ist als eine Hauptmotivation bei der Ausweitung institutioneller Regulation durch den Staat und der Ausformung von privaten Eigentumsrechten zu betrachten. Die staatstragenden Akteure hatten dabei das durchaus eigennützige Ziel, das Staatseinkommen zur Unterhaltung des immer kostenintensiveren Militärs bei steigender Größe des beherrschten Territoriums zu sichern und zu vermehren. In dieser Anfangszeit des kolonialen Handels war es die kleine Handelsnation der Niederlande, die durch institutionelle Innovationen wie repräsentative Körperschaften mit Haushaltsrecht, organisierte und geregelte Kapitalmärkte, Auktionsmärkte, Preislisten, Standardverträge und Handelsgerichte sowie eine anti-monopolistische Ausrichtung der Eigentumsrechte eine deutliche Steigerung ihres Wohlstandes erreichte. „Die Erklärung hierfür liegt im Wesen der hauptsächlichen Wirtschafttätigkeit dieses Gebietes begründet. Die Niederlande waren der natürliche Mittelpunkt des europäischen Handel.“ (North 1988: S.158).

Es entstanden jedoch nicht nur neue Institutionen der Wirtschaft. Die Religion, als die bis dahin zentrale, gesellschaftliche Institution der agrarischen Konstellation, befand sich in einem bedeutenden Wandel. Die Reformation, mit weitreichenden Folgen für die europäische Staatsstruktur, hatte auch das ideologische und religiöse Verhältnis der Menschen untereinander und zur wirtschaftlichen Tätigkeit als solche verändert. Dies zeigte sich in England, der Wiege der Industriellen Revolution, an der puritanischen Religionsauffassung, in der die Mehrung des persönlichen Wohlstands in der innerweltlichen Askese der Berufausübung dem Ruhme Gottes diente (vgl. Weber 1988: S.??). Dieser Wandel der persönlichen Weltanschauung begünstigte die Entwicklung einer auf Wertmehrung ausgerichteten Arbeitsethik. Auch die staatliche Regulation der Wirtschaft wurde im pragmatischen Interesse der Machthaber zugunsten einer Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivität in Großbritannien angepasst. Die Briten übernahmen im Rahmen ihrer eigenen kolonialen Expansion die erfolgreichen Institutionen der Niederländer und legten damit die Basis für den auf technologischer Innovation gründenden, industriellen Entwicklungsmodus. Das in Großbritannien seit 1642 geltende Patentrecht bot, mit anderen allgemeinen Rechtsätzen zu Verträgen, einen systematischen Anreiz zur historisch erstmaligen Verbindung von Wissen und Technik und der Nutzung dieser Verbindung in einem Produktionsprozess und der damit einhergehenden dramatischen Steigerung der Produktivität im wirtschaftlichen Faktoreinsatz. Der technische Wandel und seine Folgen basierten auf einer allgemeinen Investitions- und Marktausweitung in Folge des kolonialen Handels. In diesem Kontext wurden neue Rechtsinstitutionen etabliert, die einen Anreiz durch die Steigerung privater Erträge durch wissenschaftlich-technische Innovationen boten (vgl. Abschnitt 3.2.1;North 1988: S.163f).

Die steigende Marktgröße bewirkte die Rücknahme der Beschränkung des Handels durch die jeweiligen Herrscher, da diese die Gelegenheit zu steigenden Steuereinnahmen erkannten. Damit war der Grundstein für die Auflösung der agrarischen Wirtschaftsstrukturen gelegt, da sich die Marktorganisation weg von vertikaler Strukturierung (Bauern, Heimarbeit, Handwerk) hin zu einer nun kontinuierlich vertiefenden Spezialisierung wirtschaftlicher Aktivität im Rahmen des neuen technologischen Paradigmas entwickelte. Es erfolgte eine allgemeine Systematisierung und Spezialisierung von Lohn und Produktion, durch die sich unpersönliche Faktor- und Produktmärkte ausformten. Um die Funktionalität dieser unpersönlichen Märkte und die Abschöpfung des steigenden Steuerpotentials durch den Staat zu sichern, ergab sich die Notwendigkeit für einen gesellschaftlichen Rahmen, der marktweit einheitliche Regelungen, Standards, Maßeinheiten, Qualifikationen, Gesetze, Steuern etc. auch zur Begrenzung des durch die steigende Arbeitsteilung ständig wachsenden Transaktionskostenvolumens etablierte (vgl. ebd.). Die Formation der agrarischen Gesellschaft war zu uneinheitlich und zu starr, um diese Bedingungen zu erfüllen. Die ökonomische Notwendigkeit der Vereinheitlichung gesellschaftlicher Strukturen zur Umsetzung des industriellen Entwicklungsmodus fand ihre ideologische Umsetzung in der politischen Idee des Nationalstaates.

Dieses politische Konzept, ursprünglich aus der französischen Revolution stammend, besaß das Potential, eine dem emergenten, industriellen Entwicklungsmodus adäquate gesellschaftliche Homogenität zu erzeugen. Die Verbreitung der neuen Produktionsmethoden und des politischen Konzeptes der Nation veränderten die Gesellschafts- und Staatsstrukturen in ganz Europa. Die Verallgemeinerung von Sprache und Schriftkunde durch einheitliche Bildungsinstitutionen als Voraussetzung für eine spezialisierte gesellschaftliche Arbeitsteilung wurde durch die Idee der Nation möglich. „It is this which explains nationalism: the principle – so strange and eccentric in the age of agrarian cultural diversity and of the ‚ethnic‘ division of labor – that homogeneity of culture is the political bond, that mastery of (and, one should add, acceptability in) a given high culture (the one used by the surrounding bureaucracies) is the precondiditon of political, economic and social citizenship“ (Gellner 1998: S.29; Hvb. d. Verfasser). Die lebensweltlichen Trennlinien der agrarischen Ständestruktur wurde durch die Betonung der Gemeinschaft der Nation und deren kultureller Legitimation aufgeweicht und förderte damit sowohl die Vertiefung der Arbeitsteilung als auch die Motivation zum wirtschaftlichen Engagement breiterer Gesellschaftsschichten, vor allem des Bürgertums. Auch die Entstehung der rationalen, bürokratischen Herrschaft und des modernen Staates zur effizienten und gesteuerten Regulation der industriellen Wirtschaft erfolgte im Rahmen der Nation. Kultur und Politik fanden ihr gemeinsames Zentrum im Nationalstaat, der die Durchdringung der Gesellschaft durch eine allgemeine Hochkultur ermöglichte und damit die Kultur selbst zur Definitionsgrundlage der Gesellschaft erhob (vgl. Gellner 1991: Kap.3).

Damit war der Wachstumsrahmen für die frühe Phase des Kapitalismus im 19. Jh. entstanden. Die Umsetzung des neuen sozio-technologischen Paradigmas einer mechanisch-verarbeitenden Industrie in diesem Regulationskontext ermöglichte erstmalig die Erzeugung von Mehrwert durch kalkulierten Faktoreinsatz (vgl. Abschnitt 3.2.1). Der im industriellen Entwicklungsmodus neue Faktor des Kapitals wurde in dieser ‚Pionierphase’ des industriellen Kapitalismus hauptsächlich zur direkten Vermehrung des persönlichen Wohlstandes des Anlegers eingesetzt. Der Faktoreinsatz war also auf die kurzfristige Erzielung von Erträgen ausgerichtet und orientierte sich an der aktuellen Marktlage. Das Akkumulationsregime dieser Frühphase wird mithin als ‚dominant extensive Akkumulation’ bezeichnet und setzte sich bis Mitte des 19.Jh. in den früh-industriellen Staaten Europas durch (vgl. Abschnitt 2.2). Die Institutionen des modernen Nationalstaates gewährleisteten die Rahmenbedingungen für die Entfaltung des industriellen Paradigmas. Sie zielten zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht auf eine konkrete Steuerung der Märkte ab. Der Wettbewerb zwischen den neuen Wirtschaftsakteuren und die Ausbildung von entsprechenden Arbeitsmärkten wurde ermöglicht und gefördert, aber nicht gesteuert. Die Regulationsweise lässt sich somit als ‚kompetitive Regulation’ bezeichnen. „Competitive regulation seems to make labor power a commodity like any other, whose price is determined less by preestablished norms than by the short-run economic situation, the strenght of each paticipant´s local market position, and the qualifications required for particular types of work“ (Boyer 1990: S.62). Dominant extensive Akkumulation und kompetitive Regulation bildeten das frühindustrielle Wachstumsregime aus.

In den wachsenden Industrien entstanden neue Arbeitsplätze. Massen von Menschen wanderten zu den meist in den urbanen Zentren angesiedelten Fabriken, um dort ihren Lebensunterhalt zu sichern, was im agrarischen Sektor auf Grund der wachsenden Bevölkerung in Folge der medizinischen und sanitären Entwicklung kaum noch möglich war. Viele kehrten ihrer Heimat den Rücken und wanderten in die „Neue Welt“ aus (vgl. Woodruff 1985: S.464ff). Die in allen industrialisierten Nationen entstandene neue Klasse der Industriearbeiter lebte generell in prekären Verhältnissen: Lange Arbeitszeiten, monotone und schwere Arbeit in einer oft gesundheitsschädlichen Umgebung und niedrige Löhne waren die Regel. Der Staat regulierte auch den Arbeitsmarkt nur in Hinsicht auf dessen Wettbewerbsfunktion, ohne die schlechte Lage der Arbeiter zu berücksichtigen. Diese innenpolitischen Veränderungen wurden von der imperialistischen Fortsetzung der Kolonialpolitik durch die Nationalstaaten Europas während der letzen drei Dekaden des 19.Jh. begleitet. Mit Wissenschaft und Technik hatten sich die militärischen Mittel stark weiterentwickelt und fanden in den Kriegen zwischen den Nationalstaaten um Kolonien und auf eigenem Territorium einen breites Einsatzfeld.

Das frühindustrielle Wachstumsregime zeigte auf nationaler und internationaler Ebene einen instabilen Charakter. Es war durch zyklische Krisenphänomene geprägt, die sich in den Symptomen starker Preissteigerungen, steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Löhne zeigten. Die Zyklen, in denen diese Symptome auftraten, waren zu einem wichtigen Teil durch die dynamische, demographische Entwicklung geprägt (vgl. Boyer 1990: S.62; Hübner 1990: S.193f). Die uneingeschränkte nationale und internationale Konkurrenz in Wirtschaft und Politik sowie die Krisenhaftigkeit der kompetitiven Regulation mündeten in die Weltwirtschaftskrise von 1857 bis 1859, die damit die ‚erste Umbruchs- und Regulationskrise’ der kapitalistischen Wachstumsweise (1875 bis 1895) einleitete.

In der Konsequenz bildete sich die ‚monopolistische bzw. administrative Regulationsweise’ bei fortgesetzt dominant-extensiver Akkumulation. Im Unterschied zur kompetitiven Regulation greift der Staat hier mittels seines Gewaltmonopols vor allem in die Lohngestaltung auf den Arbeitsmärkten ein. „In contrast, ‚administered‘ or monpolistic regulation provides for steady increases in wage income through a sort of defacto indexation, partly as a function of consumer prices, and partly in terms of productivity trend“ (Boyer 1990: S.63). Die Machthaber der Nationalstaaten hatten die Problematik der prekären Situation der industriellen Arbeiter erkannt und reagierten auf die eine oder andere Art und Weise. Demzufolge fällt in diesen Zeitraum auch die Gründung der ersten sozialpolitische Institution wirtschaftlicher Regulation in Deutschland.

Der deutsche Reichskanzler Bismark verfolgte eine politische Strategie zur Bekämpfung der Arbeiterbewegung. Auf Grund der schlechten Situation der Arbeiter hatte sich in den industrialisierten Staaten eine breite, soziale und politische Bewegung zur Vertretung ihrer Interessen entwickelt. Es entstanden Gewerkschaften zur kollektiven Vertretung im Arbeitsleben und Parteien zur Durchsetzung politischer Partizipation im Rahmen der parlamentarischen Institutionen der Nationalstaaten. In Deutschland war die SPD einer der bedeutendsten politischen Vertreter der Arbeiter, die Bismark 1878 im Rahmen des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ verbot. Als weitere Gegenmaßnahme etablierte er eine umfassende Sozialgesetzgebung zur Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung, um die Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern und so die Bewegung zu entkräften (1883 bis 1889). Sein Ziel, die SPD zu unterdrücken, verfehlte er. Das System der Sozialversicherung als Institution sozialer Regulation war hingegen ein Erfolg und prägt das Wirtschaftssystem Deutschlands bis heute (vgl. Lampert 1998: S.64ff). Die Grundzüge des Wohlfahrtsstaates waren damit gelegt.

Bis zu dessen Durchsetzung verging jedoch noch ein halbes Jahrhundert. Zuvor begann ein historisch zwar kurzer, aber trotzdem fataler Abschnitt der Geschichte. Die internationale Spannungslage zwischen den europäischen Industrienationen eskalierte zum I. Weltkrieg 1914 bis 1918, der mit den wissenschaftlich-technischen ‚Errungenschaften’ industriell hergestellter Waffen ein bis dahin ungekanntes Zerstörungspotential entfaltete. Nach dessen Ende lag Europa und seine Wirtschaft am Boden, die ökonomische Regulation und Akkumulation behielt jedoch ihre Form bis zur ‚zweiten Umbruchs- und Regulationskrise’ von 1929/32 bis 1945 bei.

Eine Ausnahme stellt die Entstehung der Sowjetunion infolge der Russischen Revolution von 1917 dar. Die neuen, kommunistischen Machthaber etablierten ein Wirtschaftssystem jenseits kapitalistischer Marktwirtschaften: die Planwirtschaft. Basierend auf der Kapitalismuskritik von Marx und Engels. Mit der praktischen Umsetzung durch Lenin und Stalin sollte eine Wirtschaftsform geschaffen werden, in der die Arbeiter nicht die ausgebeutete, sondern die herrschende Klasse darstellen. Um Entfremdung und Ausbeutung des Kapitalismus zu überwinden, wurde das private Eigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft und ihr Besitz vergesellschaftet. Produktion, Preise und Arbeit wurden vom Staat in Plänen mit fünf bzw. zehnjähriger Dauer festgelegt. Mit der Planwirtschaft lässt sich nicht mehr von einem Akkumulationsregime sprechen, da hier die Akkumulation von Kapital entfällt. Ein Motivationszusammenhang zur Kapitalakkumulation kann nur festgestellt werden, wenn privates Kapital existiert. Gleiches gilt für die Regulationsweise. Diese reguliert die Entwicklung von Märkten, um deren negative Effekte zu minimieren und ihre Funktionalität zu gewährleisten. Da es keine auf Angebot und Nachfrage basierenden Märkte in der Planwirtschaft gab, ist keine Regulationsweise feststellbar. Die Planwirtschaften werden daher in der weiteren Betrachtung zum Entwicklungsmodus keine Rolle spielen.

In den 1920er Jahren bewirkten die in Abschnitt 3.2.1 dargestellte Taylorisierung der Produktion und weitere technologische Innovationen mit dem Ausbau der Rüstungsindustrien ein deutliches Wirtschaftswachstum, aber auch eine immer stärkere Monopolisierung der Volkswirtschaften. Gerade die USA erlebten durch die neuen Produktivitätssteigerungen einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Dieses Produktivitätspotential schlug sich in der Entstehung eines neuen Akkumulationsregimes nieder. Der erzeugte Mehrwert wurde verstärkt in Fixkapital zur Wertsteigerung der Unternehmung und Erzielung langfristiger Erträge akkumuliert. Es bildete sich das Regime „dominant intensiver Akkumulation ohne Massenkonsumption“ aus. Die Unternehmer investierten zunehmend in ihre Produktionsmittel um Marktpositionen zu sichern und auszubauen. Im Gegensatz zur extensiven Akkumulation erweiterte sich mithin der zeitliche Horizont der Kapitalverwertung (vgl. Hübner 1990: S.143ff).

Die Ausrichtung der Produktion auf die Massenfertigung ohne adäquate Absatzmärkte und die etablierten monopolistischen Wettbewerbsstrukturen sollten sich jedoch innerhalb des instabilen internationalen Umfeldes mittelfristig als Nachteil erweisen. Nach dem I. Weltkrieg hatten die Nationalstaaten begonnen, ihre Ökonomien nach außen abzuschotten (vgl. Pinder 1986: S.379ff) In den Wirtschaftsressorts der Regierungen setzte sich die Doktrin des Protektionismus mit dem Ziel der Autarkie von anderen, potentiell oder faktisch feindlichen Nationen durch. Die Aufgabe der goldgebundenen Währungen führte im Zusammenhang mit einer erneuten drastischen Aufrüstung zu Währungskrisen und starker Inflation, da die Rüstungsausgaben der Staaten über das nun unbegrenzt mögliche Drucken von Geld finanziert wurde. An den US Börsen war im Laufe der 1920er Jahre eine Investitionseuphorie entstanden, die im Angesicht der scheinbar florierenden Wirtschaft die Krisenanzeichen von zunehmender Arbeitslosigkeit und stagnierender oder defizitärer Preisentwicklung durch eine Mengenkonjunktur bei gegen Null tendierenden Erträgen ignorierten. Hier zeigte sich praktisch, dass monopolisierte Märkte ohne die ausgleichende Wirkung des Wettbewerbs destabilisierend auf die Gesamtwirtschaft wirken (vgl. Issing 1994: S.176ff). In Folge dieser Überhitzung der Finanzmärkte und des Börsencrashs der Wall Street am sogenannten ‚Schwarzen Freitag’ (25.10.1929) erschütterte eine Weltwirtschaftskrise die industrialisierte Welt in den 30er Jahren. Handel und Produktion sanken dramatisch ab. Die Wirtschaftspolitiker versuchten, mittels gesteigertem Protektionismus und Währungsabwertungen ihre Länder zu schützen, was die internationalen Krisentendenzen noch weiter verstärkte. Massenhafte Arbeitslosigkeit und steigende Armut waren die direkten Folgen dieses Crashs. Die Banken- und Finanzsysteme brachen weltweit zusammen. Die 1930er Jahre waren in Europa und den USA daher von einer allgemeinen wirtschaftlichen Desintegration gekennzeichnet (vgl. Pinder 1986: S.379ff).

In politischer Hinsicht stellte diese Krise in Deutschland, neben vielen anderen Umständen, die hier nicht weiter ausgeführt werden können, einen bedeutenden Faktor bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten dar. Die Entwicklung Deutschlands unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, welche hier ebenfalls nicht weiter betrachtet werden kann, mündete am Ende im II. Weltkrieg, der den zivilen Wirtschaftskreislauf in allen beteiligten Nationen durchbrach und die 40er Jahre des 20.Jh. durch eine bis dahin nicht gekannte Qualität und Quantität bei der Vernichtung menschlichen Lebens prägte. Diese Abfolge fataler Entwicklungen, bei der die ökonomische Regulation durch den Staat eine bedeutende Rolle spielte, wird mithin als die „zweite Umbruchs- und Regulationskrise“ von 1929/32 bis 1945 bezeichnet.

Der Fordismus – Das goldene Zeitalter

Das Ende des II. Weltkriegs stellt wirtschaftshistorisch das Ende dieser Umbruchs- und Regulationskrise dar. Innerhalb der kapitalistischen Staaten hatten die USA, infolge des Kriegsausgangs, die politische und ökonomische Hegemonialposition eingenommen. Das zerstörte Westeuropa wurde, inklusive des besiegten Deutschlands, mit finanzieller Hilfe der USA im Rahmen des ‚Marshall Plans’ wieder aufgebaut. Aus den Fehlern der vorhergehenden Phase der Wirtschaftsregulation wurden jedoch wichtige Konsequenzen gezogen. Die ökonomischen und politischen Katastrophen der ersten vierzig Jahre des 20.Jh. hatten die bis dahin marktliberale Stimmungslage der Wirtschaftspolitik zu Gunsten einer umfassenderen ökonomischen Regulation gewendet. Das Potential der neuen Produktionsmethoden des Taylorismus und des Fließbandeinsatzes sollten in einen gesellschaftlichen Rahmen eingebunden werden, um eine langfristige Stabilität der Wirtschaftsentwicklung zu gewährleisten und Unterkonsumptions- oder Überproduktionskrisen zu vermeiden. Dieser neue Regulationsrahmen wurde auf internationaler und nationaler Ebene umgesetzt.

International wurde der zwischen dem I. und II. Weltkrieg eingerichtete und weitgehend unwirksame Völkerbund (1919 bis 1946) durch die Vereinten Nationen (UN) als politische Institution ersetzt (24.10.1945). 1945 wurde mit den ökonomischen Institutionen der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (später Weltbank) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) das ‚Währungssystem von Bretton Woods’ etabliert. Dieses System sollte die fatalen Vorkriegsentwicklungen der Autarkiepolitik der Staaten und der Tendenz zu einem internationalen Abwertungswettlauf von Währungen im nationalen Einzelinteresse verhindern. Der IWF hatte die Aufgabe der Wahrung der internationalen Wechselkursstabilität, die Weltbank sollte zuerst die Umsetzung des Marshall Plans durchführen und hatte im ‚Kalten Krieg’ eine Blockhomogenisierungsfunktion (vgl. Altvater/Mahnkopf 1996: S.182f). Die frühre Goldbindung der Währungen, die zwischen den Weltkriegen aufgehoben worden war, wurde durch die Etablierung des US-$ als internationale Leitwährung und dessen Bindung an die Goldreserven der USA indirekt wieder eingeführt, um die Wechselkurse auf den Devisenmärkten langfristig zu stabilisieren. Damit hing die internationale Geldzirkulation von der Verfügbarkeit des US-$ ab und der Goldpreis fungierte als ‚Stabilitätsanker’. Eine weitere wichtige internationale Institution dieser Zeit stellt das GATT (= General Agreement on Trade and Transfer von 1947) dar. Es hatte die Vermeidung protektionistischer Wirtschaftspolitik zum Ziel, was durch eine Bindung der Zolltarife zwischen den Vertragspartnern erreicht wurde. Innerhalb dieser Bindung konnten weder bestehende Zölle erhöht noch neue Zolle eingeführt werden. Das GATT etablierte sich, durch weitere Beitritte im Laufe der Zeit, neben IFW und Weltbank zu einer auch heute noch sehr bedeutenden Institution der internationalen Handelsregulation (vgl. Pinder 1986: S.392ff).

