Soziologie der Wissensgesellschaft

Texte, Literatur und Links zum Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft im informationalen Zeitalter

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Hintergrund

In der aktuellen Diskussion um die sozialwissenschaftlichen Aspekte der informationalen Transformation der postindustriellen Gesellschaft zeichnet sich nicht nur eine wichtige Fragestellung der internationalen Entwicklungsproblematik ab. Wie bei den Themen sozialer und ökologischer Problemfelder spiegelt die internationale Konfliktlage hier die Binnenkonflikte der beteiligten Kultur- und Wirtschaftsräume wider. Die Debatte verweist damit auf eine Kernfrage für Entwicklungs- und Industriestaaten auf ihrem gegenwärtigen Weg zur „Wissensgesellschaft“, die lautet: Ist die Übernahme der gesellschaftlichen Institutionen des Industrialismus, z.B. des geistigen Eigentums, das adäquate Mittel zum erfolgreichen Auf- und Ausbau einer Wissensgesellschaft auf der ökonomischen Basis einer informationalen Wirtschaftsform?

Diese Frage stellt die aktuellen ökonomischen und administrativen Entwicklungen in einen breiten sozioökonomischen Kontext, aus dem sich ein sozialwissenschaftlicher Forschungskatalog ergibt:

  • Gibt es theoretische und praktische Unterschiede zwischen einer industriellen und einer informationalen Wirtschaftsform und wenn ja, worin liegen diese? (vgl. Castells 2000, Zimmermann 2002)

  • Lassen sich daraus die wichtigen Katalysatoren (bzw. Agenzien) einer informationalen Wirtschaftsform ableiten?

  • Welche gesellschaftlichen Institutionen beeinflussen diese Katalysatoren?

  • Wie wirken diese Institutionen?

  • Bieten diese Institutionen eine hinreichende system-funktionale Effektivität für die Forcierung des Wandels hin zu einer informationalen Wirtschaftsform?

  • Lässt sich diese institutionelle Effektivität in den Pionierbereichen (IT-Branche, Energie-Branche, Biotechnologie ...) der informationalen Wirtschaft qualitativ und/oder quantitativ messen?

  • Können aus den Ergebnissen einer solchen Untersuchungsreihe Rückschlüsse für eine möglichst realitätsnahe Modellierung der Wirkungszusammenhänge gezogen werden?

  • Wie sind die aktuellen Entwicklungen und Modifikationen der gesellschaftlichen Institutionen auf dem Hintergrund einer solchen Modellierung zu bewerten und welche weiteren Möglichkeiten bieten sich hier an?

Die hier vorgestellten Materialien können sich folglich nicht auf einen teilwissenschaftlichen Bereich konzentrieren. Sozialwissenschaftliche Theorie, ökonomische Modellierung, historische Rückschau, komparative Analyse, empirische Untersuchung und Aspekte systemischer Komplexität müssen gemeinsam betrachtet und gedacht werden. „Understanding the way technological, organizational and political-legal changes interact in shaping a future characterized by ubiquitous digital networks connecting countless nodes globally will be essential for our understanding of political economy, whether domestic, comparative or international, and for our understanding of society as a whole“ (Zysman/Weber 2001: S. 19).