Auch auf der Ebene der nationalen Ökonomien wurden neue Institutionen der Regulation eingeführt. Der fordistische Entwicklungsmodus (vgl. Abschnitt 3.2.1: S.??) bot neue, exponentielle Wachstumsmöglichkeiten. Um jedoch ökonomische Turbulenzen als Folge von Unterkonsumption zu verhindern, mussten die Einkommen der breiten Bevölkerung an die Entwicklung der Produktion gekoppelt werden. „Nur wenn Massenproduktion und Massennachfrage – institutionell gesichert – im Gleichklang wachsen, ist eine Unterkonsumptions- bzw. Überproduktionskrise vermeidbar“ (Altvater/Mahnkopf 1993: S.38) Die prekäre Lebenssituation der Arbeiter in der vorherigen Phase der industriellen Formation musste somit deutlich verbessert werden, um den Klassenkampf des 19.Jh. zwischen Arbeit und Kapital in einen geregelten Interessenkonflikt umzuwandeln, der beiden Seiten die Möglichkeit zur Umsetzung ihrer Interessen bot. Die wichtigste Institution der fordistischen Regulation bestand damit in der Kodifizierung der Lohnverhältnisse in rechtlicher Form, die in allen kapitalistischen Ländern mit unterschiedlicher Ausprägung erfolgte und die Basis für die Organisation von Interessenverbänden zu einer weitgehend friedlichen, kollektiven Lohnaushandlung darstellte (vgl. Grahl/Teague 2000: S.162). Dazu zählen Gesetze zu Arbeitsverträgen, Mindestlöhnen, Arbeitszeiten, Verbandsbildung, Tarifautonomie (in der Bundesrepublik Deutschland) und vieles mehr. Als Pendant zur Institutionalisierung ist das Prinzip des Wohlfahrtsstaates zu verstehen. Dieser sieht seine Aufgabe darin, den ökonomische Entwicklung mittels seiner Ausgaben weiter zu stabilisieren. Das bedeutet, dass der Staat in rezessiven Phasen mit steigender Arbeitslosigkeit mittels unterschiedlicher Maßnamen23 deren negative Auswirkungen auf die für eine Wachstumsgesellschaft wichtige Konsumption abmildert. Neben diesen beiden konsumptionsorientierten Institutionen erfolgten auch wettbewerbsbezogene Regulationen. Eine der neuen Institutionen dieser Ebene stellte die Regulierung der ökonomischen Preisbildung mittels gesetzlicher Regelungen zur Verhinderungen von Preiskartellen dar, die in der Vorkriegsphase ein entscheidendes Element bei der Destabilisierung der Wirtschaft ausmachte. Auch die aktive Geldmengenpolitik durch eine Zentralbank, die via Leitzinssätzen die Verfügbarkeit von Kapital im Verhältnis zur konjunkturellen Entwicklung reguliert, repräsentiert eine Institution der fordistischen Regulationsweise. In Zeiten der Hochkonjunktur wird dabei der Leitzinssatz erhöht und damit die Kreditnahme verteuert, um eine Überhitzung der Konjunktur und inflationäre Tendenzen zu verhindern. Bei auftreten von Rezessionserscheinungen wird der Zinssatz gesenkt, um die Kreditnahme zu verbilligen und dadurch Investitionen zur Förderung des Wirtschaftsprozesses anzuregen (ebd.).

Diese nationalen und internationalen Institutionen bildeten die fordistische Regulationsweise bei einem Akkumulationsregime mit nun ‚dominant intensiver Akkumulation mit Massenkonsumption’ und Regulation einer ‚mixed economy’24 aus. Auf der Basis dieser Regulationsweise erfolgte in den kapitalistischen Ländern eine Phase wirtschaftlicher Prosperität über einen historisch recht kurzen Zeitraumes von ca. 30 Jahren, die einem großen Teil der Bevölkerung zu steigendem Wohlstand verhalf. Die Arbeitslosigkeit tendierte in dieser Zeit gegen Null und zeitweise herrschte sogar ein Mangel an Arbeitskräften, der durch Immigranten aus nicht oder schwach industrialisierten Staaten ausgeglichen wurde. Der Fordismus wurde dementsprechend zum Inbegriff eines stabilen und sozial ausgeglichenen Wachstumsregimes.

Obwohl die Ausformung des Fordismus und seine Auswirkung auf die Wohlstandsentwicklung in der kapitalistischen Welt relativ synchron erfolgte, entwickelten sich in den einzelnen Staaten unterschiedliche Umsetzungsformen der oben beschriebenen Institutionen. Dabei lassen sich drei, vom geographischen Raum ihres Auftretens abgeleitete, Umsetzungstypen differenzieren: Der angelsächsische Typ, der europäische Sozialstaatstyp und der asiatische Entwicklungstyp. Im angelsächsischen Typ (USA,GB,CAN,AUS) wurden die Institutionen weitestgehend liberal gestaltet. Der Markt sollte nur so wenig wie nötig reguliert werden, die Eingriffe des Staates also minimiert erfolgen. Diese Grundhaltung lässt sich aus der liberalen, politischen Tradition dieser Staaten erklären, die auf Grund der spezifischen historischen Erfahrungen eine höchst mögliche Freiheit des individuellen Handelns von hoheitlicher Gewalt betont25. Vor allem die Institutionen der Arbeitsbeziehungen und des Wohlfahrtsstaates wurden in diesem Typus entsprechend moderat ausgebildet. Die politische Tradition Kontinentaleuropas (F,D,S,NL) ist im Gegensatz dazu eher zentralistisch einzustufen, da die Fürsorgefunktion des Staates hier historisch eine starke Bedeutung hatte. Die europäischen Institutionen deshalb weitgehend nach dem Sozialstaatsprinzip ausgebaut. Dieses beinhaltet eine tiefgreifende Fürsorgefunktion des Staates für seine Bürger und damit eine gesellschaftliche Umverteilungsfunktion durch Versicherungs- und Steuersysteme. Der von Ludwig Erhard geprägte Begriff der ‚sozialen Marktwirtschaft’ verbildlichen dies anschaulich. Auch die Regulation der Arbeitsbeziehungen wurde in diesem Typus unter nationalen Besonderheiten weitestgehend formalisiert und zentralisiert. Diese Strukturen sind auch heute noch in abgeschwächter Form vorhanden. In Frankreich dominiert der Staat als Vermittler die Aushandlung der Arbeitsverhältnisse direkt (Colbertismus, Staatsinterventionismus), in den Skandinavischen Ländern sind die Arbeitsbeziehungen gesetzlich in Blockverbänden zentralisiert (Schwedisches Modell) und in der Bundesrepublik Deutschland gelten die Prinzipen der Tarifautononmie und der Flächentarifverträge zwischen Branchenverbänden (vgl. Altvater/Mahnkopf 1993: S.22ff,S.157ff). Der asiatische Typ unterscheidet sich von den beiden anderen Typen grundlegend. Japan ist zwar als ein Referenzfall einzustufen, aber auch Süd-Korea und andere ‚Tigerstaaten’ sind hier einzuordnen. Der Unterschied zu den anderen Typen leitet sich aus der historischen Situation dieser Länder nach dem II. Weltkrieg ab. Alle diese Länder haben eine ‚nachholende Entwicklung’ ihrer industriellen Strukturen mit lenkender Funktion des Staates in Hinsicht auf die strategische Orientierung der privaten Unternehmen vollzogen. Die zentrale Planungsinstitution, das japanische MITI, welches die wirtschaftliche Entwicklung auf vielen Ebenen mittels diverser Anreizmechanismen auf die Bahn technologischer Entwicklung lenkte, ist hier hervorzuheben. Auch der hohe Grad der Protektion eigener Märkte via Zöllen und trotz GATT-Mitgliedschaft stellt eine Ausnahme im internationalen Vergleich dar. Dieser Sonderstatus im fordistischen Wachstumsregime setzt sich im Bereich der Arbeitsbeziehungen fort. Hier ist die Institution der lebenslangen Beschäftigung und der Lohnzumessung nach Alter in Japan hervorzustellen. Die Gewerkschaften hatten die Form von Unternehmensgewerkschaften, die sich hauptsächlich in den großen Unternehmen der oligopolistischen Marktstrukturen konzentrierten, was zu der Ausbildung eines zweigliedrigen Arbeitsmarktes führte. Nur die Angestellten der großen Betriebe kamen in den Genuss der beschriebenen Institutionen. Der andere Teil der Arbeitnehmer arbeitete in kleinen Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben und bildete einen ausgeprägten Niedriglohnsektor. Im Gegensatz zur Steuerung der Produkt- und Investitionsmärkte hatte der japanische Staat auf die Arbeitsbeziehungen jedoch einen relativ geringen Einfluss (vgl. Hentschel 1986: S.73-143).

Der dargestellte Prozess der Umsetzung einer fordistischen Regulationsweise und der damit einhergehende wirtschaftliche Erfolg beschränkte sich international auf eine begrenzte Zahl von Staaten. Der Globus wurde aus der Sicht der Industrienationen in drei Bereiche unterschieden, die ‚Erste Welt’ der kapitalistischen Industriestaaten, die ‚Zweite Welt’ der sozialistischen Industriestaaten und die übrige ‚Dritte Welt’. Neben der Ersten Welt vollzogen auch die meisten sozialistischen Staaten eine moderne Industrialisierung und konnten so den Lebensstandard ihrer Bürger von 1945 bis 1970 ebenfalls deutlich steigern. Die heterogene Gruppe der Staaten der Dritten Welt war hingegen von ökonomischer ‚Unterentwicklung’ geprägt. Diese Gruppe bestand zum einen Teil aus den Staaten, die nach dem 2. Weltkrieg aus der Kolonialherrschaft ihre Unabhängigkeit erlangten und eigenständige Nationalstaaten gründeten. Der andere Teil bestand aus geographischen Gebieten, die bisher frei von Fremdherrschaft ebenfalls Staaten gründeten. Diese Staatsgründungen erfolgten auf den Kontinenten Asien, Afrika und Südamerika in mehreren Wellen. Allein in Afrika wurden in der Gründungswelle ab 1960 17 neue Staaten gegründet und die Mitgliederzahl der UNO stieg sprunghaft. Die Auswirkungen der kolonialen Herrschaft erwiesen sich in vielen Bereichen als strukturelle Barrieren für das Entwicklungspotential dieser Länder (vgl. Alter 1985: S.118ff; Menzel 1992: S.50f, S.70ff).

Zum einen erfolgte die Gründung der Nationalstaaten entlang der noch von den Kolonialmächten gesetzten und durch Willkür oder Kolonialkriege entstandenen Grenzen. Die jeweilige Lage von Sprachen, Kulturen, Ethnien und sozialen Einheiten wurde dabei ignoriert und stellt bis heute einen bedeutenden Faktor für die Instabilität der politischen Systeme dar. Vor allem der afrikanische Kontinent ist hier betroffen. Zum anderen fand die durch den Kolonialismus etablierte, einseitige Ausrichtung der ökonomischen Strukturen dieser Länder in der ‚internationalen Arbeitsteilung’ des Fordismus ihre Fortsetzung. Ihre Einbindung in den Welthandel beschränkt sich noch heute auf die Erzeugung/Lieferung von Rohstoffen und die Herstellung unbearbeiteter, landwirtschaftlicher Produkte. Unter dem in den Industrieländern aufgestellten politischen Paradigma der „verschuldeten, nachholenden Industrialisierung“ sollten die ‚Entwicklungsländer’ den wirtschaftlichen Weg, den die Industriestaaten über 150 Jahre gegangen waren, innerhalb von Jahrzehnten nachvollziehen. Da hierzu jedoch immense Investitionen nötig waren, mussten sich die Entwicklungsländer bei der 1. Welt verschulden, um die technologischen Errungenschaften der Industrialisierung in ihren Wirtschaftsraum importieren und nutzen zu können. Aus dem gesellschaftlichen Produkt der eigenen Wirtschaft konnte dies nicht erfolgen, da deren Produkte auf dem Weltmarkt, im Vergleich zu denen der Industrieländer, zu geringe Preise erzielten (‚terms of trade’)26. Diese Verschuldungsstrategie sollte sich infolge der ‚dritten Umbruchs- und Regulationskrise’ des Kapitalismus als entwicklungspolitischer Fehler erweisen.

Globalisierung und Finanzzentrierung – Die dritte Umbruchs- und Regulationskrise

Die Hochphase des industriellen Kapitalismus unter der Regulationsweise des Fordismus hatte in den 1970ern ihren Zenith überschritten. Der Umbruch der 1970er Jahre erfolgte durch eine Vielzahl von Faktoren und wurde durch das zunehmende Versagen bzw. die Auflösung einzelner Institutionen deutlich. Die wichtigsten Ursachen und Zusammenhänge werden an dieser Stelle dargestellt.

Das erste betroffene Regulationselement war das internationale Währungssystem fixierter Wechselkurse von Bretton Woods. Der Verlauf der fordistischen Entwicklung wies in diesem Bereich zwei Phasen auf. Bis Mitte der 1950er Jahre galt eine allgemeine Dollarknappheit. Die Verfügbarkeit der Leitwährung des Bretton-Woods-System war knapp und reichte zur Bedienung der steigenden internationalen Handelsströme kaum aus. Bei der Gründung des Systems von Bretton Woods lagen die offiziellen Verbindlichkeiten (und damit die internationale Verfügbarkeit der Leitwährung) der USA bei 6,94 Mrd. US-$ bei einer Goldreserve von 24,56 Mrd. US-$. Im Zuge der intensiven Akkumulation und der raschen Steigerung der globalen Warenexporte27 im fordistischen Wachstumsregime wurde die verfügbare Dollarmenge erhöht. Deshalb überstiegen die Verbindlichkeiten 1960 mit 21,03 Mrd. US-$ bereits die eingelagerten Goldsicherheiten von 17,80 Mrd. US-$. Die Goldreserven der USA wurden bis 1973 sogar noch auf 11,65 Mrd. US$ abgebaut, wobei die Verbindlichkeiten bis auf 92,37 Mrd. US-$ anwuchsen (vgl. Altvater/Mahnkopf 1997: S.185f). Der zur Sicherung der Leitwährung festgelegte Dollarpreis des Goldes von 35 US-$ je Feinunze konnte real nicht mehr gewahrt werden und die Nixon Regierung musste die Goldbindung nach einigen Währungsauf- und abwertungen 1971 aufgeben, was 1973 zur Auflösung der Institution fixierter Wechselkurse führte, indem Industrie- und Entwicklungsländer zum System flexibler, an den sich entwickelnden Finanzmärkten ausgehandelter Wechselkurse übergingen28.

Die freien Wechselkurse stellten, in Verbindung mit dem Ölpreisschock 1978 und der zunehmenden privaten Kreditnahme der Entwicklungsländer an den Finanzmärkten, eine fatale Konstellation für die verschuldeten Länder da. Im Zuge einer dramatischen Zinssteigerung in den USA Anfang der 1980er Jahre, die zur Verhinderung einer Entwertung des US-$ erfolgte, stiegen auch die Zinsen an den Weltmärkten und stürzten die Schuldnernationen auf der ganzen Welt bei sinkenden ‚terms of trade’ in die Krise. „Sowohl in Lateinamerika als auch in Afrika und Teilen Asiens spricht man von den 80er Jahren als dem ‚verlorenen Jahrzehnt’: das Pro-Kopf-Einkommen ist in den Schuldnerländern in dieser Zeit gesunken“ (ebd.: S.189).

Der steigende Weltgüterhandel und die Überakkumulation waren jedoch nicht die einzigen Ursachen dieser Entwicklung. Auch weitere Institutionen des Fordismus gerieten in die Krise. Denn die für den Fordismus so zentrale Wachstumskonstellation von komplementärem Produktivitätswachstum und Nachfragesteigerung bei parallel hohen Steigerungsraten der Kapitalproduktivität mit dem Effekt des gleichzeitigen Anstiegs von Profitrate, Akkumulationsrate und Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes verlor über die Zeit ihr diffiziles Gleichgewicht. Die produktive Dynamik des fordistisch-industriellen Entwicklungsmodus hatte ihre Kraft verloren. Die allgemeine Profitrate begann zu sinken. Die Erzielung von steigender Arbeits- und Kapitalproduktivität durch andauernde Verbesserung der Arbeitsteilung, intensiveren Maschineneinsatz und technologische Innovationen im Rahmen des industriellen Paradigmas wurde zunehmend schwerer29. Durch die Entstehung und steigende Bedeutung der Finanzmärkte war parallel ein wichtiges Element des Akkumulationsprozesses aus dem Einflussbereich staatlichen Handelns entrückt: die Zinsentwicklung. Zwar hatten die nationalen Zentralbanken nach wie vor die Möglichkeit der eigenen Geldmengensteuerung über den Leitzinssatz. Die Entwicklung des „Preises des Geldes“ auf den internationalen Märkten konnte durch die einzelnen Staaten jedoch nicht mehr beeinflusst werden. Damit fehlte ihnen ein wichtiges Mittel zur Steuerung des Investitionsverhaltens im eigenen Wirtschaftsraum.

Der wirtschaftliche Boom hatte zur Akkumulation großer Kapitalmengen geführt, die auf Grund der schwachen Profitrate beim seinem Einsatz im produktiven Sektor nicht, wie bisher, hier reinvestiert wurden. Die Finanzmärkte boten dem freien Kapital zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit zur Erzielung von Profiten über dem Niveau produktiver Anlageformen. Diese Möglichkeiten lagen einerseits auf den boomenden Kreditmärkten, über die die Entwicklungsländer zunehmend ihren Kapitalbedarf deckten. Andererseits entstanden gegen Ende der 1970er diverse neue Anlagemöglichkeiten an den Börsen in Form von Optionen, Derivaten, Termingeschäften, Pennystocks und ähnlichem. „In der sich hier andeutenden Verselbstständigung des Finanzsektors oder FIRE-Sektors, wie er im angelsächsischen Sprachraum genannt wird, liegt eine weitere Ursache für den Bedeutungsverlust der Verarbeitenden Industrie, zumal hier die Tendenz zur Globalisierung der Aktivitäten, insbesondere wenn es sich um rein spekulative Finanztransaktionen handelt, besonders ausgeprägt ist“ (Menzel 1998: S.183). Volumen und Performanz des Finanzsektors zeigen seit Ende der 1970er einen deutlichen Aufwärtstrend. Von 1979 bis 1994 hatte sich der Welthandelsumsatz verdreifacht, die Umsätze an den Devisenmärkten hingegen verachtfacht. Das Volumen des Finanzsektors insgesamt (Geld-, Devisen- und Kapitalmärkte) erreichte Mitte der 1990er Jahre 1200 Mrd. US-$, wovon bereits 10 Mrd. US-$ für die Zirkulation des ‚realen’ Welthandels ausgereicht hätten (vgl. Altvater/Mahnkopf 1997: S.159). Das restliche Volumen bestand mithin aus handelsunabhängigem, spekulativem Kapital. Auch die Direktinvestitionen im Ausland folgten diesem Trend des Kapitalabzugs aus dem produktiven Sektor. Kapital floss immer häufiger in Dienstleistungs-, Finanz- und Versicherungssektoren des Auslands. Damit stieg auch der Umfang der Kapitalexporte seit Mitte der 1980er deutlich an30.

Das Kapital wurde nun nahezu grenzenlos dort eingesetzt, wo es die größten Erträge einbrachte. Durch die sinkende Neigung zur Investition im produktiven Sektor verstärkte sich auch das im Fordismus als bewältigt geglaubte Problem der Massenarbeitslosigkeit wieder deutlich. Es entwickelte sich eine Konkurrenzsituation der globalen Standorte um die optimalsten Anlagebedingungen, die das Ende der fordistischen Regulationsweise bedeutete. Die „Virtualisierung“ der Kapitalakkumulation auf den Finanzmärkten und ihre Rückwirkungen auf die reale Wirtschaft sowie die wachsende Verflechtung von bestimmten Märkten, die von multinationalen Konzernen in oligopolistischen Strukturen bestimmt wurden, setzten die Institutionen der ökonomischen Regulation unter Druck. In der Folge dieser dritten Umbruchs- und Regulationskrise des Kapitalismus konnte der produktive Sektor nur über eine Restrukturierung der Arbeitsproduktivität seinen fallenden Investitionsanteil verteidigen. „Da die Profitrate (Gewinne bezogen auf den Kapitaleinsatz) das Produkt von Gewinnanteil am BIP und Kapitalproduktivität ist, letztere aber (...) seit Jahrzehnten in allen Industrieländern negative Zuwachsraten aufweist, kann die Profitrate nur gesteigert werden, indem die Lohnquote zugunsten der Gewinnquote gesenkt wird. Der Druck auf die Löhne hat also etwas mit den Strukturveränderungen des Produktions- und Akkumulationsprozesses zu tun“ (Altvater/Mahnkopf 1997: S.454). Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen etablierte sich von 1980 an ein breites wirtschaftspolitisches Paradigma in allen Ländern des spät-industriellen Kapitalismus, das auf eine Flexibilisierung und Deregulierung der Märkte ausgerichtet war: der Neoliberalismus.

Diese Art der Wirtschaftspolitik zielt auf eine Verbesserung der spezifischen Bedingungen eines Wirtschaftsraumes, im Sinne einer ‚Befreiung‘ seiner Märkte von staatlichen Einflüssen, für den erfolgreichen internationalen Wettbewerb ab. Die Senkung von Lohnnebenkosten durch verminderte Belastung der Arbeitgeber (Steuern und Sozialabgaben), die Flexibilisierung der Lohnverhältnisse und der Ausbau des Niedriglohnsektors sind nur einige Beispiele neoliberaler Ziele innerhalb der Standortdiskussionen der 1980er und 1990er Jahre, die bis heute die öffentliche Wirtschaftsdebatte prägen. Die allgemeine ‚Überregulierung’ der Märkte, vor allem im europäischen Raum, wird in diesem Kontext als wettbewerbsbelastender, weil unnötige Kosten erzeugender, Faktor aufgefasst, der zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und somit der Arbeitsplatzsituation abgebaut werden soll. In der Umsetzung dieses Paradigmas wurden und werden umfangreiche Privatisierungen staatlicher Betriebe vorgenommen, die Arbeitsregulation verändert, Unternehmen steuerlich entlastet, die Regulation der Finanzmärkte liberalisiert und wohlfahrtsstaatliche Strukturen abgebaut. Die Bürger sollen aus der ‚staatlichen Bevormundung’ in eine erweiterte ‚Eigenverantwortung’ entlassen und der Staat in die Lage versetzt werden, die enormen Haushaltsdefizite abzubauen. Die angelsächsischen Staaten, vor allem die USA und GB, waren die Vorreiter dieser Politik, deren Auswirkungen als Basis der Boomphase der US-Wirtschaft in den 1990er Jahren zu betrachten sind31. Der innergesellschaftliche Widerstand gegen diese wirtschaftsliberale Politik war hier wegen der politischen Tradition am geringsten (s.o.) und wurde daher auch konsequent durchgeführt. In den kontinentaleuropäischen Ländern erfolgte der Niedergang des fordistischen Wachstumsregimes hingegen verzögert. Dies ist einerseits auf deren sozialstaatliche Tradition, andererseits auch auf den europäischen Integrationsprozess zurückzuführen. Die in vielen Ländern Kontinentaleuropas während der 1980er Jahre regierenden Konservativen konnten den Rückbau der staatlichen Regulation auf Grund mächtiger Interessenverbände im institutionellen System weniger deutlich umsetzen. Erst die programmatische Neuorientierung der europäischen Sozialdemokratie und deren Übernahme von Regierungsverantwortung in den 1990ern brachte hierfür eine breite gesellschaftliche Basis32. Die Entwicklung der Europäischen Union hatte bis zum Vertrag von Maastricht 1992/93 ebenfalls einen entschleunigenden Einfluss auf die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik, da hier zuerst eine breitere sozialpolitische Integration zur Verhinderung von Sozialdumping geplant war. Mit dem Scheitern dieses Vorhabens und der Ausrichtung des Maastrichter Vertrages nach dem Subsidiaritätsprinzip entwickelte sich die Europäische Union dann hauptsächlich zu einem Instrument der Bildung eines gemeinsamen Marktes. Im Zuge der Beseitigung von Wettbewerbshindernissen innerhalb der Union und der spezifischen Form der Wirtschafts- und Währungsunion wirkte die EU seit Mitte der 1990er dann als Verstärker neoliberaler Wirtschaftspolitik in Kontinentaleuropa33. Erst seit den späten 1990er Jahren lässt sich somit von einer deutlichen Auflösung der fordistischen Regulationsweise in Europa sprechen.

Innerhalb der Regulationstypen des Fordismus stellt der japanische Entwicklungsstaat eine Ausnahme von diesem Makrotrend dar. In Japan wurde das Prinzip der staatlich gelenkten Exportwirtschaft bis zur Asienkrise der späten 1990er fortgesetzt. Diese fehlende Anpassung wird von vielen Betrachtern als Ursache der aktuellen Finanzkrise der japanischen Ökonomie bewertet. „The revaluation of its industrial system that this situation makes necessary is only just beginning: one factor may be the narrow focus of its economy on certain types of industrial export“ (Grahl/Teague 2000: S.167). Auch wenn eine Übernahme westlicher Wirtschaftskonzepte unwahrscheinlich ist wird die Politik in Japan um eine weitere Vermarktlichung der nationalen Wirtschaftsstrukturen nicht umhinkommen. Dieser Druck wird sich durch die Entwicklung Chinas zu einem mächtigen Konkurrenten um die ökonomische Hegemonie im asiatischen Raum noch weiter verstärken.

Obwohl die ökonomische Entwicklung seit den 1980ern international heterogen erfolgt ist, lässt sich eine ‚dritte Umbruchs- und Regulationskrise des Kapitalismus’ seit dieser Zeit feststellen. Sie ist von einer Diversifizierung interdependenter Faktoren der ökonomischen Entwicklung gekennzeichnet. Die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens und der Arbeit in der industrialisierten Welt haben sich deutlich verändert (vgl. Altvater/Mahnkopf 1993 u. 1997; Menzel 1998; Beck 1998; Forrester 1997). Seit diesem Zeitpunkt befinden sich die Institutionen der Arbeitsbeziehungen und des Wohlfahrtsstaates sowie viele andere Elemente des Fordismus34 in einem andauernden Veränderungsprozess, der in den Sozialwissenschaften der 1990er unter den Stichworten Globalisierung, Post-Fordismus und Dienstleistungsgesellschaft breit diskutiert wurde. Bis zum Ende der 1990er Jahre fehlte in dieser Diskussion jedoch die Substanz einer regulativen Nachfolgekonstellation des Fordismus. „There is, at first, the alarmingly good health of the US economy often charactarized by the RS [= regulation school] as the centre of neo-Fordism. Similarly, political projects often described as ‚libaral productivist’ continue to erode the interventionist structures and social compromises of the long boom. (...) But the long stagnation of the European economies in the 1990s has developmental implications – as does the suprisingly sustained upswing of the US economy over the same period. Whatever future or futures are in store it is the rapidly developing economies wich will arrive at them first“ (Grahl/Teague 2000: S.166f).

Der unerwartete Boom der US-Wirtschaft von 1992 bis 2000 zeigte einige besondere Eigenschaften: Geringe Arbeitslosigkeit und erneut steigende Produktivität bei ausbleibender Inflation. Diese werden von einigen Beobachtern auf die Entstehung des in Abschnitt 3.2 diskutierten informationalen Entwicklungsmodus zurückgeführt. Die Restrukturierung der ökonomischen Regulation seit den 1980ern müsste demnach Elemente aufzeigen, die ein zum neuen Entwicklungsmodus kompatibles Wachstumsregime erkennen lassen. Der wissenschaftliche Diskurs um dieses mögliche Wachstumsregime wird im folgenden Abschnitt 3.3.2 dargestellt.

Die Merkmale der Transformation historischer Wachstumsregime – Zusammenfassung

Vorher sollen jedoch die wichtigsten Elemente der beschriebenen Transformationsprozesse noch einmal kurz zusammengefasst werden:

  1. Im historischen Rückblick lässt sich für einen Entwicklungsmodus ein funktional- kompatibles Wachstumsregime ausmachen. Dieses gründet auf einem, die Möglichkeiten des Entwicklungsmodus abbildenden, Akkumulationsregime. Die Form der Akkumulation hat eine direkte Auswirkung auf Gestalt und Umfang des arbeitsteiligen Produktes der Gesellschaft und damit die Verteilung von Lebenschancen und Wohlstand innerhalb dieser Gesellschaft.

  2. Die Akteure der legitimierten Herrschaftsstruktur versuchen, den Akkumulationsprozess aus eigenem Interesse in Form von Institutionen zu unterstützen und dadurch in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Art der politischen Legitimation ist dabei unerheblich. Der Grad und die Schwierigkeit einer effizienten Regulation per Institutionen steigt mit der Arbeitsteiligkeit und der Anzahl interdependenter Elemente innerhalb des Prozesses der Produktgenerierung. Die Steigerung der teilnehmenden Akteure und der einflussnehmenden Faktoren erhöht die reale Komplexität und die theoretische Kompliziertheit dieses Prozesses.

  3. Die Konstellation von Akkumulationsregime und gesellschaftlicher Regulationsweise bildet das Wachstumsregime.

  4. Die Entwicklung und der Wechsel von Entwicklungsmodus und Wachstumsregime verläuft krisenhaft. Jeder markierbare Wechsel wird von heftigen Verteilungskämpfen und sozialer Instabilität begleitet. Dabei kommt es häufig, physisch wie und qualitativ, zur Zerstörung vieler Menschenleben und großer Teile des gesellschaftlichen Produktes.

  5. Die Veränderung erfolgt in einem längerfristigen Anpassungsprozess ohne genau markierbare Grenzen, da sich die Faktoren dieser Veränderung stets im Bezug zu ihrer Geschichte und untereinander ausbilden. Die Feststellung von Entwicklungsphasen ist deshalb nur im nachhinein möglich und damit nicht determinierbar. Der Anpassungsprozess verläuft chaotisch und ist nicht-ergodisch35.

  6. Obwohl keine Peridiozität der Phasen erkennbar ist, scheint sich die Dauer von Stabilitäts- und Umbruchsphasen zu verkürzen. Es findet demnach eine Beschleunigung der ökonomischen Entwicklung statt.

3.3.2 Die Institutionalisierung des Finanzregimes

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem aktuellen Diskurs in den Sozialwissenschaften zu der Frage nach der Genese eines neuen Wachstumsregimes in der Nachfolge des Fordismus. Die Elemente dieses Diskurses sollen, zusammen mit der wirtschaftshistorischen Betrachtung, als Argumentationsbasis für die Prüfung der Bewertungskriterien Wachstumsregime und seiner Teilelemente Akkumulationsregime und Regulationsweise dienen. Mit dem Ende dieses Abschnittes sind damit auch die Teilelemente zur Prüfung der Kompatibilität von neuem Entwicklungsmodus und neuem Wachstumsregime gegeben. Diese wird dann in Abschnitt 4 erbracht und gemeinsam mit den Ergebnissen der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung aus Abschnitt 3.1 und den anderen Bewertungskriterien aus Abschnitt 3.2 zur Evaluation der Hauptthese von der Genese einer informationalen Wirtschaft in ein Argumentationsschema integriert.

Der Diskurs zur Form und Elementen eines neuen Wachstumsregimes ist weniger polarisiert als der zum Entwicklungsmodus. Dies ist auf die offensichtliche und in der Sozialwissenschaft schon seit längerem diskutierte Umbruchsphase ökonomischer Regulation während der letzten zwei Dekaden des 20.Jh. zurückzuführen. Der Unterschied zwischen den Auffassungen der einzelnen Autoren liegt also weniger bei der Feststellung der Genese eines neuen Wachstumsregimes, als bei der Gewichtung seiner Elemente und der Feststellung einer kompatibeln Entwicklung zu einer neuen Betriebsweise.

Analog zur zu seiner Auffassung von der Entwicklung eines informationalen Entwicklungsmodus (vgl. Abschnitt 3.2.2: S.21f) sieht Castells auch die Ausbildung eines neuen Wachstumsregimes innerhalb seiner umfassenden Konzeption vom „Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“ als evident an (Castells 2000). „Each mode of development has also a structurally determined performance principle around wich technological processes are organized: industrialism is oriented toward economic growth, that is toward maximising output; informationalism is oriented towards technological development, that is toward the accumulation of knowledge and towards higher complexity in information processing“ (ebd.: S.17). Damit kennzeichnet er ein neues Akkumulationsregime, in dem Kapital dominant über die Ansammlung und Vertiefung von Wissen und Information akkumuliert wird. Da sich das sozio-technologische Paradigma über das gesellschaftliche System ausbreitet und eine enge Verbindung zwischen kulturellen und produktiven Kräften besteht, ist die Entstehung historisch neuer Formen sozialer Interaktion, sozialer Kontrolle, also ein sozialer Wandel zu erwarten. Die dritte Umbruchs- und Regulationskrise, welche Castells als „capitalist pererstroika“ bezeichnet, repräsentiert den Beginn dieses Wandels. Die dabei entstehenden neuen Formen sozialer Interaktion und Kontrolle begründen das Nachfolgeregime des Fordismus (vgl. ebd.: S.18).

Zusätzlich zur Deregulierung durch den Abbau institutioneller Regulation sieht er in der Umwandlung der Strukturen der Unternehmensführung einen weiteres Hauptelement des Umwandlungsprozesses, der vier Ziele verfolgt:

  1. Die Vertiefung der Kapitallogik im Arbeitsverhältnis

  2. Die Produktivitätserweiterung von Arbeit und Kapital

  3. Die Globalisierung von Produktion, Zirkulation und Märkten

  4. Die Ausrichtung staatlichen Handelns auf Produktivitätsziele und die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft.

Die auf Flexibilisierung und Adaptionsfähigkeit ausgerichteten, technologischen Innovationen und organisatorischen Änderungen stellen im Umbruchsprozess die kritischen Faktoren in Hinsicht auf Geschwindigkeit und Effizienz der Restrukturierung dar. „Thus, informationalism is linked to the expansion and rejuvenation of capitalism, as industrialism was linked to its construction as a mode of production“ (ebd.: S.19). Die internationalen Finanzinstitutionen dienen dabei zwar der Homogenisierung der Bedingungen zur globalen Kapitalakkumulation, trotzdem reagieren die einzelnen Gesellschaften jedoch auf Grund spezifisch historischer Entwicklungspfade unterschiedlich innerhalb dieses Erneuerungsprozesses des Kapitalismus. Wie in der industriellen Gesellschaftsformation kann aber trotz dieser Heterogenität von einer, auf allgemein fundamentalen Eigenschaften des sozio-technologischen Systems basierenden, informationalen Gesellschaftsformation gesprochen werden. Nach Castells sind alle Gesellschaften von Kapitalismus und Informationalismus betroffen und viele, vor allem die „major societies“, sind bereits, trotz spezifischer Ausformung, informational36.

Das zentrale Merkmal des neuen Wachstumsregimes ist seiner Auffassung nach der globale Charakter der informationalen Wirtschaft. Er definiert eine globale Wirtschaft, in Abgrenzung zu einer Weltwirtschaft: Global ist eine Wirtschaftseinheit zu nennen, die die Kapazität aufweist in Echtzeit oder virtueller Zeit auf planetarischer Ebene zu arbeiten37. Ein großer Teil der Wertschöpfung findet zwar noch im nationalen bzw. lokalen Kontext statt, ist jedoch in seiner Performanz von einem globalisierten Kern abhängig, was im besonderen Maß für die informationale Wirtschaft zutrifft. Dieser globalisierte Kern beinhaltet die Finanzmärkte, den internationalen Handel, die transnationale Produktion und in einem beschränkten Umfang Technologie, Wissenschaft und hoch spezialisierte Arbeitskräfte (vgl. ebd.: S.101). Diese Elemente sollen hier aus seiner Sicht skizziert werden:

Den Finanzmärkten misst Castells eine besonders wichtige Bedeutung im informationalen Wachstumsregime bei. Neben dem bereits im vorherigen Abschnitt 3.2.3 diskutierten Volumen dieser Märkte, weist er auf den destabilisierenden Einfluss der internationalen Devisenmärkte hin. Deren enorme Ausmaße untergraben die Autonomie nationaler Geld- und Steuerpolitik. Ihr Umfang ist bereits weit vom Volumen des Welthandels entkoppelt und beweist den spekulativen Charakter des Währungshandels38. Die Bedeutung der Finanzmärkte ist das Ergebnis von fünf Entwicklungen der aktuellen Umbruchsphase. Neben der oben diskutierten Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte (1) und der Entstehung neuer Finanzinstrumente (2) sieht er die Etablierung einer auf IuKT basierenden, globalen Infrastruktur (3), die spekulative Tendenz der Finanzströme (4) und die steigende Bedeutung von Ratingfirmen / Investmentconsultern (5) als wichtige Elemente der globalen Finanzzentrierung an. Die nationalen und lokalen Bedingungen des Wirtschaftens werden von den Entwicklungen auf den Finanzmärkten grundlegend beeinflusst. „Since capital markets and currencies are interdependent, so are monetary policies and interest rates. And so are economies everywhere“ (ebd.: S.105).

Die Performanz (Ertragsentwicklung) des globalen Finanzkapitals hat über die Vergleichbarkeit zum Produktivkapital einen direkten Einfluss auf die Entwicklung der Ökonomien. Diese Performanz wird zwar auf Märkten gebildet, welche sich jedoch nur teilweise nach den Prinzipien von Angebot und Nachfrage verhalten. Die Bewegungen der Finanzmärkte erfolgen nach Castells aus einer komplexen Kombination von Marktgesetzen, Geschäftsstrategien, politisch motiviertem Verhalten, Zentralbankmechanismen, technokratischer Ideologie, Massenpsychologie, spekulativen Manövern und Informationsturbulenzen unterschiedlicher Herkunft (ebd.: S.106). So wird Kapital aus Kapital gewonnen und dessen Volumen exponentiell gesteigert, während in periodischen Abständen im Zuge von Marktkorrekturen diese Werte zum Teil wieder vernichtet werden39. Im Ergebnis erfolgt eine Konzentration von Wert und Wertschöpfung in der Finanzsphäre, einem globalen Netzwerk der Kapitalflüsse, das mit Hilfe von Informationssystemen und zuarbeitenden Dienstleistungen verwaltet und ‚gemanaged’ wird. „The globalization of financial markets is the backbone of the new global economy“ (ebd.).

Neben dem globalen Finanzsystem, dem Wandel internationaler Handelsstrukturen und der Marginalisierung großer Teile der Welt innerhalb dieses Handels, die von den internationalen Institutionen des Freihandels (z.B. GATT, Weltbank) forciert werden, sieht Castells den wachsenden Einfluss multinationaler Konzerne als ein weiteres bedeutendes Element des informationalen Wachstumsregimes an (vgl. Abschnitte 3.1.2 und 3.3.1).

Mit den „multinational corporations”(MNC) bezieht er sich auf den Aspekt der transnationalen Produktion innerhalb dieser Konzerne. Die MNCs sind die Hauptproduzenten in der globalen Ökonomie und die Hauptursache für die allgemein steigenden ausländischen Direktinvestitionen (vgl. Abschnitt 3.3.1). „MNCs´foreign subsidiaries finance their investments from a variety of sources, including borrowing in local and international markets, subsidies from governments, and co-financing from local firms“ (ebd. S: 118). Die Direktinvestitionen sind jedoch nur ein Teil der Auswirkungen der steigenden Bedeutung der MNCs. Auch der generelle Anstieg des Welthandels ist auf die Produktion innerhalb von MNCs zurückzuführen, da Sie einen Anteil von 2/3 am Welthandel erzeugen, wovon 1/3 auf den konzerninternen Handel zwischen den einzelnen Bereichen derselben MNCs entfällt40. Durch die in der Regel weitgehende Divsionalisierung dieser Konzerne in nationale Einheiten, und deren Einbindung in den jeweiligen geographischen Kontext, sind diese Konzerne weniger transnational als multinational einzustufen. Dadurch sind diese Konzerne in einen breiteren Kontext transnationaler Produktionsnetzwerke eingebunden, auf deren Existenz sie trotz aller Dominanz angewiesen sind. Diese Produktionsnetzwerke bestehen nach Castells aus kleinen bis mittelgroßen Firmen in vielen Ländern41, deren kooperative Verbindung in Netzwerken sie in die Lage versetzt, im globalisierten Produktionssystem wettbewerbsfähig zu sein. Diese Firmen haben meistens den Status von Zulieferern oder Subkontraktern. Da die MNCs selber immer häufiger in Form von dezentralen Netzwerken semi-unabhängiger Einheiten, je nach Ländern, Märkten, Produkten und Prozessen organisiert werden, verbinden sich diese untereinander und mit ihren Zulieferern in der Form von ‚ad hoc Allianzen’. Jede dieser Allianzen stellt für Castells einen Knoten (node) im globalen Netz der internationalen Produktion dar. „The production process incorporates components produced in many different locations by different firms, and assembled for specific purposes and specific markets in a new form of production and commercialisation: high-volume, flexible, customized production“ (ebd.: S.122). In kunden- und produktorientierten Variationen ermöglicht dieses Netzwerk eine variable Geometrie, welche flexibles Management, Produktion und Zulieferung gestattet. Damit ist Castells Konzept des Netzwerkunternehmens in der transnationalen Produktion grob umrissen. Er misst diesem große Bedeutung bei und verwendet es als Basiselement seiner Wahrnehmung der Netzwerkgesellschaft42.

Die globale Strukturierung von Wissenschaft und Technologie ist ein weiterer generischer Faktor des informationalen Wachstumsregimes nach Castells. Die geographische Konzentration von technologischer und wissenschaftlicher Infrastruktur verläuft erwartungsgemäß entlang der Grenzen der OECD. „In 1993, ten countries accounted for 84 percent of global R&D [= Reserach and Development], and controlled 95 percent of the US patents of the past two decades. By the late 1990s, the fifth of worlds people living in the high income countries had at their disposal 74 percent of telephone lines, and accounted for over 93 percent of Internet users“ (Sachs 1999 und UNDP 1999 zit. nach Castells 2000: S.124). Die Interdependenzen im wissenschaftlichen sind jedoch komplexer als es diese Orientierung an der geographischen Ungleichheit impliziert. Zum ersten erfolgt die allgemeine Grundlagenforschung auch außerhalb der OECD an weniger gut ausgerüsteten Universitäten (z.B. Russland, China). Die Grundlagenforschung ist mit Ausnahme der bedeutenden militärischen Forschung ein weitgehend offenes System. Zum zweiten ist das akademische Forschungssystem im allgemeinen global. Der akademische Diskurs und Austausch in diversen Fachbereichen ist seit jeher grenzübergreifend und hat mit den neuen Mitteln der Online-Kommunikation eine Intensivierung erfahren. Dabei sind jedoch die institutionellen Vorteile des Westens und das durch ihn dominierte Themensetting zu berücksichtigen. Die Reproduktion ökonomischer Ungleichheit ist in den Wissenschaften festzuhalten. Für die ökonomische Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse dienen die multinationalen Konzerne einerseits als Instrumente technologischer Dominanz und andererseits als Kanäle selektiver technologischer Diffusion. Auf Grund steigender Forschungskosten und marktstrategischer Notwendigkeiten etablieren sich dabei zunehmend Forschungskooperationen zwischen verschiedenen Konzernen, Universitäten und öffentlichen Forschungsinstitutionen rund um den Globus. Diese Interdependenz dient der beschleunigten Verbeitung technologischer und wissenschaftlicher Innovationen, die jedoch in den bereits festgestellten Grenzen selektiver, ökonomischer Muster von Inklusion/Exklusion verläuft. Den nationalen Regierungen kommt in diesem Prozess die essentielle Rolle der Herstellung bzw. Sicherung von Humanressourcen (via Bildung) und technologischer Infrastruktur zu (vgl. Castells 2000: S.126f). Castells geht im Kontext dieser Entwicklung von einer Delokalisierung der informationalen Produktion aus. Dies begründet er mit der starken Migrationsbereitschaft von wissenschaftlichem Personal.

Die Frage der globalen Arbeit soll nun den abschließenden Aspekt aus Castells’ Argumentation darstellen43. Grundsätzlich stellt er den Prozess einer steigenden Globalisierung spezialisierter Arbeit fest. Die Arbeitskraft von technologischen und wissensorientierten Experten unterliegt einer weltweit starken Nachfrage und durchbricht die üblichen Kategorien von Einwanderungsgesetzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen. Diese Fraktion der Arbeitskräfte macht zwar keinen großen Teil an der Gesamtzahl aus, ist jedoch für den Betrieb von Geschäfts-, Medien- und Politiknetzwerken sehr wichtig. Es kann mithin davon ausgegangen werden, „(...) that, overall, the market for most valuable labor is indeed becoming globalized“ (ebd.: S.130). Ein anderes Bild liefert die Situation der Arbeitskräfte ohne außergewöhnliche Qualifikation. Zwar steigt auch hier die Anzahl der Migranten stetig, jedoch machen diese nach wie vor nur einen kleinen Anteil an der weltweiten Arbeitskraft aus. Im historischen Vergleich sind auch die aktuellen Einwanderungsquoten im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung und sind im Durchschnitt nicht höher als z.B. in den Zeiten der Industrialisierung. Der Trend zu Multiethnisierung der wohlhabenden Länder wird sich jedoch in Zukunft durch die niedrigen Geburtsraten in diesen Ländern und dem wachsenden ökonomischen Ungleichgewicht zwischen armen und reichen Ländern weiter verstärken. Im Zuge dieser Entwicklung leben auch größere Teile der ‚normalen’ Arbeitskräfte in einer Welt ‚zwischen’ den Ländern44. In der Summe ist Arbeit damit zu einem großen Teil nicht global. Es bestehen jedoch steigende Tendenzen zu Migration und Multiethniezität, die vielschichtige Verbindungen von Millionen von Menschen über die Grenzen von Ländern und Kulturen hinweg erzeugen (vgl. ebd.: S.132).

Damit ist das Konzept eines informationalen Wachstumsregimes bei Castells ins seinen Grundzügen dargestellt. Kernpunkt ist dabei die Übernahme von Regulationsfunktionen durch die globalen Finanzmärkte, deren Bedeutungszuwachs auch auf der enormen Senkung von Transaktionskosten durch die Technologisierung dieser Märkte basiert. Diese hat die enormen Volumensteigerungen, ein auf Informationen basierendes Investment und die Dezentralisierung der Finanzmärkte erst ermöglicht. „The overall outcome is greater complexity and greater volatility in the market“ (ebd.: S.155). Die größere Dynamik und Offenheit dieser Märkte dient am Ende der Liquidmachung aller, wie auch immer gearteten, Werte, um sie in den Akkumulationsprozess einzubringen. Die Bewertung ökonomischer Aktivität an den Finanzmärkten ist der Schlüsselfaktor bei der Erneuerung des Kapitalismus im informationalen Wachstumsregime. Bei diesem Bewertungsprozess erkennt Castells zwei Schlüsselfaktoren: Vertrauen und Erwartungen.