Sozialwissenschaftliche Herausforderung

Das Hauptziel sozialwissenschaftlicher Forschung in diesem Kontext sollte in der praxistauglichen Modellierung und Untersuchung der systemfunktionalen Elemente der entstehenden Wissensgesellschaft bestehen. Der Begriff der Wissensgesellschaft wird hier als Dachbegriff für die momentan entstehende gesellschaftliche Nachfolgeformation der Industriegesellschaft genutzt. Diese neue Formation basiert auf spezifischen Formen sozialer und ökonomischer Strukturen. Die ökonomische Dimension der Wissensgesellschaft wird weiter als informationale Wirtschaftsform bezeichnet, die auf einem entsprechenden sozioökonomischen Entwicklungsmodus basiert. Als Entwicklungsmodus ist dabei ein technologisch-organisatorisches Arrangement zu verstehen, durch das mittels Arbeit Materie zu einem Produkt gewandelt und somit Qualität und Umfang des Mehrwerts bestimmt werden. Jeder Modus bzw. Typus ist dabei durch eine grundlegende Eigenschaft spezifiziert, die die Quelle der Produktivität im Produktionsprozess bezeichnet und sich aus einem definierten, sozio-technologischen Paradigma ableitet. Ein sozio-technologisches Paradigma bezeichnet eine spezifische Konstellation von Produktionsfaktoren (Boden, Arbeit, Ressourcen, Kapital als Kombinationen von Energie und Wissen) im ökonomischen Verwertungsprozess. Dieses Verhältnis wird durch die Eigenschaften einer Querschnittstechnologie strukturell beeinflusst (vgl. Zimmermann 2002: S.12f).

Damit stellt die Genese bzw. Existenz eines neuen, informationalen Entwicklungsmodus der Gesellschaft in der Abgrenzung zum industriellen Entwicklungsmodus des 19. und 20. Jh. ein grundlegendes, theoretisches a Priori aller Überlegungen in diesem Kontext dar. Das Attribut „informational“ ist dabei im Sinne von wissensbasiert zu verstehen. Produktivität und produktbezogene Wettbewerbsfähigkeit der ökonomischen Akteure in einem informationalen Entwicklungsmodus hängen bedeutend von deren Fähigkeit zur effizienten Erzeugung, Akkumulation, Behandlung, Anwendung und Reproduktion von Wissen in Verbindung mit anderen Produktionsfaktoren ab. Wissen ist dabei als individuell gültiges Konzept kognitiver Strukturen zu verstehen, das durch den Akt der Kodifizierung (Umsetzung in eine beliebige Kommunikationsform) zu allgemein verwendbaren Informationen transformiert wird. Der informationale Entwicklungsmodus gründet auf einem entsprechenden sozio-technologischen Paradigma, das eine spezifische Konstellation von gesellschaftlichen Organisationsformen und technologischen Strukturen bezeichnet. Im Kern der neuen, informationalen technologischen Struktur liegen die Querschnittstechnologie der „Wissensmaschine“ Computer und eine stetig wachsende Anzahl von Folgetechnologien im „High-Tech“ Bereich (vgl. Krieg 1998; Zimmermann 2002: S.14ff). Sie ermöglichen über die Digitalisierung von Informationen die Aneignung, Erweiterung, Rekombination und Distribution von Informationseinheiten mit bis dahin nicht gekannten Methoden bei marginalen Transaktionskosten. Mit der digitalen Form der Information und der breiten Diffusion der notwendigen Technologien verändern sich einerseits die bisherigen Faktoren der Kommunikation, der physischen Produktion und der Wissenserzeugung (sei es öffentliche oder private Forschung). Andererseits entstehen neue soziale und ökonomische Formen der Interaktion, deren Ablauf und Gegenstand nahezu vollständig in der digitalen Form bestehen (virtuelle Interessengemeinschaften, Marktplätze, Produkte und Unternehmen). Durch die allgemeine Beschleunigung der sozioökonomischen Transformation in diesen Bereichen nimmt die Bedeutung von Erfahrungswissen unter dem informationalen Entwicklungsmodus bedeutend zu. Dieses intuitiv generierte Erfahrungswissen wird mithin auch mit zunehmender Geschwindigkeit in den wissenschaftlichen Diskurs integriert. Die „Halbwertzeit“ wissenschaftlicher Erkenntnisse verkürzt sich in der Folge, was die wissenschaftliche Beobachtung dieser Prozesse zunehmend erschwert. „The dynamic, all encompassing nature of this transformation creates pitfalls for any brief discussion or any research strategy“ (Zysman/Weber 2001, S. 5). Diese Halbwertzeitproblematik betrifft nicht nur die Wissenschaften. Auch die ökonomischen und politischen Akteure sehen sich vor dem Problem, ihre Entscheidungen unter stetig steigender Unsicherheit auf Grund sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen fällen zu müssen (vgl. Christensen 2000, S. XVI f).