Ohne das Vertrauen der Anleger in das institutionelle Umfeld, innerhalb dessen die Wertschöpfung erfolgt, wird die Performanz von Profiten, Technologien oder Nutzwerten nicht in Finanzwerte umgesetzt. Ist das Vertrauen in die zugrundeliegenden Märkte jedoch vorhanden, sind es die Erwartungen eines potentiellen Wertes in der Zukunft, die den aktuellen Wert eines Aktientermingeschäftes („future stocks“) erhöhen. Die unüberschaubare Komplexität der Faktoren unternehmerischen Handelns in der informationalen Wirtschaft verhindert eine Bewertung dieser Aktivitäten nach dem Maßstab der realen Profitabilität. Sie erfolgt deshalb vielmehr in der Erwartung des zukünftigen Finanzwertwachstums. Mit der informationalen Form der Akkumulation löst sich nach Castells die kapitalistische Wertschöpfung zusehends von ihrer industriellen Ausgangslage. „Because within the logic of capitalism, creation of value does not need to be embodied in material production. Everything goes, within the rule of law, as long as monetized surplus is generated, and appopriated by the investor. How and why this monetized surplus is generated is a matter of context and opportunity“ (ebd.: S.160).

Einen konzentrierteren Focus als Castells zeigen die Betrachtungen verschiedener Autoren der Regulationsschule45. Die Argumentation dreht sich dabei vorwiegend um Genese und Verlauf der globalen Finanzzentrierung, wobei auf die Veränderungen von strategischer Unternehmensführung in Folge des ‚Shareholder Value’-Paradigmas besonderes Gewicht gelegt wird.

Williams gibt einen Überblick über das thematische Spektrum dieser Betrachtungen (Williams 2000). Er gliedert die Beobachtungen zum Wandel des Kapitalismus in drei Hauptaspekte: (1) Die unterschiedliche Entwicklung der nationalen Typen des Kapitalismus, (2) neue Formen des Wettbewerbs, innerhalb der die Finanzzentrierung den Aspekt der Globalisierung an Bedeutung überlagert und (3) die Entstehung eines neuen Wachstumsregimes des späten Kapitalismus in diesem Kontext.

Trotz der Untersuchung der möglichen Entwicklung eines finanzgetriebenen Kapitalismus betont Williams, dass diese Betrachtungen nicht auf eine „Prophezeiung einer neuen Ära“ abzielen und grenzt sich somit von Castells’ Konzept der Netzwerkgesellschaft ab. Im Gegensatz dazu definiert er die Entdeckung und Benennung neuer Prinzipien der ökonomischen Zirkulation und sozialen Organisation als Ziele der Untersuchungen. „Instead, many of the contributers to this special issue emphasize the localized and limited nature of the changes in the art economies as growing volumes of household savings are mobilized for value investment by professional managers in stock-market-quoted corporate business which has difficulty in meeting expectations of return“ (Williams 2000: S.2). Im Folgenden sollen die Aspekte (2) und (3) des Diskurses intensiver ausgeführt werden:

Die nationalen Unterschiede im Rahmen der Finanzzentrierung basieren auf den jeweiligen Besonderheiten der ökonomischen Struktur der Wirtschaftsräume, die hier nicht weiter ausgeführt werden können. Im Ergebnis werden die USA und GB als die Wirtschaftsräume mit einem weitgehend ausgebildeten Finanzregime herausgestellt, wobei jedoch zu berücksichtigen bleibt, dass nach wie vor ein großer Teil auch dieser Ökonomien von persönlichem Unternehmertum und öffentlicher Hand ausgemacht wird46.

Die Aspekte der allgemeinen Veränderungen des Wettbewerbs und der Finanzzentrierung sollen hier als Grundlage der Strukturierung eines etwaigen Finanzregimes genauer dargestellt werden. Die in den 1990er Jahren diskutierten Aspekte der Globalisierung mit den Elementen des „Lean Production“ und der flexiblen Spezialisierung sowie der Schematisierung von Verwertungsketten werden dabei als Teile einer Kette von Entwicklungen betrachtet. In der Summe zielt diese auf eine generelle Reduzierung der in Unternehmungen eingesetzten Arbeitskraft und die Verteilung von Unternehmenserträgen an die Besitzer von Unternehmensanteilen (= shareholders). Grundlage dieser Entwicklung ist die Ausrichtung strategischer Unternehmensführung auf die Maximierung des „Shareholder Value“ (SV). „Financialisation reworks the hierarchie of management objectives as it reorients the firm: if firms have to organize processes and please consumers in the product market, they must also now satisfy professional fund managers and meet the expectations of the capital market“ (ebd.: S.6). Durch diese Umorientierung entsteht eine neue Wettbewerbsform: der Performancewettbewerb um Investitionen an den Börsen. Das betriebswirtschaftliche Paradigma des SV hat für diesen Wettbewerb diverse Kennziffern und Performanceraten etabliert, die einen Imperativ für alle gehandelten Unternehmen zur Erfüllung der an den Finanzmärkten gebildeten Mindestrenditeraten erzeugen47.

Die Entstehung dieses Paradigmas geht bis in die Hochphase des Fordismus zurück. Den Ablauf der Entwicklung des SV-Paradigmas beschreiben Lazonick/O´Sullivan (Lazonick/O´Sullivan 2000). Der Begriff selber entstand in der angelsächsischen Ökonomie der 1980er Jahre im Kontext der Deregulierungsprogramme der Reagen- und Thatcher- Administrationen. Mit dem US-Börsenboom der 1980er und dem ökonomischen Boom der 1990er Jahre wurde der SV auch in Europa und Japan zu einem vielgenutzten Begriff. Die USA sind das ‚Mutterland’ des SV. Die US-Ökonomie war in den 1980er Jahren, wie im gesamten 20.Jh., von oligopolistischen Strukturen geprägt, in denen über die fordistische Hochphase große Erträge erwirtschaftet und akkumuliert wurden. Deren Allokation fand nach der damals gültigen Strategie zur Unternehmensführung ‚Abschöpfen und Reinvestieren’ (= „retain and reinvest“) statt. Diese Strategie galt ebenfalls für die eingesetzten Humanressourcen. Erfolgreich eingesetzte Mitarbeiter wurden weiterbeschäftigt und wenn notwendig durch neue ersetzt oder ergänzt (vgl. ebd.: S.14). Das Prinzip des ‚Abschöpfen und Reinvestieren’ geriet jedoch in den 1970ern auf Grund der steigenden Unternehmensgröße und der veränderten Marktlage in die Krise. Die Unternehmen wurden zu groß, zu feingliedrig und zu diversifiziert, um weiterhin effizient zu wirtschaften. Daraus resultierte seit den 1970ern eine fallende Performance des Kapitaleinsatzes in diesen Unternehmungen. Dies leistete der Veränderung der Märkte durch das Aufkommen japanischer Konkurrenz weiteren Vorschub. Von dieser Marktrestrukturierung waren vor allem die fordistischen Produktionsbranchen Automobilbau, Heimelektronik und Maschinenbau betroffen, was den USA einen regelrechten ‚Asienschock’ versetzte. Die japanischen Unternehmen konnten dies auf Grund ihrer effizienten Nutzung von Humanressourcen und der Umsetzung der Prinzipien der „lernenden Organisation“ erreichen (vgl. ebd.: S.15). In den USA hingegen herrschten die Managementstrategien der weitmöglichsten Elimination der Einflüsse durch die Arbeitskräfte und der günstigsten Zuliefer- und Dienstleistungsbedingungen. In diesen, für die USA kritischen Zeitraum, fällt dann auch die Entstehung der ‚Agenten Theorie’ für die strategische Unternehmensführung in den amerikanischen Wirtschaftswissenschaften. Diese basiert auf der (neo-)klassischen Annahme, dass nur Marktmechanismen zu einer effizienten Allokation von Ressourcen führen. Im Folgeschluss muss die Kontrolle des Managements einer Unternehmung über die Allokation von Ressourcen und Erträgen minimiert werden. In dieser Theorie sind die Anteilseigner eines Unternehmens die Prinzipale und die Manager ihre Agenten. Um ein opportunistisches Verhalten48 der Agenten zu verhindern und eine Allokation im Interesse der Prinzipale zu sichern, sollen die Entscheidungen der Agenten in Marktmechanismen eingebunden werden. „The rate of return on corporate stock was their measure of superior performance and the maximization of shareholder value became their creed“ (ebd.: S.16). Die breite Durchsetzung der SV-Strategie wurde durch die Entstehung institutioneller Investoren (Investmentfonds, Rentenfonds etc.) und die damit kollektivierte Macht der Anleger weiter forciert. Zusätzlich fand eine allgemeine Deregulierung der Finanzmärkte infolge des Ölpreisschocks statt, die in Verbindung mit dem Einsatz von Informationstechnologien und der Einführung diverser neuer Finanzinstrumente einen deutlichen Anstieg des Aktienmarktvolumens zur Folge hatte. Unter dem Druck der Finanzmärkte wurde das Bankwesen weitgehend dereguliert, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu den boomenden Fonds zu gewährleisten. Diese Deregulierung des US-Finanzwesens war die Basis für den ‚Casino-Kapitalismus’ der 1980er Jahre, der von Unternehmensübernahmen in Form von Managementübernahmen durch Neuemissionen auf „junk-bonds“ geprägt wurde49. Damit entstand der, von den US-Ökonomen für das SV-Paradigma geforderte, Markt zur Unternehmenskontrolle, der die Strategie zur Unternehmensführung in Aktiengesellschaften weitgehend auf die Kurswertsteigerung ausrichtete. „The ideology of the market for corporate control lent powerful support to the claim that such takeover activity was beneficial to the corporations involved and indeed to the US economy as a whole“ (ebd.: S.18). Die finanzielle Absicherung einer Unternehmung konnte unter diesen Umständen nur durch eine gesteigerte Liquidität mittels Abbau von Arbeitsplätzen und dem Verkauf physischer Wertbestände gewährleistet werden. Der eigene Aktienkurs eines Unternehmens wurde so zum Managementziel und die Marktkapitalisierung zum einzigen Maß seiner Leistungsfähigkeit.

Auch der Börsencrash von 1987 änderte an dieser Entwicklung nichts. Die alte Strategie des ‚retain and reinvest’ wurde durch ‚downsize and distribute’ ersetzt. Lazonick/O´Sullivan sehen darin die Ursache für die Restrukturierung der Unternehmen und der Arbeit seit den 1980er Jahren (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.1). Trotz ökonomischen Wachstums wurden in den 1990ern Arbeitsplätze qualitativ und quantitativ zurückgebaut, Löhne gekürzt und Arbeitszeiten erhöht. Die Arbeit wurde deformalisiert und flexibilisiert (vgl. Lazonick/O´Sullivan 2000: S.18-21). Es erfolgte eine Umverteilung des gesellschaftlichen Produktes an die Anteilseigner durch die Nutzung der Unternehmenserträge mit dem Ziel der Wertsteigerung des Börsenkurses50. Die persönliche Motivation des Managements an diesem Prozess mitzuwirken, sehen die Autoren in der bereits seit den 1950ern stetig steigenden Entlohnung der Führungskräfte in Aktienanteilen des eigenen Unternehmens, was bis heute zu ihrer immensen Überbezahlung geführt hat. „On avarage, the pay packages of CEOs of US corporations where fourty-four times those of factory workers in 1965, but 419 times in 1998“ (Buisness Week 20.4.1998,19.4.1999 zit. nach ebd.: S.25).

Die neoklassische Annahme, dass eine Steigerung des SV auch dem allgemeinen, gesellschaftlichen Wohlstand zugute kommt, schien sich mit dem Boom der US-Ökonomie von 1992 bis 2000 zu bestätigen. Die Umverteilung von Werten an die Shareholder wird dabei als der Lohn für ihre ökonomisch kritische Funktion des Investments angesehen. Die Überschussaktiva aus den Unternehmungen müssen an die Shareholder zurückfließen, um ihre optimale Alternativverwendung zu gewährleisten. Diese Optimierung des Kapitalverwertungsprozesses und die Teilnahme der breiten Bevölkerung via Renten- und Investmentfonds daran, führt nach der SV-Theorie auch zu einer Steigerung des allgemeinen Wohlstands. Die Entwicklung der Aktienmärkte im Segment der New Economy wurde folglich als positive Fortsetzung der Finanzzentrierung, auf Grund der Etablierung einer neuen Produktivkraftentwicklung durch die Informationstechnologien, wahrgenommen (vgl. Lazonick/O´Sullivan 2000: S.24-29).

Trotzdem die aktuelle Rezession in 2001 zum Zeitpunkt der Entstehung ihres Artikels noch nicht abzusehen war, weisen die Autoren auf Probleme des neuen Regimes hin. Diese betreffen zum einen die soziale Destabilisierung. Die steigende Unsicherheit der Arbeitsbedingungen (s.o.) wird dabei von einer signifikanten Ungleichheit bei der Wertverteilung begleitet. „The top half of 1 per cent of all US households in terms of the size of their stockholdings owns, directly or through institutional investors, almost 37 per cent of all outstanding corporate equities, 80 per cent of US households own less than 2 per cent“ (Poterba/Samwick 1995 zit. nach ebd.: S.29). Hinzu kommt das Qualifikationsproblem: Die informationale Wirtschaft generiert steigende Produktivität mit hochgebildetem Personal geringer Anzahl. Der im Fordismus etablierte niedrige US-Bildungsstandard wird nun zum Nachteil für die amerikanische Gesellschaft. Benötigte Spezialisten werden zu einem bedeutenden Teil auf dem internationalen Arbeitsmarkt aquiriert. Die Bereiche, in denen die umverteilten Werte investiert werden, haben mithin kein Interesse an der Verbesserung der Breitenbildung. Die umfangreiche Besetzung des Niedriglohnsektors mit mangelhaft ausgebildeten Arbeitskräften könnte sich bei Konjunkturproblemen als problematisch erweisen. Die von vielen Ökonomen angenommene Stabilität der konjunkturellen Entwicklung stellen die Autoren zum andren auch in Frage. Denn die zunehmende Bedeutung institutioneller Anleger führt zu einer Koppelung der allgemeinen Renten und der für die Konsumption verfügbaren Einkommen an die Börsenentwicklung. Das konsumgetragene Wachstum der US-Boomphase der 1990er basiert zu einem bedeutenden Teil auf Krediten und einem Rückgang der Sparquote51. Trotzdem realisierte Ersparnisse fließen in der Regel wieder in Investmentfonds. Kritisch wird die Situation, wenn die jüngere Generation der Ära des ‚downsize and distribute’ erst gar keine Möglichkeit mehr bekommt, finanzielle Sicherheiten anzusparen. „And, indeed, what if the returns of financial assets of older generations, who have become increasingly reliant on the stock market for returns on their savings to fund their consumption expenditures, cannot be sustained“ (ebd.: S.32) ?

Doch nicht nur die Auswirkungen der SV scheinen widersprüchlich. Auch der wirtschaftswissenschaftliche Inhalt des SV-Paradigmas erweist sich bei näherer Betrachtung als inkohärent. Dies stellen Froud und andere in ihren Ausführungen zu den inhaltlichen Versprechen der Unternehmensberater, die den SV als Konzept verkaufen, und den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen durch Managementveränderungen fest (Froud et al. 2000). Das Paradigma des SV ist nach Auffassung der Autoren ein Produkt der Unternehmensberatung der 1980er Jahre, das durch „quasi-wissenschaftliche’ Veröffentlichungen52 beworben wurde und aus drei Hauptelementen besteht:

Das erste Element sind neue Maßeinheiten zur Skalierung des SV. Das Spektrum dieser Einheiten ist durch die Anzahl der verschiedenen Unternehmensberatungen diversifiziert. Sie unterscheiden sich grundlegend in universelle, für jedes Unternehmen gültige, und kundenspezifische, vom Berater für einen Kunden entwickelte, Maßeinheiten. Manche Beratungsfirmen nutzen auch einen Mix aus Instrumenten und Maßen. Die Basis dieser Maße ist technisch in der Regel relativ einfach strukturiert, was ihre hohe Bedeutung durch die Möglichkeit zur Einstufung (‚ranking’) der Unternehmensperformanz jedoch nicht schmälert. Als Beispiele sollen hier nur die weitverbreiteten EVA (‚Economic Value Added’) und MVA (‚Market Value Added’) aufgeführt werden53. Spezifikation und Anpassung dieser Maße werden durch die jeweilige Unternehmensberatung geleistet und sind somit ihr Produkt. Im Ergebnis lässt sich von einer ‚Akronymschlacht’ sprechen, bei der sogar gegensätzliche Deutungen desselben Akronyms durch unterschiedliche Beratungen vorkommen (vgl. ebd.: S.81-84).

Das zweite Produktelement besteht aus der Implementierung des SV in Form von ‚Anreizpaketen’ („incentive packages“). Die Konzeption dieser Implementierungseinheiten ist die eigentliche Dienstleistung der Unternehmensberatungen, die sich in Arbeitsstunden niederschlägt und deren größten Einkommensfaktor darstellt. Dabei werden finanzielle Anreizpaketen für leitende und andere Mitarbeiter des beratenen Unternehmens zusammengestellt. Diese etablieren ein holistisches Konzept der Wertausrichtung des Handelns im Unternehmen, das über bestimmte Kommunikationsformen im Rahmen von Seminaren vermittelt wird (vgl. ebd.: S.84).

Das dritte und wichtigste Produktelement sind jedoch die konkreten Aktionen und Spezifikationen, die zu einer Steigerung des SV führen sollen. Diese bestehen hauptsächlich aus herkömmlichen Operationskonzepten und „leeren“, strategischen Zügen. Die Abgrenzung zwischen alten und neuen Konzepten erscheint den Autoren verschwommen und läuft im Gegenstand auf eine strategische Nutzung von „Synergieeffekten“ hinaus. Oft findet sich dahinter lediglich die herkömmliche Profitrechnung unter Verwendung der neuen Maße und innovativer Terminologien. Die ökonomische Zielsetzung der Beraterstrategien begrenzt sich auf die oben besprochene neoklassische Restrukturierung und das ‚Downsizing’. Die Reduzierung der Unternehmensgröße führt stets zu besseren Raten, aber ebenfalls zu einem geringeren Profitvolumen. Hier zeigt sich die zirkuläre Logik der SV-Strategie: „shareholder value is identified with particular ratios and strategy becomes the collary actions which improve the ratio by acting on numerator or denominator“ (ebd.: S.85). Froud et al. sprechen auf Grund fehlender Strategiesubstanz deshalb von der hohen Assoziationsmacht des SV Konzeptes, das mittels der Sprachimplementierung eine teilweise „religiöse“ Haltung von den umsetzenden Managern einfordert. Dabei machen die Berater positive Versprechungen im Bezug auf die Firmenentwicklung, die durch belehrende Bespiele und Parabeln illustriert werden. Innerhalb dieser Parabeln bewahren die Berater, die Maße und Implementierung meist global agierende und bekannte Unternehmen vor einer weiteren Wertzerstörung. Diese Assoziationsketten verbinden die Inhalte der Unternehmensberatung mit dem Erfolg des Unternehmens und werden durch die Veröffentlichungen der einzelnen Berater, die aus einer Mischung von Maßtechniken, undifferenzierten Geschäftspolitiken und beispielhaften Erfolgsgeschichten bestehen, unterstützt. Der SV wird in seiner Wirkung auf die Gesellschaft als sanfte Revolution zum Vorteil der Anteilseigener und damit für alle definiert (vgl. ebd.: S.86f).

Die konzeptionelle Linie der Vertreter des SV wird von den Autoren, unter Bezugnahme auf weitere Kritiker, als eine Mischform von akademischer Theorie und „productplacement“ für die Beraterbranche bewertet. Finanzwissenschaftler bezweifeln die Evidenz der betriebswirtschaftlichen Ergebnisse durch SV und diskutieren die diversifizierten Maßeinheiten, die keinen Bezug zu Produkt- oder Arbeitsmärkten aufweisen. Finanzexterne Wissenschaftler, wie z.B. Organisationssoziologen, kritisieren die Kurzzeitorientierung des SV-Paradigmas. Die Kürzungen in Forschung und Entwicklung berauben die Unternehmen ihrer lang- und mittelfristigen Strategiefähigkeit54. Auch die Nichtbeachtung der, in einer informationalen Wirtschaft so bedeutenden Humankategorie des Kapitals, wird bemängelt. Auch das Fehlen einer Wachstumsstrategie, das die Unsicherheiten der Zukunft in Form von Reserven berücksichtigt, wird im wissenschaftlichen Diskurs als Nachteil herausgestellt (vgl. ebd.: S.87-90).

Um die effektive Bedeutung des SV-Paradigmas zu evaluieren, untersuchen die Autoren detailliert die zentralen Maße EVA und MVA, die per Vergleichbarkeit zu anderen Unternehmen anteilswertorientiertes Handeln des Managements forciert. Damit wird eine Performancekonkurrenz begründet. Die Details der Untersuchung können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden (vgl. ebd.: S.91-102). Im Ergebnis zeigen die jeweiligen Untersuchungen zweierlei:

  1. Die Entwicklung des EVA zeigt strukturelle Barrieren auf Mikro- und Mesoebene, die den Umfang der Erträge begrenzen und damit die Wahrscheinlichkeit der Realisierung eines real steigenden EVA minimieren. Der EVA korreliert mit den gehandelten Branchen. Ein EVA von 12%, der von den Promotoren des SV als Mindestsatz gehandelt wird, ist in vielen Branchen nicht zu erreichen. Die Erfolgsmöglichkeiten zur EVA Steigerung durch Managementstrategien sind in diesen Branchen gleich Null. Die Ausgliederung bzw. der Verkauf betroffener Unternehmenseinheiten erhöht zwar den EVA, führt jedoch nicht zu dem versprochenen Wachstum von Unternehmen bzw. Märkten. Auch nach Weiterverkauf einer solchen Unternehmenseinheit im „merger and aquisitions“-Kreislauf beseitigt diese strukturellen Grenzen nicht (vgl. ebd.: S.94ff).

  2. Die Entwicklung des MVA hängt hauptsächlich von der Kursentwicklung an den Börsen und dem Verhalten institutioneller Anleger ab. Der Kurs von Anteilen eines Unternehmens spiegelt die Erwartungen der Anleger auf die Zukunft wider (vgl. Castells Argumentation). Ein steigender MVA hat demnach aus Sicht der Unternehmen mehr mit einer guten PR-Agentur zur Information der Anleger, als mit effektivem Management zu tun. Nur eklatante, medienwirksame Managementfehler führen zu einer Vernichtung von MVA. Der rasante Anstieg des MVA in den späten 1990er Jahren ist demnach auf die Übererwartungen der Anleger zurückzuführen. Der SV wurde deshalb auch nicht durch Dividenden, sondern durch sich von der realen Ökonomie ablösende, generell steigende Märkte erzeugt. Infolge des Booms konnten die Neuemissionen die Nachfrage nach Anteilen nicht abdecken, was weitere Kurssteigerungen zur Folge hatte. Die Restrukturierung von Unternehmen im Sinne des SV hat durch die Komponente der ‚buybacks’ zur Liquidmachung des Eigenkapitals noch weiter zur Verringerung der Anteilsmenge und zur Kurssteigerung beigetragen (vgl. ebd.: S.99ff).

In der Summe konstatieren die Autoren eine geringe bis nicht vorhandene Effektivität der Managementstrategie des SV auf der Unternehmensebene. Vielmehr entfaltet sie ihre Wirkung auf der Meso- und Makroebene in Form des steigenden Drucks zur Restrukturierung und der ebenfalls zunehmenden Tendenz zur Entkopplung von realer Ökonomie und finanzzentrierter Superstruktur.

Nach Meinung der Autoren ist es mithin nicht die Wertorientierung, die den aktuellen ökonomischen Wandel nach erfolgter Finanzzentrierung als zentrales Prinzip antreibt, sondern die Lücke zwischen Erwartungen und Ergebnissen des Handelns ökonomischer Akteure. Sie unterteilen die Umbruchsphase seit den 1970er Jahren in zwei Phasen (vgl. ebd.: S.103):

  1. Die Phase des Produktivismus vom Ende der 1970er bis Mitte der 1990er ist gekennzeichnet durch einen neuen Produkt- und Prozesswettbewerb, einen gesteigerten Druck auf Unternehmungen durch die Produktmärkte, Herausforderungen für deren Management durch die Verschlankung der Produktion und einer Leitbildfunktion japanischer Produktionsorganisation.

  2. Die Phase der Finanzzentrierung seit Mitte der 1990er ist demgegenüber gekennzeichnet durch einen neuen universellen Wettbewerb um finanzielle Ergebnisse (Performancewettbewerb), einen Druck auf die Unternehmen von den Aktienmärkten, Herausforderungen für deren Management durch schmale finanzielle Vorgaben und eine Leitbildfunktion amerikanischer Wertorientierung.

Den Wettbewerbsformen der beiden Phasen ist die Finanzorientierung und Beschleunigung von Managementstrategien gemeinsam, da der Druck der Finanzmärkte direkter und schneller übersetzt wird als der der Produktmärkte. Die Finanzzentrierung schafft eine erweiterte strukturelle Flexibilität im Gegensatz zur Produktmarktorientierung. Die Attraktivität der neuen Managementstrategien erwächst aus einer Kombination von Realitäten und „Definitionsrealitäten“, die von den Consultern durch selbstbezogene Theorien mit realem Lösungspotential generiert werden.

Froud et al. suchen auf Grund ihrer Ergebnisse die Allgemeingültigkeit der Finanzzentrierung als Basis eines Wachstumsregimes zu dekonstruieren. „In the paragraphs below we argue that financialisation does not connote importan real changes, but it is an immanent, economy-wide principle and (in its present Anglo-American form) is not a coherent, realizable project for management“ (ebd.: S.104). Finanzzentrierung ist demnach kein immanentes Prinzip, da es durch strukturelle Barrieren innerhalb (s.o.) und institutionelle Unterschiede zwischen den nationalen Ökonomien beschränkt wird. Eine globale Finanzzentrierung (mit den Beispielen D und F) wird nur bei einer weiteren Ausbildung institutioneller Anleger, steigender Wertorientierung und einer arbeitskrafteinsparenden Managementorientierung in den weniger finanzorientierten Ökonomien erfolgen. Diese Tendenz besteht zwar, kann jedoch nur durch eine allgemein rezessive Konjunkturentwicklung in diesen Ländern zur vollen Entfaltung kommen, da so ein ausreichender Druck zum Abbau institutioneller Finanzhemmnisse entsteht. Auch wenn sich die Finanzzentrierung derart globalisieren würde, bedeutet dies nicht die Genese eines homogenen Wachstumsregimes, da sich die Diversifizierung der „big-player“ durch die unterschiedlichen nationalen Entwicklungsverläufe fortsetzen wird. Über den Homogenisierungsaspekt hinaus wird von den Vertretern der Finanzzentrierung die Bedeutung struktureller Bedingungen und Merkmale unterschätzt. Ähnlich wie schon bei der „lean production“-Diskussion des Produktivismus, begründen diese Strukturmerkmale eine große Lücke zwischen Anspruch und Realisierbarkeit der Unternehmensstrategien. Eine inflationäre Kursentwicklung als Umgehungsmöglichkeit der strukturellen Grenzen führt zu einer nicht vertretbaren Instabilität des gesamten, ökonomischen Systems (vgl. ebd.: S.104-109).

Damit ist die Darstellung bei der Frage der möglichen institutionellen Form eines finanzzentrierten Wachstumsregimes angelangt. Der Aspekt der Stabilisierung eines Finanzregimes mittels Institutionen, die eine inflationäre Kursentwicklung verhindern, ist dabei zentral. Boyer unternimmt in diesem Kontext den Versuch einer ersten, institutionellen Modellierung eines Finanzregimes (Boyer 2000). Seine Betrachtungen konzentrieren sich auf vier Elemente:

  1. Die neue institutionelle Hierarchie in einem Finanzregime, innerhalb der die Finanzinstitutionen mehr Gewicht haben als die lohn- bzw. arbeitsbezogenen Institutionen

  2. Die grundlegende Modellierung der Faktoren eines stabilen Finanzregimes

  3. Die empirische Überprüfung auf die reale Existenz solcher Stabilitätsfaktoren

  4. Eine Analyseerweiterung über das erstellte Modell hinaus

Die Ergebnisse dieser Untersuchungselemente sollen dann in der Synthese eine Basis für die Interpretation der ökonomischen Entwicklung in den USA bieten.

Zu 1.: Die institutionelle Hierarchie des Finanzregimes wird im Vergleich zu bisherigen post-fordistischen Konzepten dargestellt. Seit der Krise des Fordismus macht Boyer diverse theoretische Ansätze zur Kennzeichnung eines neuen Wachstumsregimes in seiner Nachfolge aus: Toyotismus, Informationalismus, wissensbasierte Ökonomie, Dienstleistungsökonomie und globaler Wettbewerb. All diese Ansätze enthalten jedoch nur teilweise evidente Elemente und keines von ihnen ist zur vollen Implementation gelangt (vgl. ebd.: S.112-116). Die neue Theorie von einem Finanzregime reiht er in diese Liste ein. Jede dieser Theorien basiert auf einem unterschiedlich institutionalisierten Kompromiss zwischen den gesellschaftlichen Klassen und impliziert folglich unterschiedliche Konstellationen der Regulationsweise. Da keine der bisherigen Modelle in seiner Reinform zu beobachten war, ist auch das Modell eines Finanzregimes einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. „Therefore, it is likely that a form of hybridization between these pure systems will take place, with a different mix in each country according to politcal and social legacy, economic specialisation and, of course, the strategic choices of key collective actors“ (ebd.: S.117).

Das amerikanische System dient dabei als Vorlage eines Wachstumsregimes, in dem das Akkumulationsregime im Gegensatz zum Fordismus wieder als „dominant extensiv“, bei differenzierten Konsumptionsweisen und steigender sozialer Ungleichheit, bezeichnet werden kann55. In der Bezeichnung einer finanzzentrierten Regulationsweise sind fünf Eigenschaften a priori enthalten: (1) Eine Ausrichtung der Unternehmensführung auf den SV, (2) eine dementsprechende Umorientierung des Managements (s.o.), (3) eine veränderte Struktur der Haushaltseinkommen mit kurzzeitig flexiblen Lohnsätzen und privaten Beteiligungen an den Finanzmärkten, (4) eine an der Finanzwertstabilität orientierte, staatliche Geldpolitik und (5) eine allgemeine Privatisierung sozialer Sicherungssysteme mit Bindung an die Kapitalmärkte. Die Korrektheit diese Annahmen vorausgesetzt, wird in einem solchen System die totale Nachfrage durch das Finanzsystem geprägt. Die Neigung zu produktiven Investitionen nimmt in Konkurrenz zu den Ertragsraten von Finanzinvestitionen ab, was jedoch im Aggregat durch den allgemein leichten Zugang zu den Finanzmärkten und ein finanzfreundliches Steuersystem ausgeglichen wird. Die Bindung der Konsumption an die Finanzmärkte bedeutet einerseits ihre höhere Fluktuation, anderseits jedoch auch eine gesteigerte Kreditverfügbarkeit zur Bedürfnisbefriedigung. Damit können sich jedoch Turbulenzen auf den Finanzmärkten erheblich direkter auf die beschäftigungsrelevanten Produktmärkte auswirken. Es sind am Schluss mithin die Finanzmärkte, die über diese Mechanismen die Verwendung von Kapital in einem solchen Wachstumsregime regulieren (vgl. ebd.: S.118-121). „The whole macro-economic dynamic is driven by the compatibility between the expectations emanating from the financial markets, the reality of firms´ profit growth and interest-rate dynamics, wich the central bank is trying to direct“ (ebd.: S.121).

Zu 2.: Die Praktikabilität eines solchen Wachstumsregimes, mit zentraler Regulationsaufgabe für die Zentralbank, untersucht Boyer in seiner institutionellen Modellierung. Er formalisiert sein Modell über 13 Variablen aus den Bereichen Nachfragebildung, Interaktion von Angebot und Nachfrage, Einkommensverteilung und Finanz- bzw. Monetärvariablen. Er geht von der vereinfachten Annahme eines geschlossenen Wirtschaftsystems aus, in dem die Geldpolitik das einzige Regulationsinstrument des Staates ist und im Modell als Systemstabilisator fungiert. Die wichtige, an den Märkten gebildete Profitnorm, wird als exogene Variable definiert. Die Herleitung der Variablen und der unterschiedlichen Modellkonstellation muss hier zur Wahrung der Übersichtlichkeit entfallen (vgl. hierfür ebd.: S.121-134). Die sieben wichtigsten Ergebnisse lauten zusammengefasst:

  1. Ein nachhaltiger Resonanzfall finanziellen Wachstums ist bei steigender Profitnorm und steigender Nachfrage möglich.

  2. In Systemen mit andauernd dominantem, fordistischen Lohn-Einkommens-Verhältnissen, in dem der Lohn die Konsumption bestimmt, führt eine steigende Profitnorm zu negativen Effekten.

  3. In allen Regulationsvarianten dürfen die Löhne nur begrenzt durch den Wettbewerb am Arbeitsmarkt gebildet werden.

  4. Die an den Finanzmärkten gebildete Profitnorm darf sich im Finanzregime nur moderat verändern, da es ansonsten zu Instabilitäten kommt.

  5. Lohnerhöhungen haben im Finanzsystem nicht den denselben konjunkturstützenden Effekt wie im Fordismus.

  6. Der ‚Wachstumskorridor’ ist im Finanzregime zwar breiter als im Fordismus, liegt dafür jedoch auch näher an der Zone der strukturellen Instabilität. Ein zu hoher Einfluss der Finanzmärkte gefährdet also das makroökonomische Gleichgewicht. Die Erzeugung neuer Finanzmethoden der Risikominimierung erhöht das Destabilisierungspotential56.

  7. Die Zentralbank muss das Finanzsystem durch eine Politik der Vermeidung von Spekulationsblasen stabilisieren. Ihre Reaktionsgeschwindigkeit ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die Zentralbank ist im Finanzsystem daher nach wie vor vom Staat unabhängig, muss sich jedoch den Bewegungen der Finanzmärkte anpassen.

Boyer folgert aus seiner Modellierung einige allgemeine Schlüsse: Er weist auf die komplementären Beziehungen zwischen Haushalten, Arbeitsbeziehungen, Profitnormen und strategischer Unternehmensführung hin, die nur in einer spezifischen Konstellation zu einem stabilen Finanzregime kombiniert werden können. Die Globalisierung der Finanzzentrierung kann sich für Ökonomien mit fordistischen Lohn-Arbeitsverhältnissen destabilisierend auswirken. Die Diversifizierung der nationalen Umsetzungsarten wird sich fortsetzen. Im Finanzregime ist das Wachstumspotential bei steigender, struktureller Instabilität höher als im Fordismus. Die Geldpolitik steht im Finanzsystem vor dem Dilemma zwischen ihrer Orientierung an der Systemstabilität und der Orientierung an der Geldwertstabilität. Gerade der Typus des asiatischen Entwicklungsstaats (vgl. Abschnitt 3.3.1) ist inkompatibel zu den Anforderungen der Finanzzentrierung. Boyer sieht hierin die Ursache für die Japankrise seit Ende der 1990er.

Zu 3.: Damit erfolgt die empirische Überprüfung auf die Existenz der definierten Stabilitätsfaktoren im angelsächsischen Raum, der bisher am weitesten im Prozess der Finanzzentrierung fortgeschritten ist. Das Kapitalwachstum im Verhältnis zum Einkommen und die Profitnorm der Finanzmärkte ist hier bedeutend höher als in den anderen OECD-Staaten. Die Details der Überprüfung werden hier ausgespart (vgl. ebd.: S.135-139). Generell stellt Boyer jedoch nur eine geringe Übereinstimmung der Elemente seiner Modellierung mit den vorhanden ökonometrischen Statistiken fest. „This discrepancy between institutional and econometric analyses is an invitation to further development in the modelling of a finance-led regime“ (ebd.: S.139).

Zu 4.: Das aufgestellte Modell zeigt demnach Lücken, die in weiteren Untersuchungen geschlossen werden sollten. Hier sollen nur die zusätzlich zu berücksichtigenden Faktoren aufgezählt werden: eine explizite Formulierung von Angebotsgrenzen, Kapitalstock- und Anteilswertentwicklung; eine differenzierte Kreditfunktion; eine Verhaltenstheorie für das Finanzmanagement; eine Modellerweiterung zur Betrachtung von Auswirkungen auf die Sozialstruktur; die Berücksichtigung der Offenheit der Systeme in der globalisierten Ökonomie, auch in Hinsicht auf die Finanznormentwicklung. Nur die Erweiterung des Modells unter diesen Gesichtspunkten ergibt nach Boyer die Möglichkeit einer effektiven Bewertung des Finanzregimes und der Erkennung möglicher struktureller Krisen (vgl. ebd.: S. 140ff).

In der Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Modellierung legt Boyer auf drei Aspekte besonderen Wert: Erstens erhöht die Finanzzentrierung einer Ökonomie tendenziell deren strukturelle Instabilität. Wie sich heute zeigt waren Boyers Sorgen um die US-Konjunktur vorausschauend: „The next act of the financial drama may well start on Wall Street “ (ebd.: S.142) ! Zweitens sieht er große Schwierigkeiten bei der Übernahme der Finanzregulation in Ökonomien mit einem inkompatiblen, wirtschafthistorischen Hintergrund. Die einfache Prinzipienübernahme von Arbeitsmarktflexibilität, der Rückbau öffentlicher Ausgaben und des Sozialstaates ist dazu nicht hinreichend. „Therefore governments should be carefull when they try to mimic American institutions. The process of hybridization seems much more promising“ (ebd.: S.143). Drittens sieht Boyer die Ursache für die Transformation der institutionellen Struktur des Wachstumsregimes der USA nicht nur in der Finanzzentrierung begründet. Die Entstehung des informationalen Entwicklungsmodus stellt für ihn dabei ebenfalls einen gewichtigen Faktor dar. „The new economy is simultaneously more reactive to competition and product differentiation, based both on high tech and the extension of services to consumers, and, last but neccessarily not least, governed by the impact of the shareholder´s power and objectives“ (ebd.).

Zum Abschluss der Diskursbetrachtung über die Frage eines neuen Wachstumsregimes sollen noch eine neomarxistische Argumentation zu dieser Frage in kurzer Zusammenfassung dargestellt werden. Bischoff verneint in diesem Kontext die Ausbildung eines „High-Tech-Kapitalismus“ als Ergebnis der Restrukturierungsvorgänge der vergangenen 20 Jahre (Bischoff 2001). Er betont dabei den fortgesetzt kapitalistischen Charakter der aktuellen Transformation und untersucht ob die Ausbildung einer, im marxistischen Sinne, neuen „Betriebsweise“ vorliegt. Nach Marx bildet sich im Rahmen der allgemeinen Kapitalakkumulation auf der Basis einer spezifisch kapitalistischen Produktionsweise eine ebenso spezifisch technische Zusammensetzung des Kapitals. Diese Zusammensetzung entspricht der Betriebsweise. Sie wechselt ihre Struktur infolge von Schüben der Produktivität gesellschaftlicher Arbeit und weist mit andauernder Entwicklung die Tendenz zur Minimierung des variablen Kapitalanteils im Vergleich zum Fixkapital auf (vgl. Bischoff 2000 nach MEW 23: S.650ff). „Eine solche neue Betriebsweise bringt, wie wir gesehen haben, keine neuen ökonomischen Gesetze hervor und ist auch nicht in eine lange Welle von ökonomisch-technologischen Innovationen einzuordnen“ (ebd.: S.101). Konjunkturzyklen, unperfekte Märkte und inhärente Widersprüche des Kapitalismus bleiben nach Bischoff deshalb trotz IuKT-Nutzung bestehen. Die These der Finanzzentrierung als Erscheinungsform einer neuen Betriebsweise sieht er als nicht evident an, da sie nur einen „irrationalen Überschwang“ infolge der Verselbstständigung des Geldkapitals darstellt, der mit dem Platzen der Spekulationsblase in 2001 beendet ist. Die Tendenz zu Verflüssigung des Kapitals zeigt das nach wie vor gültige kapitalistische Paradoxon: Produktivitätsfortschritte im Fortgang kapitalistischer Entwicklung können nur mit einem immer höheren Kapitaleinsatz erkauft werden. Von einer neuen Betriebsweise kann demnach erst gesprochen werden, wenn die Entwicklung der Finanzmärkte an die Realökonomie zurückgebunden und deren neue Wachstumsdynamik per staatlicher Umverteilung sozialisiert werden.

Die Ausbildung einer neuen Betriebsweise sieht Bischoff deshalb als nicht abgeschlossen an (vgl. ebd.: S.101-103). Indikator für eine neue Betriebsweise ist nicht eine „breit angelegte gesellschaftliche Zieldiskussion“57, sonder ein gesellschaftlicher Suchprozess. Zwar hat sich das Finanzsystem gegenüber dem Fordismus entscheidend verändert. Jedoch: „Dieser Prozess ist nicht als Herausbildung einer neuen gesellschaftlichen Betriebsweise zu interpretieren; es gibt noch keinen neuen Typus der Akkumulation und der Regulation“ (ebd.: S.107). Die Finanzzentrierung ist vielmehr Ergebnis eines wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels auf Grund der Einführung flexibler Wechselkurse in den 1970er Jahren (vgl. Abschnitt 3.3.1). Die darin enthaltenen Elemente der Globalisierung und der Finanzexpansion bewirken nicht eine Stabilisierung des ökonomischen Prozesses, sondern im Gegenteil die Tendenz zu struktureller Überakkumulation (vgl. ebd.: S. 109). Die kapitalistische Restrukturierung ist Bischoffs Meinung nach die Auswirkung der Umsetzung einer politischen Programmatik.

Der Neoliberalismus konnte sich lediglich durch die Etablierung der fordistischen Wohlstandsgesellschaft durchsetzen, da sich „über die Zeit das Wissen über die Gefährlichkeit der Marktsteuerung verflüchtigte“ (ebd.: S.112). Das Wohlstandsphänomen der aktuellen Massenkonsumgesellschaft ist mithin auch Ursache für die, auf IuKT basierende, individualisierte Massenproduktion und die allgemeine Individualisierung bzw. Fragmentierung der Zivilgesellschaft. Die Entpolitisierung breiter Bevölkerungsschichten gibt Bischoff als Beispiel eines Symptoms dieser Entwicklung an. Die Gesellschaft wird in der Umbruchsphase damit zunehmend sozialstrukturell gespalten. Eine neue Betriebsweise muss jedoch genau das Gegenteil bewirken: „Eine neue stabile, wie expansive gesellschaftliche Betriebsweise ist ohne Steuerung, Umverteilung und Regulation nicht zu haben“ (ebd.: S.115). Eine sozial ausgeglichene Umverteilung des gesellschaftlichen Produktes per staatlicher Institutionen, wie im Fordismus, ist damit Bischoffs Hauptbedingung einer neuen Betriebsweise, die durch die Finanzzentrierung nicht gegeben ist.

Die Elemente des Diskurses zum Finanzregime - Zusammenfassung

Damit ist die Darstellung des Diskurses abgeschlossen, dessen grundlegende Elemente hier noch einmal zusammengefasst werden sollen:

Allen Argumentationen gemeinsam ist die Hervorhebung der Bedeutung der Finanzzentrierung in Folge der dritten Umbruchs- und Regulationskrise. Der immense Umfang des Finanzsystems wird dabei als Virtualisierung des Kapitals, im Sinne einer Entkopplung von Real- und Finanzwirtschaft, wahrgenommen. Dabei wird eine Restrukturierung des Kapitalismus in zwei Bereichen festgestellt: Im Bereich der staatlichen Regulation und der strategischen Unternehmensführung im Wettbewerb. Beide Elemente bilden einen Trend zur Privatisierung und Wertorientierung der ökonomischen Rahmenbedingungen. Diese Entwicklung verläuft international heterogen und wird von den Ökonomien des angelsächsischen Raumes aus wirtschaftshistorischen Gründen angeführt. Der resultierende zentrale Einfluss der Finanzmärkte bedeutet einerseits eine Dynamisierung der Akkumulation und Allokation und andererseits die Steigerung der strukturellen Instabilität der global interdependenten Wirtschaftseinheiten.

Bei der Herleitung der Ursachen für diesen Trend spaltet sich das Argumentationsspektrum auf. Eine Seite geht von der Kombination eines neuen Entwicklungsmodus mit Umsetzung eines informationalen bzw. extensiven Akkumulationsregimes mit Massenkonsum aus, das durch das Restrukturierungsparadigma des ‚Shareholder Value’ forciert wurde. Die andere Seite interpretiert diese Entwicklung als Ergebnis einer politischen Programmatik im Interesse der herrschenden Eliten und verneint konsequent die Existenz von neuem Entwicklungsmodus und neuem Akkumulationsregime.

Bei der Frage der makroökonomischen Bewertung der gesamten Entwicklung differenziert sich das Spektrum noch weiter aus. Die erste Richtung stellt den Anbruch einer neuen gesellschaftlichen Epoche in Nachfolge der industriellen Gesellschaft fest: die Netzwerkgesellschaft. Hier wird die komplementäre Ausbildung von Entwicklungsmodus und Wachstumsregime angenommen. Diese basieren auf den allgemeinen Prinzipien der informationalen Wertschöpfung und Arbeit sowie der Genese des Organisationstypus des Netzwerkes in einem finanzzentrierten, globalen Regulationsrahmen. Die zweite Richtung verneint die Gültigkeit solch grundlegender Prinzipien und stellt eine Diversifizierung bzw. kontextspezifische Hybridisierung der Kapitalismusformen fest. Das Finanzregime wird dabei als Idealtypus deklariert, der praktisch auf Grund struktureller Barrieren nie voll implementiert werden kann. Die Ausbildung eines neuen Regimes erfolgt stets in Pfadabhängigkeit des jeweiligen sozi-historischen Kontextes und kann demnach nicht auf global gültigen Merkmalen beruhen. Zwar bilden sich nach dieser Auffassung neue Wachstumsregime aus, diese begründen jedoch nicht die Annahme einer allgemeinen, neuen Gesellschaftsformation. Die dritte Richtung erkennt letztendlich keine neue Formation an. Sie nimmt die Restrukturierung als vergeblichen Reaktionsversuch des Kapitals auf sich weiter verschärfende Krisenphänomene im Zuge der Steigerung der inhärenten Widersprüche kapitalistischer Gesellschaften wahr. Die Kennzeichnung eines neuen Wachstumsregimes und/oder einer neuen Betriebsweise wird als ideologische Programmatik zur Verschleierung dieser kapitalismusspezifischen, reformresistenten Widersprüche zurückgewiesen. Diese Widersprüche können nur durch eine Sozialisierung des gesellschaftlichen Produktes gelöst werden.