Für die wissenschaftliche Betrachtung hat diese Beschleunigung der gesellschaftlichen Transformationsprozesse jedoch auch einen Vorteil: In der im historischen Vergleich relativ kurzen Zeit seit der Genese des informationalen Entwicklungsmodus haben sich bereits diverse Stadien und Transformationsvorgänge in wichtigen Bereichen der Gesellschaften unterschiedlicher Kulturkreise ereignet, die eine solide Basis für ein sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm darbieten. Dementsprechend umfangreich und heterogen ist damit auch die Quellenlage zu den für die Fragestellung relevanten Teilgebieten. Der Diskurs um diese Fragen ist quer durch die verschiedenen Sparten der Gesellschaftswissenschaften seit einigen Jahren in vollem Gange.

Freie und offene Eigentums-/Produktionsformen in der sozioökonomischen Analyse: Die institutionelle Struktur der informationalen Wirtschaft erforschen

Seit den 1990er Jahren hat sich in einem Kernbereich der informationalen Wirtschaft, der Softwarebranche, ein bis dahin in keinem anderen Bereich der Marktwirtschaft beobachtetes sozioökonomisches Phänomen entwickelt: Quellenoffene und freie Produkte (Open Source Software = OSS; Free Software = FS; im Folgenden OSS/FS). Diese sind deshalb so bemerkenswert, weil sie sich in zwei wichtigen Bereichen grundlegend von den bislang gebräuchlichen Strukturen marktwirtschaftlicher Wertschöpfungsmechanismen unterscheiden:

  1. Eigentumsform: In industriellen Gesellschaften sind bisher private und staatliche Eigentumsformen üblich. Industrielle Arbeit und Produktion sind entlang dieser Dimensionen organisiert. OSS/FS jedoch passt nicht in dieses Schema, denn der Eigentümer ist mittels einer bestimmten Lizenzform de facto die Allgemeinheit (digitales, non-exklusives, ‚freies’ Allmende-Eigentum).

  2. Produktionsstrukturen: Seit dem Beginn der industriellen Revolution befinden sich die marktwirtschaftlichen Produktionsstrukturen in einem zyklischen Wandlungsprozess. Nachdem zuletzt die Globalisierung eine neue Qualität der physischen Produktion einleitete, entstehen im Rahmen der informationalen Entwicklung der virtuellen (digitalen) Produktion neuartige dezentrale Akteurs- und Wertnetzwerke, deren Koordinationsmechanismen im Rahmen von OSS/FS teilweise gänzlich ohne kommerzielle Anreizmechanismen funktionieren. Die hier wirkenden Motivations- und Handlungsmechanismen sind ein bedeutender Gegenstand dieser Untersuchung.

Die gesellschaftsgestalterische Dimension der Thematik liegt auf der Hand: Die systemische Interdependenz von ökonomischer und sozialer Struktur in Erwerbsgesellschaften stellt eine permanente Quelle von gesellschaftlichen Problemlagen dar. Soziale Armut, Chancenungleichheit und Arbeitslosigkeit sind nur einige Dachbegriffe. Es ist zu erwarten, dass sich in Folge der informationalen Restrukturierung und Erweiterung der Wertschöpfungszusammenhänge dieser Gesellschaftsarchitektur auch die Problem- und Konfliktkonstellationen wandeln und neue entstehen. Diese Seite stellt Texte über die Erforschung dieser neuartigen Elemente des gesellschaftlichen Lebens vor.


verantwortlich: Thomas Zimmermann

letzte Bearbeitung: 13.10.2004

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