Damit ist dieser Hauptteil der allgemeinen Diskursbetrachtung zur Frage der Entstehung einer informationalen Wirtschaft abgeschlossen. Die Elemente der Betrachtung dienen der abschließenden Hypothesenevalution in Abschnitt 4 als Grundlage.


4. Hypothesenrückführung und Diskussion


Nach der im vorangegangenen Abschnitt 3 erfolgten Darstellung der Diskurselemente zur Frage der Entstehung einer informationalen Wirtschaft als Nachfolgeform der industriellen Gesellschaft sollen in diesem Abschnitt die Arbeitshypothesen anhand der historischen und thematischen Diskursergebnisse geprüft werden. Dabei wird die inhaltliche Strukturierung im Hinblick auf Entwicklungsmodus und Wachstumsregime beibehalten. Die Arbeitshypothesen von einer neuen Qualität des Wirtschaftens, in einem informationalen Entwicklungsmodus bei kompatibler Regulation in einem Finanzregime, werden im folgenden diskutiert.


4.1 Der informationale Entwicklungsmodus

Die Teilhypothese zum Entwicklungsmodus geht von einer Veränderung der Wertschöpfungselemente in einer informationalen Wirtschaft gegenüber der industriellen Wirtschaftsform aus. Diese Veränderungen resultieren aus der spezifischen Form des sozio-technologischen Paradigmas der informationalen Wirtschaft, das auf einem allgemein produktivitätssteigernden Einsatz von IuKT basiert.

An dieser Stelle soll dementsprechend erst die theoretische Überprüfung der Existenz eines solchen Paradigmas erfolgen. Die zu diesem Zweck zu prüfenden Elemente sind im Definitionsabschnitt 2.1.3 ausgeführt.

Im Sinne der gegebenen Definitionen muss zunächst evaluiert werden, ob die IuKT eine Querschnittstechnologie darstellt, da eine solche Querschnittstechnologie die hinreichende Bedingung für ein sozio-technologisches Paradigma darstellt. Die Wissensmaschinen der IuKT dienen grundlegend dem Zweck, die in der Natur einmaligen kognitiven Fähigkeiten des Menschen, also seine Kapazität zur bewussten Symbolverarbeitung, als direkte Produktivkraft einzusetzen. Durch die Transformation von Symbolen, die Informationen oder Wissen repräsentieren, in eine binäre Form, können diese gesammelt, verknüpft, vervielfältigt, transportiert und bearbeitet werden. Die Endprodukte der IuKT dienen auf die ein oder andere Weise diesen Zwecken und befinden sich in einem andauernden Innovationsprozess, in dem die künstliche Signalkapazität dieser Produkte vor allem quantitativ aber auch qualitativ gesteigert wird. Die IuKT erfüllt mit diesem grundlegenden Potential eine notwendige Bedingung der universellen Nutzbarkeit einer Querschnittstechnologie. Die Elemente einer solchen universellen Nutzbarkeit sind, auf Grund der andauernden Miniaturisierung, mit räumlicher und gegenständlicher Flexibilität gegeben. Auch bei den Skeptikern der These einer informationalen Entwicklung ist die Qualität der IuKT als Querschnittstechnologie mithin unumstritten. „Die neuen IuK-Systeme sind weltweit (...) installiert; sie verändern unser Leben und daher (...) auch unsere Konsumgewohnheiten. (...) Sie verändern auch die Arbeitswelt radikal“ (Altvater/Mahnkopf 2000: S.775). Ihr Verbreitungsgrad weist demzufolge ein deutliches Rationalisierungspotential in allen Bereichen der Wirtschaft auf, die in ihrer Wertschöpfungskette auf Informations- und Wissensverarbeitung angewiesen sind. Diese Feststellung lässt sich auch durch die Betrachtung der Marktentwicklungen aus Abschnitt 3.1 deutlich belegen. Dass die Beschäftigung in den direkt technikbezogenen Branchen einen relativ geringen Anteil am Gesamtvolumen ausmacht, ist durch den Expertencharakter der Arbeit in diesen Branchen und die maximale Realisierung von Rationalisierungspotentialen in diesem Kernbereich informationaler Wirtschaft zu erklären. Der allgemeinere Trend der abnehmenden Bedeutung produktionsbezogener Arbeitsplätze unerstützt diese Interpretation (vgl. Abschnitt 3.1.2). Die Restrukturierung der Produktmärkte, geprägt durch einen deutlichen Trend zur Steigerung der technologischen Intensität des Güterwelthandels, ist ein weiteres Indiz für eine neue Querschnittstechnologie in der historischen Nachfolge der industriellen Maschinentechnologie (vgl. Abschnitt 3.2.1). Auch die Betrachtung der historischen Entwicklung von der agrarischer zur industriellen Basistechnologie lässt diesen Schluss zu. Der Mensch hat sich bei den großen Umbrüchen in seiner technologischen und zivilisatorischen Entwicklung stets weiter von der natürlichen Begrenzung seiner Reproduktionsfähigkeit emanzipiert. Die künstliche Erweiterung seiner kognitiven Fähigkeiten durch die IuKT ist als nächster Schritt nach der künstlichen Erweiterung seiner körperlichen Fähigkeiten durch die Maschinen zu verstehen. Auch der Umbruch zur informationalen Technologie erweitert dadurch die bis dahin bestehenden Elemente des Reproduktionsprozesses. Die Entwicklung dieses Umbruchs erfolgt mit typisch verzögerter Diffusion bei militärtechnologischer Forcierung in einem staatlich subventionierten Kontext. Entstehung und Verbreitung der Informationstechnologie als Kernelement des informationalen Modus fallen also in die Hochphase seines historischen Vorgängers und finden in einem spezifischen Innovationsmilleu statt (vgl. Abschnitt 3.1.1). Der von Krieg angeführte Umbruch in den allgemeinen Wissenschaften seit Beginn des 20.Jh. unterstützt diese These historischer Kontinuität durch eine informationale Querschnittstechnologie. Physik und Biologie haben sich, wie schon im Vorlauf der industriellen Revolution, als Leitwissenschaften bezogen auf die Ausprägung innovativer, wissenschaftlicher Denkmuster in anderen Wissenschaften erwiesen (vgl. Krieg 1998). Quantenphysik, systemische Biologie und Biogenetik haben im vergangenen Jahrhundert Veränderungen in der wissenschaftlichen Wahrnehmung der Welt bewirkt, deren Umsetzung in reproduktionsbezogene Nutzungsmöglichen heute noch am Anfang stehen.

Damit sind funktionale und historische Aspekte des Evaluationselementes einer informationalen Querschnittstechnologie geprüft und diese wird im Folgenden als evident betrachtet.

Daher ist nun die Existenz bzw. Entstehung eines informationalen, sozio-technologischen Paradigmas, als Umsetzung der neuen Möglichkeiten der informationalen Querschnittstechnologie in produktive, soziale Strukturen zu prüfen. Aus der Betrachtung der historischen Paradigmenwechsel wurde für jeden Wechsel eine Faktorerweiterung innerhalb des menschlichen Reproduktionssystems festgestellt. Diese Form der Erweiterung impliziert die Entwicklung eines neuen Paradigmas in Interdependenz mit den durch seine Vorgänger ausgeprägten Strukturen und Gegebenheiten. Die im Definitionsteil angenomme Einbindung neuer Elemente in das bis dahin bestehende Ensemble von Wertschöpfungselementen ist somit nachzuweisen (vgl. Abschnitt 2.1.3). Ein Substitutionsvorgang von Arbeit, Kapital oder Fixkapital durch Wissen im informationalen Paradigma ist nicht feststellbar, wohl jedoch eine Erweiterung dieser Elemente. Die Ausführungen von Stierle und Castells zeigen einige dieser neuen Elemente auf58 (vgl. Castells 2000; Stierle 2001). Diese Elemente basieren auf der beschriebenen Wissens- und Informationsverarbeitung durch IuKT. Um deren Bedeutung als weiteres Wertschöpfungselement eines informationalen Paradigmas zu verdeutlichen wird im Nachstehenden die Kategorie des ‚Binärkapitals’ eingeführt.

Das im informationalen Wirtschaftsprozess akkumulierte Wissen ist als eine ‚binäre’ Form des Kapitals zu betrachten und ergänzt damit das Fixkapital. Fixkapital ist als die Vergegenständlichung von gesellschaftlichem Wissen in den Produktionsmitteln definiert. Es ist die spezifische Kapitalform der industriellen Produktion, die sich in Maschinen, Fabriken, Transportwegen etc. zeigt. Parallel dazu ist das Binärkapital zu verstehen. Allgemeines und spezifisches Wissen sowie Informationen werden in einer binären Form vergegenständlicht59. Die binäre Gestalt wird nutzbar, indem sie einerseits in Programmen60 codiert und andererseits in Dateien, Dateisystemen, Datenbanken und Netzwerken angeordnet wird. Das nicht-physische Wesen des Binärkapitals macht den Unterschied zum Fixkapital aus: Es ist ohne Transaktionskosten, Qualitätsverlust und erneutem Ressourceneinsatz bei relativ geringem Arbeitseinsatz in kurzer Zeit replizierbar. Es unterliegt keiner physischen Abnutzung, ist dynamisch erweiterbar und in den Grenzen der Datenlogik reorganisierbar. Darüber hinaus ist es sich zum Teil selber wieder Ressource. Dabei wird zum einen die gesteigerte Flexibilität des Binärkapitals deutlich, zum anderen zeigt es jedoch auch erheblich kürzere Umschlagzeiten. Statt physischer Abnutzung unterliegt es einer raschen ‚informationalen’ Abnutzung: Innovationen entstehen und verbreiteten sich schneller als beim Fixkapital, sind deshalb aber auch schneller veraltet und unrentabel. Die physischen Artefakte, über die das Binärkapital mit der gegenständlichen Welt verbunden ist, sind jedoch nach wie vor Fixkapital, deren Produktformen wie Computer, Speicherbausteine (Chips), Peripherie, Handys usw. wiederum auf der Nutzung von Binärkapital basieren und deshalb in ihren Zyklen mit dem Binärkapital in einer Wechselbeziehung stehen. Durch diese Wechselwirkung von Fixkapital und Binärkapital sind folglich alle Bereiche der Produktion bei gradueller Abstufung geprägt, in denen Binärkapital zum Einsatz kommt.

Dieses Konzept des Binärkapitals deckt sich nur teilweise mit der von Bischoff vertretenen, marxistischen Auffassung der fortgesetzten Einbindung gesellschaftlichen Wissens in den kapitalistischen Verwertungsprozess über die Vergegenständlichung in Produktionsmitteln (vgl. Abschnitt 3.2.2). Bischoff geht daher von keiner qualitativen Veränderung des Verwertungsprozesses aus, da auch die neuen Produktionsmittel in privater Hand weiterhin der Entfremdung und der Ausbeutung dienen. Jenseits der hier nicht zu leistenden sozial-philosophischen Entfremdungs- und Ausbeutungsdebatte übersieht Bischoff jedoch entscheidende Aspekte. Er verkennt die genannten, auf der nicht-physischen Form der Produktionsmittel basierenden, neuartigen Elemente der Wertschöpfung61, die den Schluss eines neuen Paradigmas rechtfertigen. Damit steht diese Argumentation gegen das marxistische Konzept der Betriebsweise, in dem der industrielle Produktivkrafttyp auf der Verwissenschaftlichung der kapitalistischen Produktion basiert, die nach Bischoff durch die IuKT nur fortgesetzt und qualitativ nicht verändert wird (vgl. Bischoff 2001).

Im gegebenen Definitionsrahmen hingegen ist der kombinierte und interdependente Einsatz von Fixkapital und Binärkapital als die spezifische Konstellation des Kapitaleinsatzes in einem informationalen Paradigma zu betrachten. Wissen und Informationen waren auch in allen vorherigen Paradigmen von besonderer Bedeutung, hatten jedoch nie die dargestellte Binärform. In einigen Fällen62 ermöglicht sie einen physisch weitgehend entkoppelten Verwertungsprozess, bei dem sie von der Idee bis zum Produkt die dominante Rolle gegenüber dem Fixkapital im Wertschöpfungsprozess einnimmt. Mit der Genese eines solchen Paradigmas wird hier trotzdem kein Substitutionsvorgang festgestellt. Die bereits etablierten Produktionslogiken verschwinden nicht aus dem Wirtschaftskreislauf. Mit der technologischen Entwicklung bilden sich jedoch historisch spezifische „great inventions“ aus, die nach ihrer Diffusion ein neuartiges Arrangement der Wertschöpfungselemente ermöglichen und schwerkraftartig Aufmerksamkeit und Ressourcen im Akkumulationsprozess anziehen. Es bildet sich ein dominantes sozio-technologisches Paradigma aus. Dieses durchdringt damit auch die bisherigen Paradigmen, welche in abgewandelter Form weiterbestehen63. Die auch an der gesteigerten gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für die neuen Elemente ablesbare Dominanz ist handlungstheoretisch nicht rein ökonomisch im Sinne der Wahrnehmung objektiv besserer Verwertungsbedingungen zu erklären. Unsicherheit, resultierend aus unzureichenden Informationen über oder mangelnder Erfahrung mit einer Technologie, Erwartungen und massenpsychologische Phänomene sind ebenso wichtige, jedoch irrationale Elemente der Ausbildung eines dominanten Paradigmas. Es entstehen dabei sogar soziale Erfahrungswelten außerhalb des primär ökonomischen Lebens, deren inhaltliche Ausrichtung auf die Technologie durchaus als gegenstandsbezogener Fetischismus interpretiert werden kann. Im historischen wie funktionalen Sinne lässt sich mithin von der Ausbildung eines informationalen Paradigmas ausgehen. Die Interpretation, dass dieses Paradigma bereits voll ausgebildet sei, erscheint jedoch verfrüht. Die heute noch sehr hohe Fehleranfälligkeit der Systeme und ihre komplizierten bzw. überhaupt nicht intuitiven Schnittstellen zur physischen Welt eliminieren noch einen bedeutenden Teil ihres Produktivitätspotenzials. Auch der Etablierungsprozess der neuen Möglichkeitsnutzung zu einer allgemeinen Kulturtechnik via gesellschaftlicher Bildung steht noch am Anfang (vgl. Straubhaar 2001). Das Phänomen der hochbezahlten, da nur knapp vorhandenen, ‚High-Tech’-Spezialisten ist ein deutliches Indiz hierfür. Der gesellschaftliche Suchprozess zur effizienten Umsetzung der Möglichkeiten des informationalen Paradigmas in der allgemeinen Wirtschaft und Lebenswelt befindet sich in vollem Gange, wenn nicht sogar noch in einem früheren Anfangsstadium. Die Unsicherheit althergebrachter Sozialstrukturen z.B. bei der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen in der informationalen Wirtschaft (vgl. Töpsch/Menez/Malankowski 2001) oder der Anpassung anderer Elemente der industriellen Wertschöpfung wie z.B. der Logistik- und Verkehrsysteme (vgl. DIW Wochenbericht 34/2001) unterstützen diese Auffassung.

Genau dieser Anpassungsprozess, mit seinen destabilisierenden Folgen für die gewohnten Sozialstrukturen, ist ein Hauptelement der Kritik an der These von einem informationalen Entwicklungsmodus (vgl. Krömmelbein 2001; Altvater/Mahnkopf 2000; Bischoff 2001). Nach dieser Logik muss ein neues Paradigma mit unvermittelter Wirkung einen neuen, sozialen Gleichgewichtszustand erzeugen. Der Blick auf die Entwicklung der historischen Vorgänger widerspricht dem jedoch. Der erwünschte Zustand eines sozial stabilen Arrangements der Reproduktionsstrukturen war stets Ergebnis eines längeren Anpassungsprozesses, der sich oft in starkem, destruktivem Kollektivhandeln gesellschaftlicher Interessengruppen niedergeschlagen hat. Somit haben die Kritiker mit ihrem Argument, dass die einseitige Stärkung bestimmter Interessen im aktuellen Umwandlungsprozess begrenzt ist, recht. Die strukturelle Belastung einzelner Teile der Bevölkerung kann zu einer Gegenreaktion führen, wie die Geschichte der Arbeiterbewegung deutlich macht. Ob, wann und in welcher Form diese Gegenreaktion innerhalb der heutigen Gesellschaftsstrukturen eintritt und welche Wirkung sie haben wird, ist jedoch offen64. Daraus jedoch eine Verneinung eines neuen Entwicklungsmodus abzuleiten, ist historisch und funktional fragwürdig. Dieses Urteil basiert auf einer weltanschauungsbasierten Determination kapitalistischer Entwicklungstendenzen und wird weiter unten genauer betrachtet.

In Hinsicht auf die Prüfung eines informationalen Entwicklungsmodus ist jedoch zunächst noch die Frage der Produktivitätsentwicklung zu prüfen. Hier stehen die Untersuchungen und Schlussfolgerungen von Gordon im Mittelpunkt (vgl. Abschnitt 3.2.3). Sein Untersuchungsergebnis, das die erwarteten Produktivitätssteigerungen nur im Bereich der Herstellung von IuKT-Produkten selber zu beobachten sind, ist als gegeben zu betrachten. Die von Castells in diesem Zusammenhang angeführten und von Gordon kritisierten Untersuchungen von Brynjolfsson sind älteren Datums (1997) und beziehen sich auf die Unternehmensebene. Zur Auflösung des ‚Computerparadoxon’ sind sie nur begrenzt verwendbar. Produktivitätssteigerungen auf Unternehmensebene durch den Einsatz von Informationstechnologien können als gegeben betrachtet werden. Was jedoch fehlt ist eine statistische Produktivitätssteigerung im Aggregat außerhalb des IuKT-Bereiches. Castells Argumente zu diesem Phänomen fügen sich in die hier vertretene Annahme einer Frühphase der Umsetzung des informationalen Entwicklungsmodus ein. Er betrachtet die IuKT bezogenen Unternehmungen als Kernelemente des neuen Modus mit Pionierfunktion. Gestützt auf Brynjolfsson geht er von einer notwendigen Organisationsform von Betrieben aus, durch die Produktivitätssteigerungen erst sichtbar werden. Wirtschaftseinheiten mit informationstechnischem Gegenstand weisen die größte Erfahrung bei der Nutzung der neuen Mittel auf und haben sich daher in ihren Arbeitsstrukturen bereits effizient angepasst. Diese Pionierthese ist angesichts der makroökonomischen Daten durchaus haltbar und erscheint auch im historischen Vergleich zur Verbreitung industrieller Wertschöpfungsmethoden durchaus logisch. Die Diffusion einer effizienten Nutzung von Maschinen hat ebenfalls einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen. Die stoff- und metallverarbeitenden Bereiche können als die damaligen Pioniere interpretiert werden65. Ein stichhaltiger Beleg hierfür kann hingegen erst in einigen Jahren geleistet werden. Sollten jedoch auch andere Unternehmungen mit steigender Erfahrung Produktivitätssteigerungen realisieren, so sind die von Gordon selbst dargestellten Preisverfallraten im IuKT-Kernbereich ein deutlicher Indikator für das Potential einer solchen Entwicklung.

Diese Umsetzung von Produktivitätssteigerungen in die Gesamtökonomie schließt Gordon, und mit ihm Altvater/Mahnkopf, auf Grund struktureller Grenzen der Technologie aus. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle:

Erstens wird ein fallender marginaler Nutzen von Computern und Peripherie festgestellt. Neben dem Gegenargument, dass die Preisverfallraten schon eine Produktivitätsentwicklung beinhalten, ist Gordons Fokussierung bei der Messung des Nutzens in Frage zu stellen. Die Reduzierung auf Computer und Peripherie bildet nur einen Teil der physischen IuKT-Podukte ab. Alle mobilen IuKT bleiben hier ausgespart. Ein Laptop oder ein Handy stellen allein durch ihre Mobilität jedoch nach der hier verwendeten Definition einer Querschnittstechnologie sehr wohl eine Nutzensausweitung dar (vgl. Abschnitt 3.1.3). Ein noch begrenzterer Fokus liegt bei der Betrachtung der nichtphysischen Elemente vor, die den Hauptfaktor informationalen Wirtschaftens ausmachen. Gordon erkennt einen fallenden, marginalen Nutzen beim Einsatz von Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, deren Funktionalität sich seit 20 Jahren nicht entscheidend verbessert habe, und folgert daraus, dass der Hauptnutzen durch diese Technologien bereits seit den 1980er Jahren vollständig realisiert ist. Zum einen betrachtet er damit nur einen Teil der Binärform, nämlich die Programme, und davon wiederum nur zwei Applikationstypen. Die deutliche Diversifikation von Applikationstypen, die sich mit der Verarbeitungskapazität der IuKT ausweitet, bleibt unberücksichtigt. Die Weiterentwicklung von Datenbanksystemen und die Entstehung von Netzapplikationen in den 1990er Jahren sind hier hervorzuheben. Video-, Grafik- und Audioapplikationen sind auf Grund der enormen Datenmengen ebenfalls erst in diesem Zeitraum kosteneffizient einsetzbar und damit alltagstauglich geworden. Auch die wichtige Etablierung der Objektorientierung im Bereich der Softwareherstellung hat zu flexibleren, interaktiven und realitätsnaheren und damit auch nicht-linearen Programmentwicklungen geführt. Zum anderen bleibt der Bereich der nicht-algorithmischen Binärformen, die Daten, unberücksichtigt. Die Form des Textes und der Tabelle stellen hier nur einen kleinen Teil der Datenformen dar. Die Qualität der Daten hat sich gegenüber diesen Formaten der 1980er Jahre deutlich gesteigert. Verknüpfungstiefe, Austauschbarkeit und ebenfalls Objektorientierung von Datenstrukturen sind hier als Elemente zu nennen, die eine Nutzung von Informationen bestimmter Qualität erst erlauben66. Von einem fallenden marginalen Nutzen der jeweiligen Elemente ist daher nicht auszugehen.

Zweitens sind auch die von Gordon angenommenen grundsätzlichen, strukturellen Barrieren von Informationstechnologien zu hinterfragen. Die natürliche Begrenzung der Produktivitätssteigerung durch die absolut vorhandene Zeit der Menschen, die IuKT zu nutzen, existiert in gleicher Weise bei Aktivitäten in anderen Entwicklungsmodi und ist deshalb für eine veränderte Qualität der Entwicklung durch das informationale Paradigma nicht relevant. Dies trifft ebenso auf die Existenz informationstechnologisch nicht rationalisierbarer Wirtschaftsbereiche zu. Auch das informationale Paradigma konnte nicht in allen ökonomischen Bereichen umgesetzt werden. Das Prinzip der Durchdringung unterschiedlicher Wertschöpfungsformen wurde bereits weiter oben dargestellt.

In der klassischen und marxistischen Ökonomie wird generell von einer Tendenz fallender Erträge im ökonomischen Einsatz von Technologie ausgegangen67. Auch wenn diese Gesetzmäßigkeit als gegeben angesehen wird, ist damit die These von einem neuen Entwicklungsmodus nicht wiederlegt. Vielmehr stützt sie die Arbeitshypothese einer historisch, phasenhaften Abfolge solcher Modi, da sich das Produktivitätspotential des jeweiligen Modus über die Zeit seiner dominanten Wirksamkeit abnutzt. Das Ende der aktuellen informationalen Produktivitätsentwicklung durch strukturelle Grenzen festzustellen, ist somit nicht haltbar.

Damit ist die Prüfung der Teilhypothese eines informationalen Entwicklungsmodus abgeschlossen und wird im Folgenden als evident betrachtet. Die Hypothesen zur historisch phasenhaften Abfolge von Entwicklungsmodi wurden zwar bereits teilweise untermauert, können jedoch erst nach den nun folgenden Betrachtungen zum Wachstumsregime bewertet werden.


4.2 Der Transformationscharakter des Finanzregimes

Die Arbeitshypothesen gehen von einer zum informationalen Entwicklungsmodus parallelen Ausformung eines kompatiblen Finanzregimes aus. Die Verschärfung des Wettbewerbs durch neue, finanzzentrierte Konkurrenzformen und die Privatisierung der ökonomischen Regulation werden dabei als die entsprechenden Elemente des Akkumulationsregimes und der Regulationsweise angenommen.

An dieser Stelle soll daher die Genese bzw. Existenz eines zum informationalen Entwicklungsmodus passenden Wachstumsregimes im Rahmen des Definitionsgebäudes der Regulationsschule geprüft werden (vgl. Abschnitt 2.2).

Die dritte Umbruch- und Regulationskrise, die das Ende des fordistischen Wachstumsregimes bedeutet, ist im wissenschaftlichen Diskurs eine unumstrittene Tatsache. Die dabei auftretenden Phänomene von Globalisierung, Restrukturierung von Unternehmen und deren strategischer Führung sowie die Tendenz der Finanzzentrierung ebenso. Dabei ist eine Ausdifferenzierung von Umsetzungsformen dieser Elemente in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen zu erkennen, die auf der jeweils vorherigen Regulationsform im Fordismus basiert. Trotz dieser Unterschiede ist jedoch in allen Wirtschaftsräumen der OECD eine Privatisierung bzw. Marktausrichtung der Institutionen mit graduellen Unterschieden erkennbar. Dies betrifft nahezu das ganze Ensemble regulationsorientierter Institutionen: Arbeitsverhältnisse, Geldpolitik, Wohlfahrtsstaat und Wettbewerbsgestaltung formen sich um oder werden abgebaut. In der Folge dieser Entwicklungen nimmt der Einfluss der kollektiven Interessenvertreter des Fordismus sichtbar ab. Die Gewerkschaften verlieren ihre Bedeutung bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, der Staat verliert den Einfluss auf wichtige Elemente der Geld- und Wirtschaftspolitik, die an den globalen Finanzmärkten bestimmt werden, der Wohlfahrtsstaat belastet den Standortwettbewerb und wird abgebaut. Auch die ehemals mächtigen Manager haben einen Großteil ihres Einflusses auf die strategische Unternehmensführung eingebüßt. Im Gegenzug haben andere Akteure an Handlungsmacht gewonnen. Die Anleger bestimmen über das Restrukturierungsparadigma des Sharholder Value die Entwicklung der am Aktienmarkt gehandelten Unternehmen. Diese bestimmen mittels ihrer Marktmacht wiederum die ökonomischen Bedingungen der klein- und mittelständischen Betriebe. Die Finanzmärkte haben eine zentrale Stellung im Wirtschaftsprozess erlangt. Sie generieren über die interdependente Entwicklung von Devisen-, Kredit- und Aktienmärkten Profit- und Kreditnormen, die auf die gesamte Wirtschaft zurückwirken, auch wenn diese zu einem großen Teil in einem lokalen bzw. nationalen Rahmen stattfindet. Das allgemeine Anlageverhalten in Hinsicht auf Produktiv- oder Finanzinvestitionen wird durch diese Normen gesteuert. In den Wirtschafträumen mit fortgeschrittener Finanzmarktzentrierung ist auch die Konsumption deutlich finanzmarktgebunden. Anteilsbasierte Renten und Entlohnungsformen sowie die Verfügbarkeit der dort sehr bedeutenden Privatkredite wirken auf das Konsumverhalten der Menschen entscheidend zurück. Das ‚Signalsystem Börse’ bestimmt mithin nicht nur mehr den Wert von Unternehmensanteilen, sondern ‚reguliert’ die wirtschaftliche Entwicklung zu einem bedeutenden Teil. Das System der Finanzmärkte hat sich zu einer Institution mit neuer Qualität entwickelt. Die Bewegungen der Finanzmärkte werden jedoch nur bedingt durch die ökonomischen Prinzipien von Angebot und Nachfrage ausgemacht. Das ‚Rating’ von Werten durch Analysten und Consulter beruht grundlegend auf den Erwartungen zukünftiger Profite. Die Anzahl irrationaler Einflussfaktoren auf die Finanzmärkte ist bedeutend (vgl. Abschnitt 3.3).

Die entscheidende Fragestellung zur Genese eines neuen Wachstumsregimes zielt infolgedessen weniger auf diese unbestrittenen Elemente des Umbruchs. Vielmehr ist die innere Stabilität der Elemente in einem Finanzregime und dessen Kompatibilität zum informationalen Entwicklungsmodus zu betrachten.

Die Schlussfolgerung der Kompatibilität von Finanzregime und Entwicklungsmodus bietet sich im informationalen Wirtschaftskontext an. Die informationale Wirtschaft scheint ideal in das Finanzregime zu passen, denn ihr Operationsmodus ist wertbasiert und anteilsorientiert: Eigene (Re)Finanzierung über die Börse, Übernahmen von Konkurrenten, Schutz vor Fremdübernahmen, Entlohnung der Mitarbeiter und Manager durch Aktienpakete und die Stärkung der Imagefunktion im Hinblick auf Kunden wie Lieferanten sind hier Bestandteile betriebswirtschaftlicher Konzeptionen, die eine Ausrichtung der Firmenstrategie auf den „Shareholder Value“ erklären. Die Merkmale von informationalen Unternehmen sind bei der Durchsetzung dieser Ziele von Vorteil: Strategische Flexibilität, Projektorientierung, dezentrale Organisationsformen, hohe Rekonfigurierbarkeit, Kooperationsfähigkeit sind nur einige der notwendigen Attribute für eine ‚erfolgreiche‘ Shareholder-Value-Strategie. Die informationale Wirtschaft ist somit weitgehend kompatibel mit, aber auch technisch-organisatorische Basis für ein solches Regime. Die Flexibilisierung und Dynamisierung von Akkumulation und Allokation finden hier eine optimale Umsetzung.

Diese Interpretation ist jedoch durch den nur knapp verfehlten Zusammenbruch der neuen Börsensegmente in 2000 und die Abwertungen an den allgemeinen Märkten in 2001 ins Wanken geraten. Die von allen Autoren befürchtete Instabilität eines Finanzregimes hat sich mit der Rezession seit 2001:4 endgültig bestätigt. Dementsprechend hat sich auch die z.B. von Stierle vertretene Theorie eines dauerhaft inflationsneutralen Wachstums in Folge der Verbreitung des informationalen Paradigmas, was eine Durchbrechung des klassischen Konjunkturzyklus bedeutet hätte, als falsch herausgestellt. Das von Boyer in seiner Modellierung eines Finanzregimes hervorgehobene Element der Eindämmung der Kursinflation fehlt in der realen Finanzwelt (vgl. Abschnitt 3.3.2). Die doppelte Koppelung von Investition und Konsumption an die Finanzmärkte führt zwar zu einer stärkeren Wachstumsdynamik als im Fordismus, bedeutet jedoch auch eine gesteigerte, strukturelle Instabilität und lässt eine längere Rezessionsphase als im fordistischen Konjunkturzyklus vermuten, da der Massenkonsum nach wie vor ein wichtiges Element des extensiven Akkumulationstypus ist. Da in der US-Wirtschaft diese doppelte Kopplung am stärksten ausgeprägt ist und eine Leitfunktion für die Weltmärkte innehat, bedeutet dies auch für die weniger finanzzentrierten Wirtschaftsräume einen destabilisierenden Effekt. Doch es zeigen sich nicht nur konjunkturspezifische Instabilitäten im Finanzregime. Auch die soziale Stabilität ist in einem solchen Regime stärker gefährdet als im Fordismus. Beispielsweise ist die von den ökonomischen bzw. politischen Akteuren Europas geforderte Orientierung an den USA in Fragen der Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtsgestaltung in diesem Licht neu zu bewerten. Die hohe Flexibilität des Arbeitsmarktes und die Ausweitung des Niedriglohnsektors hat in den USA der 1990er Jahre zu einem historisch niedrigen Stand der Arbeitslosigkeit geführt. Die Wohlfahrtsreformen der Clinton-Administration hatten einen deutlich restriktiven Charakter, der jedem Einwohner für maximal fünf Jahre seiner Gesamtlebenszeit eine Unterstützung garantierte und diese mit dem Zwang zur Arbeit verband. Dadurch konnte die Beschäftigung gesteigert und gleichzeitig die Steuerlast für die Unternehmen reduziert werden. Arbeitsmarktflexibilisierung und Abbau des Wohlfahrtsstaates werden deshalb auch heute noch von Arbeitgebern und Regierungen in Europa als der richtige Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum angesehen. Diese Logik kann jedoch nur in Zeiten des ökonomischen Wachstums erfolgreich sein, in dem die hohe Produktivität einer sinkenden Anzahl von Menschen die Bereitstellung von Niedriglohnverhältnissen in großer Zahl ermöglicht und damit die Bedingungen zur Realisierung weiterer Produktivität durch sinkende Steuerlasten fördert. Da sich diese Konjunkturentwicklung jedoch auch wieder als rückläufig erweist, ist eine negative Reproduktion dieser Dynamik zu erwarten. Die neuesten Zahlen zur Arbeitslosigkeit in den USA legen diesen Schluss nahe68.

Im historischen Rückblick über den bisherigen Verlauf der institutionellen Regulation verwundern die heutigen, weltweiten Turbulenzen nicht. Der Fordismus, als Idealtypus institutioneller Regulation, war das Ergebnis langandauernder, ebenfalls hoch instabiler Konstellationen in seinem Vorfeld und zudem von kurzer Dauer (vgl. Abschnitt 3.3.1). Zwar wurde der Konflikt um die Verteilung des gesellschaftlichen Produktes im Fordismus durch einen gesellschaftlichen Konsens moderiert. Dieser Konflikt fand durch seine Externalisierung jedoch auf der globalen Ebene eine Fortsetzung. Die international einseitige Wachstumsentwicklung mit Dominanz der OECD Staaten stellt sich heute als zweischneidiges Schwert in einer ‚Welt ohne Grenzen’ heraus. Nach dem Ende des Fordismus als innergesellschaftliches Wachstumsregime und der Auflösung der globalen Hegemoniestrukturen des Kalten Krieges als internationaler Ordnungsrahmen, befinden sich damit bedeutende internationale Strukturelemente in einem andauernden Wandlungsprozess, dessen Ausgang offen ist. Wie die Ausführungen aus 3.3.1 gezeigt haben, dienen die internationalen Institutionen von GATT, IFW und Weltbank nur den wohlhabenden Wirtschaftsräumen als Stabilisator ihres Reproduktionssystems. Sie fungieren darüber hinaus als Instrument ökonomischer Schließung und dienen damit der globalen sozio-ökonomischen Exklusion, Fragmentierung und Marginalisierung. Die systeminterne und systemexterne Instabilität der Regulation ist folglich als ein Element mit historischer Kontinuität anzusehen.

Unter Berücksichtigung funktionaler und historischer Aspekte erscheint eine stabile Struktur des Finanzregimes in seiner heutigen Form in den OECD Staaten als fraglich. In seiner Idealform ist es ohnehin noch nirgends zu beobachten (vgl. Boyer 2000). Das Element der Finanzzentrierung mit den Finanzmärkten als bedeutende Institution makroökonomischer Regulation ist jedoch nicht zu übersehen und wird auch in Zukunft nicht signifikant an Bedeutung verlieren, es sei denn, es ereignet sich eine zu 1929/30 vergleichbare Weltwirtschaftskrise mit dramatischen Ausmaßen und Konsequenzen. Die gesteigerte strukturelle und soziale Instabilität, die durch diese Institution und die entsprechenden Veränderungen von Wettbewerb und staatlicher Fürsorge auftritt, ist als Konsequenz der Privatisierung der Regulationsweise zu verstehen. Damit büßt die monopolistische bzw. administrative Regulation, die von Mitte des 19.Jh. bis in das späte 20.Jh. wirksam war, ihren idealtypischen Charakter ein. Die Regulationsschule geht parallel hierzu von einem Akkumulationsregime der dominant extensiven Akkumulation bei Massenkonsum aus, das damit ein Strukturelement der frühindustriellen Entwicklung aufweist. Die Akkumulationsfunktion und -logik der Finanzmärkte ist hierbei das entscheidende, neue Moment (vgl. Aglietta 2000; Boyer 2000). Diese Wachstumskonstellation jedoch als ebenbürtigen Nachfolger des Fordismus zu interpretieren ist nicht schlüssig. Das fordismustypische Element der systeminternen Stabilität ist nicht gegeben. Die aktuelle Konstellation von Akkumulationsregime und Regulationsweise ist vielmehr als transformationsorientiertes Wachstumsregime zu interpretieren, das von einer sozio-strukturell optimalen Umsetzung der Reproduktionsmöglichkeiten noch ein gutes Stück entfernt scheint.

Damit ist die Arbeitshypothese von einem informationalen Wachstumsregime nur teilweise bestätigt. Zwar ist die Interdependenz von informationalem Paradigma und gegenwärtigem Wachstumsregime durchaus evident. Auf Grund des Transformationscharakters der Regulationsweise ist jedoch eine endgültige Zuordnung nicht zu leisten.


4.3 Schlussfolgerungen

Die Diskurspositionen über die Bedeutung des informationalen Entwicklungsmodus und des transformationsorientierten Wachstumsregimes scheiden sich nach den ökonomischen Grundorientierungen, nach der die Teilnehmer argumentieren. Im Verlauf dieser Arbeit wurde versucht, eine Positionierung innerhalb dieser Grundorientierungen weitgehend zu vermeiden. Weder die (neo-)liberale Markt- und Technologiegläubigkeit noch die am Ende marxistische These vom sicheren Zusammenbruch des Kapitalismus erweisen sich bei einer analytischen Klärung des Sachverhaltes als hilfreich. Die Betrachtungen haben einerseits gezeigt, dass Märkte grundsätzlich Tendenzen zu ihrem Versagen aufzeigen. Die sozio-ökonomische Entwicklung erhält dadurch ihren krisenhaften und destruktiven Charakter. Es ist jedoch andererseits auch deutlich geworden, dass es keinen Anlass gibt, diese Entwicklung in ihrem Ausgang als determiniert zu betrachten. Ihr chaotischer und nicht-ergodischer Charakter verbietet eine solche linearkausale Logik. Diese grundlegenden Fragen der sozio-ökonomischen Theorie konnten und sollten im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden.

Vielmehr wurden die aktuellen Veränderungen des Wirtschaftens auf ihren Zusammenhang mit der verbreiteten Nutzung von IuKT, in der Tradition einer deutend verstehenden und auf die Erklärung von Abläufen und Wirkungen hinwirkenden Methode, geprüft. Die historischen und funktionalen Aspekte des sozialwissenschaftlichen Diskurses zu den Bereichen des Entwicklungsmodus und des Wachstumsregimes dienten dabei zur Strukturierung der Untersuchung. Im Ergebnis wurde die Entstehung eines informationalen Entwicklungsmodus und die Existenz eines dazu kompatiblen Wachstumsregimes mit Transformationscharakter festgestellt. Beide Elemente befinden sich in einem frühen Stadium der Entwicklung und ihr weiterer Verlauf ist nicht absehbar. Die Arbeitshypothesen sind damit geprüft und wurden zu einem großen Teil bestätigt.


5. Ausblick


Die Untersuchung hat eine Vielzahl von Themenbereichen aufgezeigt, die im Rahmen dieser Arbeit nicht betrachtet werden konnten. Neben der grundsätzlichen Frage kapitalistischer Krisenentwicklung bieten sich auch konkretere Elemente für weitere Untersuchungen im Rahmen des sozio-ökonomischen Wandels im informationalen Entwicklungsmodus an.

Einen interessanten Aspekt stellt die Frage der Entwicklung von Wert und Eigentum in einem informationalen Modus dar. Inwieweit können die bisherigen Formen der Werttheorie und der institutionellen Regelung des geistigen Eigentums auf die neuen binären Formen des Wissens und der Information ausgeweitet werden? Das aktuelle Patentrecht stößt bereits an seine Grenzen: Die Unterhaltungsindustrie hat z.B. im Angesicht der neuen Formen bereits deutliche Probleme, ihr Recht auf geistiges Eigentum effizient durchzusetzen. Vor diesem Problem stehen auch andere Wirtschaftsbereiche, deren Produkte auf der binärer Form basieren.

Die Regelungen des Urheberrechtes machen im Zuge der massenhaften Anwendung internetbasierter Tauschbörsen und neuer Vervielfältigungstechnologien einen großen Teil ihrer Benutzer zu Straftätern. Welche Bedeutung kommt dieser de facto Aufhebung einer solch wichtigen Institution für die weitere Entwicklung des informationalen Paradigmas zu?

Ein anderes Beispiel aus diesem Bereich ist die bedenkliche Besetzungspraxis von Patenten in der Softwarebranche. Hier gehen die großen Unternehmen dazu über, sich sehr allgemeine Applikationsverfahren patentieren zu lassen, die Teil diverser Softwarelösungen sein können. Dies führt dazu, dass die Unternehmen ihren Produktwettbewerb immer häufiger vor Gericht austragen. Die Folge ist eine Blockierung der für das informationale Paradigma zentralen Innovationsdynamik im Bereich der Software, da Neuentwicklungen verzögert oder im Fall von kleineren Unternehmen ohne ausreichende Ressourcen für den Rechtsweg sogar verhindert werden. Die Regelung von Patenten und Urheberrechten im informationalen Modus sind von entscheidender Bedeutung für seine zukünftige Entwicklung.

Ein anderer wichtiger Aspekt betrifft sozio-strukturelle Fragen. Wie wird sich die dargestellte ökonomische und soziale Destabilisierung in der weiteren Zukunft entwickeln? Können transnationale Zusammenschlüsse von Staaten wie die EU einen adäquaten Regulationsrahmen für eine auch sozial effiziente Stabilisierung ökonomischer Entwicklung bieten? Die bisherigen Erfahrungen im Hinblick auf die EU wecken wenig Hoffnungen. Doch selbst die Akteure auf den globalen Finanzmärkten sind sich zumindest der strukturellen Stabilisierungsnotwendigkeit des spekulativen, ‚virtuellen’ Wertschöpfungsprozesse bewusst. Auch die Finanzwelt beruht auf institutionalisierten Regeln, die eingehalten und kontrolliert werden müssen, wie die jüngsten Skandale um Bilanzierungspraktiken z.B. im Fall Enron zeigen. Daher benötigen auch die Finanzmärkte eine verlässliche Ebene der Regulation, die allerdings nicht mehr durch Nationalstaaten erfolgen kann. Auch Boyers Überlegungen zur Frage der Vermeidung von Kursinflation deuten in diese Richtung, da keine nationale Zentralbank alleine in der Lage ist, diese Funktion effizient auszuüben. Vielleicht führt der Umweg über die Etablierung eines internationalen Regulationsrahmens, mit dem Ziel der Verhinderung finanzmarktspezifischer Probleme, zu der Entstehung weiterer Institutionen, nach deren Muster dann auch soziale Regulation wieder wirksam umgesetzt werden kann. Diese Möglichkeit erscheint heute zwar unrealistisch, ist jedoch im Hinblick auf die Geschichte der institutionellen Entwicklung nicht völlig utopisch.

Dies sind nur zwei Beispiele für zukünftige Untersuchungsgegenstände. Diese Liste läßt sich allein mit den im Rahmen dieser Arbeit anfallenden Aspekten fortführen. Sie sollte in Zukunft weiter gefüllt und abgearbeitet werden, um den Veränderungen und Krisen der Zukunft, deren Ausmaß nicht abzusehen ist, zumindest theoretisch nicht unvorbereitet gegenüber stehen zu müssen.


6. Abbildungsverzeichnis



7. Tabellenverzeichnis



8. Literaturverzeichnis


  • Aglietta, Michel: Shareholder value and corporate governance: some tricky questions, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 146-159

  • Altvater, Elmar: Der Preis des Wohlstands oder Umweltplünderung und neue Welt(un)ordnung, Münster 1992

  • Altvater, Elmar / Mahnkopf, Birgit: Gewerkschaften vor der neuen Herausforderung – Tarifpolitik nach Mauer und Maastricht, Münster 1993

  • Altvater, Elmar / Mahnkopf, Birgit: Grenzen der Globalisierung – Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster 1997

  • Altvater, Elmar / Mahnkopf, Birgit: „New Economy – nichts Neues unter dem Mond?, in WSI Mitteilungen 12/2000, S. 770-777

  • Altvater, Elmar / Heinrich, Michael: Editorial, in PROKLA 122/2001, Nr.1 New Economy – neuer Kapitalismus?, S. 2-6

  • Arthur, Brian: Increasing returns and path dependence in the economy (Economics, Cognition and Society), Michigan 1994

  • Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? – Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung, Frankfurt a.M. 1997

  • Bischoff, Joachim: Mythen der New Economy – Zur politischen Ökonomie der Wissensgesellschaft, Hamburg 2001

  • Boyer, Robert: The Regulation School: A critical introduction, New York u.a. 1990

  • Boyer, Robert: Is a finance-led growth regime a viable alternative to Fordism? A preliminary analysis, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 11-145

  • Castells, Manuel: The rise of the network society, Oxford u.a. 2000

  • Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Wandel der Logistik- und Verkehrssysteme durch E-Commerce – Informationsdefizite abbauen und Regulierungsrahmen schaffen, in Wochenbericht des DIW 34/2001, S. 517-524

  • Döhl-Sauer: Die Auflösung des Unternehmens, in Sozialwissenschaftliche Technikberichterstattung 1996

  • Evans, Trevor: Die Rolle finanzieller Faktoren im US-amerikanischen Wirtschaftsboom der 90er Jahre, in PROKLA 122/2001, Nr.1 New Economy – neuer Kapitalismus?, S. 31-45

  • Forrester, Viviane: Der Terror der Ökonomie, Wien 1997

  • Friedrichs, G. / Schaff, A.: Auf Gedeih und Verderb – Mikroelektronik und Gesellschaft, Wien 1982

  • Froud, Julie / Haslam, Colin / Johal, Sukhdev / Williams, Karel: Shareholder value and financialization: consultancy promises, management moves, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 80-110

  • Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne, Berlin 1991

  • Gellner, Ernest: Nationalism, London 1998

  • Gordon, Robert J.: Has the „New Economy“ rendered the productivity slowdown obsolete?, Research Paper vom 14.6.1999 http://faculty-web.at.northart.edu/economics/gordon/indexlayers.html

  • Gordon, Robert J.: Does the New Economy measure up to the great inventions of the past?, in Jornal of economic perspectives 14/2000, S. 49-74

  • Grahl, John / Teague, Paul: The Régulation School, the employment relation and financialization, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 160-178

  • Hentschel, Volker: Wirtschaftsgeschichte des modernen Japans 2: Japans Weg zur wirtschaftlichen Weltmacht(1930-1983), Wiesbaden 1986

  • Heuer, Steffan: Dell, Held der Rezession, in brand eins Wirtschaftsmagazin 10/2001/2002, S.70-78

  • Hübner, Kurt: Theorie der Regulation – Eine kritische Rekonstruktion eines neuen Ansatzes der politischen Ökonomie, Berlin 1989

  • HWWA-Konjunkturforum: Konjukturschlaglicht: Steigende „New Economy“-Investitionen, in Wirtschaftsdienst VII/2001, 478-479

  • Issing, Otmar (Hg.): Geschichte der Nationalökonomie, München 1994

  • Jürgens, Ulrich / Naumann, Katrin / Rupp, Joachim: Shareholder value in an adverse environment: the German case, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 54-79

  • Klein, Dieter: Neue globale Qualitäten der Gloablisierung, in Berl. J. Soziol., 3/1998, S.333-343

  • Krieg, Peter: Cyber Economy – Thesen zur Produktion im Informationszeitalter in Brill, A. / Vries, M. de (Hg.): Virtuelle Wirtschaft, Opladen 1998

  • Krömmelbein, Silvia: Das Internet – Wissen, Arbeit und Wohlstand für alle?, in WSI Mitteilungen 4/2001, 250-256

  • Lampert, Heinz: Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin u.a. 1998

  • Lazonick, William / O’Sullivan, Mary: Maximizing shareholder value: a new ideology for corporate governance, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S. 13-35

  • Leibfried, Stephan / Pierson, Paul (Hg.): Standort Europa – Sozialpolitik zwischen Nationalstaat und Europäischer Integration, Frankfurt a.M. 1998

  • Löchel, Horst: Die ökonomische Dimension der New Economy, 2000

  • Menzel, Ulrich: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie, Frankfurt a.M. 1992

  • Menzel, Ulrich: Globalisierung versus Fragmentierung, Frankfurt a.M. 1998

  • Metz, Christina: „Stochastische Prozesse: Stationarität, Ergodizität und Einheitswurzeln“, Universität Gesamthochschule Kassel 1999 (PDF Web-Dokument von www.uni-kassel.de)

  • North, D.C.: Theorie des institutionellen Wandels, Tübingen 1988

  • Pinder,John: Europa in der Weltwirtschaft 1920-1970, in Cipolla/Borchert: Europäische Wirtschaftsgeschichte Band 5: Die europäischen Volkswirtschaften im zwanzigsten Jahrhundert, Stuttgart 1986

  • Priewe, Jan: Vom Lohnarbeiter zum Shareholder?, in PROKLA 122/2001, Nr.1 New Economy – neuer Kapitalismus?, S. 103-122

  • Sablowski,Thomas / Rupp, Joachim: Die neue Ökonomie des Shareholder Value. Corporate Governance im Wandel, in PROKLA 122/2001, Nr.1 New Economy – neuer Kapitalismus?, S. 47-78

  • Scherrer, Christoph: New Economy: Wachstumsschub durch Produktivitätsrevolution?, in PROKLA 122/2001, Nr.1 New Economy – neuer Kapitalismus?, S. 7-30

  • Schwemmle, Michael / Zanker, Claus: Nicht „Anfang vom Ende“, sondern „Ende vom Anfang“: E-Commerce nach dem „Hype“, in WSI Mitteilungen 1/2001, S. 20-26

  • Stierle, Michael H.: Neue Ökonomie: Charakteristika, Existenz und Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik in Aus Politik und Zeitgeschichte B9/2001, S.15-22

  • Straubhaar, Thomas: Neue Ökonomie – neue Bildungssysteme in Wirtschaftsdienst II/2001, S. 66-67

  • Töpsch, Karin / Menez, Raphael / Malanowski, Norbert: Ist Wissensarbeit regulierbar? Arbeitsregulation und Arbeitsbeziehungen am Beispiel der IT-Branche, in Industrielle Beziehungen 3/2001, S. 307-332

  • Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980

  • Weber, Max: Askese und kapitalistischer Geist, in Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen 1988

  • Weinert, Günter: Weltwirtschaft im Abschwung, in Wirtschaftsdienst VII/2001, S. 471-477

  • Welsch, Johann: Beschäftigung in der Internetökonomie“, in Wirtschaftsdienst III/2001, S. 159-163

  • Williams, Karel: From shareholder value to present-day capitalism, in Economy and Society Vol. 29 No. 1 Feb.2000, S.1-12

  • Woodruff, William: Die Entstehung der internationalen Wirtschaft 1700-1914, in Cipolla/Borchert: Europäische Wirtschaftsgeschichte Band 4: Die Entwicklung der industriellen Gesellschaften, Stuttgart 1985


Statistik- und Zahlenquellen:

  • BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e. V.): Herbstpressekonferenz 4. Oktober 2001, PDF-Dokument von www.bitkom.org

  • EITO (European Information Technology Observatory): EITO Update 2001, PDF-Dokument von www.eito.com

  • WTO (World Trade Organisation): International trade statistics 2001, PDF-Dokument von www.wto.org


9. Fußnoten


1 ähnlich wie beim Begriff der Globalisierung

2 Nasdaq, Neuer Markt, [japanischer E-Handel] etc.

3 einer der Eckpunkte des magischen Dreiecks der klassischen Wirtschaftspolitik

4 1998 wurde für 2001 in Deutschland ein E-Commerce Anteil von 1/3 der Einzelhandelsumsätze prognostiziert.

5 Im Sinne einer selbstverstärkenden Strukturierung von dezentraler Interaktion zwischen Agenten.

6 Diese Theorie der institutionellen Handlungsmuster ist mit Pierre Bourdieu´s Habituskonzept kompatibel.

7 Halbleiter auf Siliziumbasis 1951, Integrierter Schaltkreis 1957, Platinenfertigung 1959

8 Der Begriff Informationshandhabung ist nicht ganz präzise, denn in dieser Definition sind auch Dienstleistungen ohne Informationsbezug wie z.B. die eines Frisörs enthalten.

9 Mitte des 18. Jh. mech. Webstuhl, Dampfkraft; später dann Elektrizität, Benzin-Motor etc.

10 Dieser Theorieansatz wird weiter Unten ausführlicher besprochen.

11 Realisierbares Güterangebot bei Vollauslastung der Produktionskapazitäten.

12 Potential zur weitgehend verlustfreien Neuanordnung von Teilelementen.

13 Finanzentwicklung und Globalisierung sind Elemente der Regulationsdiskussion in Abschnitt 3.3.

14 m = a(y – n) + (1 - a)(y – k); Dabei ist m die MFP und a der Anteil der Arbeit, der die klassischen Standardannahmen von konstanten Erträgen im Verhältnis zur Skala und der Faktorpreisbildung durch Wettbewerb abbildet (Gordon 2000).

15 Bei der Arbeit verändern sich Alter, Geschlecht, Bildung; Beim Kapital erfolgen Verlagerungen der Investitionen von Strukturausgaben zu Ausrüstungsausgaben sowie Verlagerungen von langlebiger Ausrüstung zu kurzlebiger Ausrüstung.

16 Die Zuordnung der summierten Bereiche zu den Zeilen 8. und 11. ist in der Tabelle nicht korrekt gekennzeichnet. Vgl. erklärenden Text auf S.?? für stimmige Summen.

17 Im Zeitraum 1993-94 hat nach Gordon eine Veränderung der offiziellen Preismessungsmethode stattgefunden, die im Vergleich mit den vorherigen Perioden eine bedeutsame Diskontinuität erzeugt Die Veränderung der Arbeitsqualität berücksichtigt strukturelle Veränderungen der Personalstruktur (vgl. Gordon 2000). Für eine detaillierte Darstellung der zyklischen Effekte vgl. Gordon 1999.

18 konstante Nachfrage bei ausgeweitetem Angebot

19 hedonistische Preismessungsmethode

20 Für eine marxistische Interpretation vgl. Bischoff 2001: S.81ff; Die Tendenz der fallenden Erträge wird von Bischoff im Kontext des Gesetzes fallender Profitraten und konjunktureller Entwicklung im Kapitalismus diskutiert, was hier aus Platzgründen nicht erfolgen kann

21 Vgl. in diesen Zusammenhang Weber 1980: S.122-153 sowie S.245-381; zur Rolle der Religion für den Übergang zur industriellen Phase auch Weber 1988.

22 Eine detaillierte Darstellung der Veränderungen in den Wissenschaften dieser Periode muss hier unterbleiben. Hervorzuheben ist jedoch die Entwicklung der philosophischen Grundlagen des Rationalismus mit den Elementen der logischen Interdependenz und der analytischen Denkweise. Nach Weber ist die Rationalität ein entscheidendes Moment der industriellen Geisteshaltung, die auf die Kohärenz/Konsistenz und Effizienz menschlichen Handelns abzielt (vgl. Weber 1980: S.815ff; Gellner 1991: Kap.3).

23 z.B. Beschäftigungsprogramme, Wohlfahrt, Arbeitslosen- und Sozialversicherung

24 Diese Form enthält mehrere Elemente: verstärkt monopolistisch/administrative Regulation und anti-monopolistische Marktregulation. Vgl. Hübner 1990: S. 192ff. Zur staatlichen Regulation in der „mixed economy“ vergleiche auch in T.H. Marshall 1981: „Bürgerrechte und soziale Klassen“ die Theorie der „hyphenated socienty“. Auch die Prägung der Wirtschaftspolitik durch Meynard Keynes ist hier einzuordnen (vgl. Issing 1994: S.193-213).

25 Zur angelsächsischen Haltung gegenüber staatlicher Einflussnahme in den USA vgl. North 1988: S.193ff; für GB vgl. Weber 1988; CAN und AUS sind als erweiterter Einflussbereich dieser beiden Staaten zu betrachten.

26 Auf eine detaillierte Darstellung der Entwicklungsproblematik muss hier leider verzichtet werden. Für genauere Betrachtung vgl. Menzel 1992 u. 1998: S.223ff; auch Altvater/Mahnkopf 1992: S.142ff

27 Zwischen 1950 und 1970 betrug die Steigerungsrate der globalen Warenexporte im Jahresdurchschnitt 7,2%. „Von 1870-1913 waren es 3,5%, von 1913-1929 2,2%, von 1929-1937 war das Wachstum mit –0,4% sogar negativ und 1973-1987 waren es 3,9%“ (Altvater/Mahnkopf 1997 nach Kitson/Michie 1995: S.7).

28 Die internationalen Finanzmärkte entstanden in den 1960er Jahren im Zuge der Herstellung der Währungskonvertibilität zwischen den Industrieländern.

29 Wie schon bei der Diskussion der Produktivitätsentwicklung der IuKT in Abschnitt 3.2.3, muss an dieser Stelle auf eine Diskussion der marxistischen Theorie fallender Profitraten im Zuge der steigend organischen Kapitalzusammensetzung entfallen. Vgl. hierzu Altvater/Mahnkopf 1992: S.82ff; Bischoff 2001: S.81ff

30 Die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in Mrd. US-$: 1975:282, 1985:690, 1990:1612, 1992:1998 (vgl. Altvater/Mahnkopf 1997: S.264).

31 Eine genaure Diskussion dieses US-Booms erfolgt in Abschnitt 3.3.2. GB war mit dieser Politik nicht ganz so erfolgreich. Die Attraktivität des Standortes GB wurde hier von starken sozialen Turbulenzen begleitet, da die wohlfahrtsstaatlichen Strukturen ausgeprägter als in den USA waren (vgl. Altvater/Mahnkopf 1993: S.167ff).

32 Die britische Sozialdemokratie mit ‚New Labour’ und der sozialwissenschaftlichen Unterstützung von Giddens spielte hier eine Vorreiterrolle. Die deutsche Sozialdemokratie folgte diesem Konzept mit der ‚Neuen Mitte’ nach. Die klassisch keynesianisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik wurde aufgegeben und durch eine pragmatische, konsolidierungsorientierte Politik mit neoliberalen Elementen ersetzt.

33 Die Rolle der EU in diesem Prozess ist vielschichtiger als hier dargestellt werden kann. Für eine intensive Betrachtung (vgl. Leibfried/Pierson 1998). Zu Entwicklung und Differenzierung europäischer Wohlfahrtsstaaten vgl. Benz 2000; zu Arbeitsbeziehungen vgl. Keller 1997.

34 Hier ist u.a. auf die Reorganisation von Unternehmensstrukturen und die Entstandardisierung von Erwerbsbiographien hinzuweisen (vgl. Sauer/Döhl 1996; Altvater/Mahnkopf 1993; Sennet 1998).

35 Der Begriff der Ergodizität entstammt der mathematischen Stochastik und bezeichnet die Möglichkeit der Bestimmbarkeit noch nicht eingetretener Ereignisse als Ableitung aus einer bereits bekannten Reihe von Ereignissen mittels stochastischer Methoden (vgl. Metz 1999).

36 Castells legt besonderen Wert auf die begriffliche Unterscheidung von Informationsgesellschaft und informationaler Gesellschaft, parallel zu dem Unterschied zwischen Industriegesellschaft und industrieller Gesellschaft. Informational bedeutet demnach nicht die bloße Tatsache der Nutzung von Informationen, sondern die Ausbildung einer sozialen Organisationsstruktur, die auf die optimale Erzeugung, Verarbeitung und Übermittlung von Informationen und Wissen zur Erzeugung und Maximierung des gesellschaftlichen Produktes ausgerichtet ist (vgl. Castells 2000: S.21).

37 Zu den Begriffen von virtueller Zeit und Entterritorialisierung des Raumes im Zuge der Globalisierung vgl. Altvater/Mahnkopf 1997: S.217ff und 351ff.

38 Das Verhältnis zwischen dem jährlichen Umschlagsvolumen der Devisenmärkte und dem Volumen des Welthandels hat sich von 12:1 in 1979 auf 60:1 in 1996 erhöht (vgl. Castells 2000: S.104).

39 Zur Logik von Werterzeugung und Vernichtung vgl. auch Interview mit Altvater im Magazin der Berliner Zeitung vom 29./30. Juli 2000 S.4: „Krise ist, wenn es von allem zu viel gibt“

40 Zu der Bedeutung multinationaler Konzerne im Prozess der Globalisierung vgl. auch Klein 1998 S.333ff.

41 Als regionale Beispiele führt Castells Silicon Valley, Hong Kong, Taiwan und Norditalien an.

42 Dem Netzwerkunternehmen widmet Castells ein komplettes Kapitel, in dem er die Organisationsform des Netzwerkes als den Nachfolger der hierarchischen Bürokratie im Weberschen Sinn der zentralen Organisationsform des industriellen Gesellschaft definiert. Diese Diskussion muss hier aus Platzgründen ausgelassen werden (vgl. hierzu Weber 1980; Castells 2000: S.163-215).

43 Auch der allgemeinen Entwicklung der Arbeit hat Castells ein ganzes Kapitel gewidmet, von dem ein Teil bereits in Abschnitt 3.1.2 dargestellt wurde. Da eine detaillierte Diskussion dieser Frage hier entfallen muss vgl. Castells 2000: S. 216-354.

44 Vgl. hierzu den Begriff der „transnationalen sozialen Räume“ in Beck 1998: S.48ff.

45 In einem Sonderband der Zeitschrift „Economy and Society – Shareholder value and the politcal economy of late capitalism – Vol. 29 No.1“ vom Februar 2000 beschäftigen sich verschiedene Autoren mit der Thematik des Wandels des Kapitalismus nach dem Fordismus.

46 Die Entwicklung der Finanzzentrierung wird für Frankreich und Deutschland Vergleich zu den angelsächsischen Staaten betrachtet und für beide wird eine spezifische und begrenzte Tendenz zur Finanzzentrierung im Anschluss an die USA und GB festgestellt (vgl. Morin 2000; Jürgens/Naumann/Rupp 2000).

47 Einer dieser diversen Kennwerte ist z.B. der „return on capital employed“ (ROCE), was übersetzt soviel wie ‚Ertrag des eingesetzten Kapitals’ bedeutet, den Willams mit einer Mindestrate von 13% beziffert (vgl. Williams 2000: S.6).

48 Unter opportunistischem Verhalten wird in der klassischen Ökonomie grundsätzlich ein illegitimes Handeln eines Vertragspartners zum Eigennutzen, gegen die Vertragsbedingungen und zum Nachteil des anderen Partners verstanden. Opportunistisches Verhalten wird demnach durch den Wettbewerb auf freien Märkten minimiert, da ein wiederholt opportunistisches Verhalten zum weitgehenden Ausschluss des jeweiligen Akteurs vom Markt führt (vgl. hierzu North 1982: Kap.4). Diese Vermeidungsfunktion des Wettbewerbs ist jedoch nur auf ‚perfekten Märkten’ ohne Informationskosten und vielen Marktteilnehmern gegeben.

49 Eine detaillierte Darstellung der komplizierten „merger and aquisitions“ Logik kann hier nicht erfolgen.

50 Der Dividendensatz als Verhältnis von Dividenden zum Profit lag im Zeitraum 1970-79 bei 42,4% im Durchschnitt, 1980-89 dann bei 49,3% und 1990-98 bei 49,6% (vgl. Lazonick/O´Sullivan 2000: S.22).

51 Zur Bedeutung von Verschuldung und Sparverhalten im konsumgetragenen US-Boom vgl. Evans 2001: S.31-45.

52 Hier ist auf Rappaport 1986: „Creating Shareholder Value“ und Stewart 1991: „The Quest for Value“ zu verweisen.

53 EVA = Operative Nettoprofite nach Steuern, abzüglich der notwendigen Ertragsrate des eingesetzten Kapitals; MVA = Absolute Differenz von aktuellem Unternehmenswert und dem investierten Kapital total; beide Maße sind eingetragene Warenzeichen (‚trademarks’)

54 Zur Strategiefähigkeit von Unternehmen unter dem Reorganisationsparadigma vgl. auch Sauer/Döhl 1996.

55 Eine dominant extensive Form der Akkumulation trat bereits in der Frühphase des Industrialismus auf (vgl. Abschnitt 3.3.1).

56 Dieser Punkt ist für Boyer das Hauptelement seiner Befürchtungen um eine große Finanzkrise der US-Ökonomie.

57 Dieser Begriff wird von Bischoff nicht weiter ausgeführt.

58 Castells legt besonderes Gewicht auf die Rolle des Netzwerkes als neue Organisationsform des informationalen Paradigmas, deren spezielle Bedeutung im Rahmen dieser Arbeit nicht differenziert werden kann.

59 In diesem Zusammenhang von einer Vergegenständlichung zu sprechen ist nicht ganz korrekt, denn die Umwandlung von Wissen und Informationen in Daten führt nicht zu einem materiellen Gegenstand. Um die Parallele zum Fixkapital aufzuzeigen sollte diese Ungenauigkeit hier akzeptiert werden.

60 Programme sind binäre Algorithmen zur automatischen, halbautomatischen und interaktiven Bearbeitung von Daten aller Art.

61 Die ‚binäre’ Form von Produkt und Produktionsmitteln scheint in keine der klassischen Ökonomietheorien zu passen. Z.B. berücksichtigt weder die marxistische, noch die liberale Werttheorie eine Wertform, die nicht physisch ist und kein Original kennt. Im informationalen Wertschöpfungszusammenhang verschwimmen die klassischen Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen Arbeit, Eigentum, Wissen und Ressourcen bei Werterzeugung und Zirkulation. Die steigenden Schwierigkeiten der Verwertung geistigen Eigentums im informationalen Paradigma sind dafür ein Beispiel. Diese Aspekte können hier nicht weiter ausgeführt werden und stellen ein fruchtbares Gebiet weiterer theoretischer Untersuchungen dar.

62 Dies ist zum Beispiel in bestimmten Bereichen der Softwarebranche der Fall, die Produkte ohne Bezug zur physischen Welt herstellen: z.B. Datenbankhersteller wie ORACLE, Compilerhersteller wie INPRISE oder auch Spielhersteller wie ELECTRONIC ARTS

63 Z.B. wird seit den 1960er Jahren von industrieller Landwirtschaft gesprochen. Genauso wie das industrielle Paradigma das agrarische durchdrungen hat, geschieht dies mit dem industriellen durch das informationale Paradigma.

64 Die Anti-Globalisierungsbewegung ist ein Phänomen, das in diesen Kontext eingeordnet werden kann.

65 Dieser wichtige Punkt müsste mit historischen Untersuchungen weiter evaluiert werden, was hier jedoch nicht möglich ist.

66 Es ist beispielsweise schwer vorstellbar, dass die Datenbankstrukturen der 1980er Jahre eine ausreichende Struktur zur Erfassung und Nutzung komplexer, genetischer Strukturen geboten hätten.

67 In der marxistischen Theorie basiert die Tendenz fallender Erträge auf der ständig zunehmenden Kapitalintensität im industriellen Produktivkrafttyp und basiert auf der damit steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals (vgl. Issing 1994: S.112ff). Auch die klassische Ökonomie geht von dieser Tendenz aus, da sie zur theoretischen Herleitung des Gleichgewichtes auf Märkten notwendig ist. Fallende Erträge sind in beiden Theoriezweigen die Ursache von Konjunkturzyklen. Für die wissensbasierte Wirtschaft existieren jüngere, interessante Ökonomietheorien, die von einer Durchbrechung dieser Gesetzmäßigkeit in Teilen der Ökonomie ausgehen. Aus Umfangsgründen kann dieser grundlegenden Frage nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. hierzu Arthur 1994

68 „Die Beschäftigung ist im vierten Quartal mit einer Jahresrate von 1,6 Prozent gefallen“ (Financial Times Deutschland „Auf die US Verbraucher hofft man vergebens“ vom 31.01.2001; Zahl für USA 2001). Nach Spiegel Online „Testfall Rezession - Soziales Netz Amerikas droht zu reißen“ vom 17.01.2002 steigt die aktuelle Zahl der Sozialhilfeempfänger in einigen Staaten der USA um bis zu 20%.




verantwortlich: Thomas Zimmermann
letzte Bearbeitung: 13.10.2004

Einige Rechte vorbehalten
Creative Commons License
Diese Hompeage und Ihre Inhalte stehen unter der Creative Commons Lizenz soweit nicht anders ausgewiesen.